Diversity in der IT ist wichtig und eröffnet neue Perspektiven: Welche, das erzählen Mina Saidze von Inclusive Tech und Doris Kish von Fujitsu. [...]
Regelmäßig jammert die ITK- Branche über den Fachkräftemangel. Während der Pandemie verschärfte sich das Problem weiter, denn Deutschland hinkt in vielen Aspekten der Digitalisierung international hinterher. Es fehlen vor allem IT-Expertinnen, wie die zum Weltfrauentag vom Digitalverband Bitkom veröffentlichte Studie zeigt. „Die digitale Wirtschaft muss weiblicher werden“, sagt Sabine Bendiek, Vizepräsidentin des Bitkom.
„Gemischte Teams sind für den Erfolg von Unternehmen extrem wichtig. Und wir sind auf Frauen angewiesen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und nachhaltiges Wachstum zu sichern. Die Zahlen sind ein Weckruf“, so die Arbeitsdirektorin und Mitglied des Vorstands von Softwarehersteller SAP weiter.
Doch der Frauenanteil in der ITK- Branche stagniert. Je kleiner die Firma, desto weniger Frauen arbeiten dort. Mehr als jedes zehnte Unternehmen in der Branche beschäftigt keine einzige Frau.
Bei 76 Prozent liegt der Frauenanteil unter 25 Prozent. Zwar arbeiten in größeren Unternehmen mehr IT-Expertinnen, doch bis in die Führungsetage schaffen es nur wenige. In 49 Prozent der befragten Firmen gibt es keine Frau im oberen Management.
Definition Diversity
Diversity gilt deshalb als Rettungsanker. Übersetzen lässt sich Diversity mit Vielfalt, auch Diversitätsmanagement ist im Personalwesen ein gebräuchlicher Begriff. Merkmale von Bewerberinnen und Bewerbern wie Geschlecht, Ethnie, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung und Religion sollen keine Rolle bei der Jobvergabe und im Arbeitsleben spielen, so die Definition.
Ganz im Gegenteil: Unternehmen sollten ganz gezielt versuchen, möglichst vielfältige, diverse Teams zu rekrutieren. Zum einen erweitert das den Horizont von allen Beschäftigten, zum anderen bildet es die Vielfalt der Gesellschaft ab, in der wir leben. Außerdem arbeiten diverse Teams erfolgreicher, wie die Studie „Why Diversity Matters“ von McKinsey zeigt. Öffnen sich Firmen gegenüber allen qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern, finden sie auch mehr gut qualifiziertes Personal.
Von der Volkswirtin zur Datenspezialistin
Doch die Realität sieht grundverschieden aus. Noch immer entscheiden viele Arbeitgeber nur nach formalen Kriterien. Aber es geht auch anders, wie das Beispiel von Mina Saidze zeigt. Sie wurde 1993 in Hamburg geboren, ihre Eltern waren wegen ihres politischen Engagements aus Afghanistan geflüchtet. Nach dem Abitur studierte sie Volkswirtschaft in Berlin und entdeckte noch während ihres Studiums IT-Themen für sich.
Sie belegte Statistikkurse, brachte sich selbst das Programmieren bei und erweiterte ihr IT-Fachwissen mit Praktika und Projekten. „Ich habe für mich analysiert, welche Berufsprofile am Arbeitsmarkt gefragt sind. Mir war schnell klar, dass die Digitalisierung eine große Chance für mich ist“, erinnert sie sich. Nach Stationen in Konzernen und Startups leitet Saidze heute als Führungskraft ein Tech-Team in einem Unternehmen.
Rezept gegen den Fachkräftemangel
In Skandinavien oder den USA sei der IT-Arbeitsmarkt viel flexibler und ein Quereinstieg in die Branche deutlich einfacher, weiß Saidze: „Wer sich in Deutschland autodidaktisch weiterbildet und das nicht mit Zeugnissen belegen kann, wird selten zu Vorstellungsgesprächen eingeladen“, so die Datenexpertin.
Dabei wäre es einfach, mit Tests die Kenntnisse der Kandidatinnen und Kandidaten vorab zu überprüfen. Statt über den Fachkräftemangel zu jammern, könnten Firmen deutlich mehr tun und beispielsweise Talente mit Mentorenprogrammen fördern, davon ist Saidze überzeugt.
Noch ein anderes, wichtiges Argument spricht für mehr Diversity in Tech, denn in vielen KI-Projekten fehlt der weibliche Blick. „Es geht darum, die Tech-Industrie neu zu denken. Bei Tech geht es nämlich nicht nur um Code und Zahlen, sondern auch um die Frage von gesellschaftlicher Teilhabe, Inklusivität von Technologien und die Gestaltung unserer Welt von morgen. Hierfür ist Vielfalt unabdingbar“, sagt Saidze. KI sollte weder frauenfeindlich noch rassistisch sein.
Mit Inclusive Tech für mehr Diversity in der IT
Doch bei Appellen bleibt es nicht. Mitten in der Pandemie gründete Saidze die Initiative „Inclusive Tech„, ein europaweit aktives Netzwerk, in dem sich mittlerweile mehr als 4.500 Personen engagieren, darunter viele Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund.
Mit Inclusive Tech will Saidze zeigen, dass Diversity in Tech nicht nur eine CSR- oder Employer-Branding-Strategie ist. Ein Ziel der Initiative ist es, die Teilhabe von unterrepräsentierten Gruppen in der Digitalisierung voranzutreiben.
Gleichstellung muss Führungsaufgabe werden
Wie Diversity managen? Darauf haben viele Firmen noch keine Antwort gefunden. In der Bitkom-Studie sagte die Hälfte der Befragten, dass sich niemand um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Unternehmen kümmere.
Nur bei rund drei Prozent der Befragten gibt es Gleichstellungs- oder Diversity-Verantwortliche, in 24 Prozent der Betriebe übernimmt die Personalabteilung diese Aufgabe, und nur bei 22 Prozent ist die Verantwortung in der Geschäftsführung angesiedelt. Bitkom-Vizepräsidentin Bendiek fordert, Gleichstellung zur Führungsaufgabe zu machen.
„Nur wenn Vorgesetzte die Chancengleichheit aktiv vorleben, können die notwendigen Umbrüche gelingen.“
Diversity bei Fujitsu
Doris Kish arbeitet seit 2009 bei Fujitsu in München und übernahm 2018 die neu geschaffene Position als Diversity-Managerin für die Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz. Inzwischen umfasst ihr Verantwortungsbereich auch Osteuropa. Bereits in den 1990er-Jahren setzte Fujitsu Diversity in Japan auf seine Agenda, Anfang 2017 wurde dafür eine Position in London für das Vereinigte Königreich (UK) und die EMEA-Region geschaffen.
„Aus UK kommen viele strategische Ansätze, auf die ich aufbauen kann“, sagt Kish. Dazu zählt etwa ein „Gender Diversity Dashboard“. Mit diesem Statistik-Tool lässt sich beispielsweise schnell analysieren, wie viele Frauen bei Fujitsu in welchen Positionen arbeiten. „Während Corona haben wir gemerkt, dass sich kaum noch Frauen beworben haben“, berichtet die Diversity-Managerin.
Offenheit beflügelt Unternehmenskultur
Mehr Frauen beschäftigen und ihnen bessere Karrierechancen eröffnen, das ist eines der Ziele von Fujitsu. Seit 2021 widmet sich Kish auch dem Thema LGBT. Die aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung steht für die sexuelle Orientierung Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender. Warum sollten Unternehmen LGBT auf ihre Agenda setzen?
„Studien zeigen, dass Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung 30 Prozent ihres Potenzials einbüßen, weil sie es im Arbeitsleben verheimlichen wollen“, sagt Kish. Darüber zu sprechen und sich als Konzern klar gegen jede Form der Diskriminierung zu positionieren schaffe ein offenes Klima. „Wir arbeiten hier mit „Proud at Work“ zusammen, und ein Kollege, der offen schwul lebt, hilft uns, das Thema im Unternehmen anzusprechen“, sagt die studierte Kulturwirtin.
Zwar fördert Fujitsu Diversität, doch mit Zahlen lässt sich das nur schwer belegen, denn nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darf niemand aufgrund seiner ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.
Unternehmen wissen deshalb nur wenig darüber, wie divers ihre Belegschaft ist, denn weder die Nationalität im Pass noch ein Name sind aussage- kräftig. „In England wird im Unternehmen viel offener über Diversity gesprochen, in Deutschland können wir viele Daten aufgrund des AGG nicht erheben“, sagt Kish. Das erschwere auch das Ableiten geeigneter Diversity-Maßnahmen, so die Managerin.
Diversität verbessert das Betriebsklima
Von einer größeren Vielfalt profitieren alle, und das wissen die ITK-Firmen. In der Bitkom-Studie sagten 93 Prozent der Befragten, dass gemischte Teams zu einem besseren Betriebsklima beitragen und die Produktivität steigern. Außerdem bestätigten 85 Prozent, dass Frauen neue Ideen und andere Sichtweisen ins Unternehmen einbringen. Eine größere Vielfalt unter den Beschäftigten und Führungskräften bereichert das Arbeitsleben. Davon profitieren alle, denn wir leben längst in einer diversen, multiethnischen Einwanderungsgesellschaft.
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