Bei Cloud und KI zeigt sich besonders deutlich: Ohne US-Anbieter läuft derzeit nur wenig. [...]
Digitale Souveränität bezeichnet bekanntlich die Fähigkeit und Möglichkeit von Individuen, Unternehmen, Organisationen und Staaten, im digitalen Raum selbstbestimmt, unabhängig und sicher zu handeln, digitale Technologien sowie IT-Infrastrukturen eigenständig zu gestalten und die Kontrolle über eigene Daten, Prozesse und Systeme zu behalten. Souveränität ist ein zentraler Faktor für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie den Schutz von Grundrechten im digitalen Zeitalter. Obwohl schon lange ein Thema, hat der Amtsantritt von Donald Trump verstärkt die Frage vor Augen geführt, wie es in Europa mit der Souveränität steht.
Beispiel Cloud
Benjamin Hermann, Managing Director bei Zoi aus Stuttgart, hat auf LinkedIn unter dem Titel Leave the Room: A Reality Check on European Cloud Alternatives einen interessanten Vergleich zwischen Europa und den USA gestartet. „Die Marktlandschaft im Cloud Computing zeigt eine dramatische Schieflage“, so seine Einschätzung: US-Hyperscaler kontrollieren 72 Prozent des europäischen Cloud-Markts, während europäische Anbieter auf lediglich 13 Prozent Marktanteil geschrumpft sind – ein Rückgang von 27 Prozent im Jahr 2017. Weltweit ist die Dominanz noch ausgeprägter: US-Konzerne halten rund 65 Prozent Marktanteil, europäische Anbieter kommen auf weniger als fünf Prozent.
Im europäischen IaaS- und PaaS-Markt zeige sich die US-Dominanz besonders deutlich, so Hermann: Amazon Web Services führt mit 32 Prozent Marktanteil, gefolgt von Microsoft Azure mit 23 Prozent und Google Cloud mit zehn Prozent. Diese drei US-Anbieter vereinen somit 65 Prozent des EU-Markts auf sich. Weitere sieben Prozent entfallen auf andere US-Konzerne wie Oracle und IBM.
Auch bei der Rechenzentrumsinfrastruktur sei das Bild eindeutig: Equinix (USA) betreibt allein 83 Standorte in Europa, Lumen Technologies (USA) weitere 56. Von den insgesamt 8.300 Megawatt europäischer Rechenzentrumskapazität entfällt der Großteil auf US-Firmen. Besonders auffällig: US-Hyperscaler investieren pro Quartal über vier Milliarden US-Dollar in europäische Infrastruktur – mehr als alle europäischen Anbieter zusammen in einem Jahr. Der größte europäische Anbieter OVHcloud erreicht weniger als zwei Prozent Marktanteil bei einem Jahresumsatz von 993 Millionen Euro. Deutsche Telekom und SAP liegen ebenfalls bei rund zwei Prozent. Regionale Anbieter wie IONOS, Scaleway und Hetzner kommen gemeinsam auf unter fünf Prozent.
Ein zentraler Treiber der Cloud-Adoption ist globale Verfügbarkeit – und diese gewährleisten derzeit nur US-Anbieter, so der Zoi-Chef. AWS betreibt 105 Verfügbarkeitszonen in 33 Regionen, Microsoft Azure deckt über 60 Regionen ab, Google Cloud über 40. OVHcloud dagegen ist in nur zwölf Regionen vertreten. Dazu kommt: 92 Prozent europäischer Daten werden auf US-kontrollierten Cloud-Servern gespeichert. Umgekehrt liegt der Anteil westlicher Daten, die in Europa gespeichert werden, bei lediglich vier Prozent – gegenüber 92 Prozent in den USA. „Diese extreme Konzentration stellt ein massives Souveränitätsrisiko dar“, so Hermann.
Der Rückgang europäischer Marktanteile von 27 auf 13 Prozent (2017–2024) zeige zudem tiefgreifende strukturelle Defizite. Die Fragmentierung des EU-Markts verhindert die Bildung global wettbewerbsfähiger Anbieter. Nationale Champions arbeiten gegen die Skaleneffekte, die Cloud Computing wirtschaftlich attraktiv machen.
Selbst europäische Anbieter wie OVHcloud, Hetzner und Scaleway setzen fast ausschließlich auf Intel Xeon oder AMD EPYC. ARM-Varianten basieren meist auf Ampere Altra – ebenfalls ein US-Design. „Wer sich für europäische Anbieter entscheidet, bleibt somit abhängig von US-Technologie.“
Die Lücke wächst weiter: Die Investitionsdifferenz im Cloud-Sektor beträgt jährlich rund elf Milliarden Euro. Microsoft investiert allein 3,2 Milliarden Euro in deutsche Rechenzentren – die gesamte deutsche Cloud-Branche zusammen nur rund zwei Milliarden.
Hermanns Resümee: „Der wichtigste Schritt ist eine realistische Cloud-Strategie: Partnerschaften mit etablierten Hyperscalern, kombiniert mit lokaler Kompetenzentwicklung und eigenem Schlüsselmanagement für kritische Daten. … Die Zukunft gehört pragmatischer, souveränitätsbewusster Cloud-Nutzung – und entschlossenem Handeln.“
Beispiel KI
In der 2025-Ausgabe des AI Index Report des Stanford Institute for Human-Centered Artificial Intelligence (HAI) ist die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten auf dem weltweiten KI-Markt in zahlreichen Bereichen detailliert dokumentiert. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Entwicklung bedeutender KI-Modelle, den Investitionen in generative KI, der wissenschaftlichen Sichtbarkeit sowie der wirtschaftlichen Nutzung und Regulierung von KI. Trotz eines wachsenden Beitrags anderer Länder bleibt die USA die prägende Kraft im globalen KI-Ökosystem.
Im Jahr 2024 stammten 40 der als „notable“ klassifizierten KI-Modelle aus den Vereinigten Staaten – mehr als doppelt so viele wie aus China (15) und weit mehr als aus Europa (drei Modelle). Auch bei der finanziellen Ausstattung zieht kaum ein Land mit den USA gleich: Die privaten KI-Investitionen in den Vereinigten Staaten erreichten im Jahr 2024 rund 109,1 Milliarden US-Dollar – das entspricht fast dem Zwölffachen der Investitionen in China (9,3 Mrd. USD) und dem 24-Fachen derjenigen im Vereinigten Königreich (4,5 Mrd. USD). Besonders im Bereich der generativen KI liegt die USA weit voran: Mit 33,9 Milliarden US-Dollar floss über die Hälfte des weltweiten Kapitals in US-Projekte. Allein der Unterschied zu China und der EU inklusive Großbritannien beträgt 25,4 Milliarden US-Dollar.
Der wirtschaftliche Einsatz von KI ist in den USA besonders weit fortgeschritten. 78 Prozent der US-Unternehmen gaben 2024 an, KI bereits im Verwendung zu haben – ein erheblicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr (55 Prozent). Auch der Einsatz generativer KI hat sich verdoppelt: 71 Prozent der Firmen nutzen sie in mindestens einer Geschäftsabteilung. Dabei zeigt sich, dass KI zwar bereits in vielen Bereichen finanzielle Auswirkungen hat – etwa bei Kosteneinsparungen im Kundenservice oder Umsatzsteigerungen im Marketing –, jedoch noch überwiegend im unteren einstelligen Prozentbereich.

Be the first to comment