Zehn Jahre LKW-Maut in Österreich

Anfang 2004 ist in Österreich das weltweit erste elektronische LKW-Mautsystem für Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen an den Start gegangen, bei dem Mautkontrolle und Abrechnung der Gebühren bei fließendem Verkehr erfolgen können. [...]

Seither ist dieses von Kapsch errichtete „Multi-Lane-Free-Flow“ (MLFF) Mautsystem unterbrechungsfrei in Betrieb. Durchschnittlich werden pro Werktag 1,8 Millionen Mauttransaktionen durchgeführt. Das ergibt 662 Millionen abgerechnete Transaktionen in der Höhe von mehr als einer Milliarde Euro im Jahr. Die Kosten für den laufenden Betrieb des Systems machen weniger als 10 Prozent dieser Einnahmen aus. Der Erfolg dieser österreichischen Lösung hat dazu geführt, dass Kapsch Aufträge für die Errichtung von Systemen dieser Bauart in der Tschechischen Republik, Polen, Australien, Neuseeland, Weißrussland, Südafrika, Chile und den USA erhalten hat. Mittlerweile bietet Kapsch ein breites Portfolio an Intelligent Transportation Systems (ITS) am Weltmarkt an.

„Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Menschen und eine Notwendigkeit in unserem Wirtschaftssystem. Moderne Technologie leistet einen wichtigen Beitrag, dieses System für die Verkehrsteilnehmer bestmöglich zu organisieren, die Finanzierung der benötigten Infrastruktur zu sichern und sie ökologisch nachhaltig zu gestalten“, so Emil Simeonov, Leiter des Master-Studiengangs Intelligent Transport Systems sowie des Instituts für Angewandte Mathematik & Naturwissenschaften an der FH Technikum Wien. Mautsysteme sind ein wichtiger Baustein dafür. „Für Kapsch war die Inbetriebnahme des weltweit ersten Free-Flow-Mautsystems ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung zu einem globalen Player im Bereich ITS, und Österreich konnte sich damit als Impulsgeber in der internationalen Diskussion um den Verkehr der Zukunft positionieren“, so Michael Gschnitzer, Leiter des internationalen Vertriebs von Kapsch TrafficCom anlässlich des Zehnjahres-Jubiläums. Heute gibt es in Europa acht derartige Systeme. Fünf davon hat Kapsch aufgebaut.

Österreich ist nicht nur eine wichtige Stimme bei der Diskussion der Rahmenbedingungen für intelligente Verkehrssysteme, es ist mit einer Mautdisziplin von mehr als 99 Prozent auch Spitzenreiter in Europa. „Mehrere Elemente tragen zur hohen Akzeptanz der Lösung bei: Zum einen ist das die kostengünstige GO-Box, die sehr einfach in Betrieb zu nehmen ist, und zum anderen sind es die straßenseitigen Kontrolleinrichtungen, die reibungslos und ohne Einschränkung des Fließverkehrs funktionieren“, erklärt Thomas Reznicek, Area Manager Österreich & Schweiz bei Kapsch TrafficCom. Die Kommunikation zwischen GO-Box und Mautsystem erfolgt über den europaweit normierten Funkstandard 5,8 GHz CEN 278. Das System auf Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen besteht aus 911 Mautabschnitten und 112 stationären Mautkontrollpunkten. Zusätzlich sorgen 41 portable Mautkontrolleinrichtungen, die alle vierzehn Tage versetzt werden, sowie 45 mobile Mautkontrollfahrzeuge dafür, dass der überwiegende Teil (mehr als 90 Prozent) des fehlenden Prozentpunkts einer Ahndung zugeführt wird.

In der EU definiert die Wegekostenrichtlinie die Rahmenbedingungen für die Errichtung elektronischer Mautsysteme für LKW auf den TEN-T Strecken (Trans-European Transport Networks). Im internationalen Frachtverkehr braucht es das technische Zusammenspiel der einzelnen Ländersysteme. Die in Österreich verwendete Lösung ist seit 2005 mit der schweizerischen LSVA (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe), seit 2012 mit dem deutschen TollCollect und seit Beginn 2014 mit dem skandinavischen EasyGo-Mautsystem kompatibel. Weitere Interoperabilitätsprojekte mit europäischen elektronischen Mautbetreibern sind in Vorbereitung. Seit 2010 wird das heimische System auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Diese Arbeiten werden bis Ende des Jahres abgeschlossen. Das ausgebaute System kann ohne großen Zusatzaufwand für einen Umstieg von der PKW-Vignette auf ein elektronisches, streckenabhängiges System verwendet werden, sofern der Gesetzgeber sich zu dieser Maßnahme entschließt.

Für elektronische Mautsysteme kommen zwei Technologien in Frage: DSRC (Dedicated Short Range Communication, umgangssprachlich „Mikrowelle“), wie sie etwa in Österreich eingesetzt wird, oder die deutlich weniger verbreitete satellitenbasierte Technologie (GPS, Global Positioning System). „Die Entscheidung für eine Technologie ist abhängig von den spezifischen Anforderungen. Bei Straßennetzen mit sehr langen Strecken und einer begrenzten Anzahl von Fahrzeugen – etwa LKW ab 12 Tonnen – mit hoher Jahreskilometerleistung verwendet man eher GPS. Für eine fahrleistungsabhängige Abrechnung im hochrangigen Straßennetz ist DSRC immer noch unschlagbar“, erklärt der Mautexperte Reznicek.

„Das Verkehrssystem ist das komplexeste nichtlebende System. Ich halte es für eine der aktuell wichtigsten Aufgaben, hier lokal und international nach neuen Lösungen für seine Organisation zu suchen, die möglichst gut zusammenspielen. Das sind zum überwiegenden Teil ökonomische und politische Herausforderungen. Die beste Technologie hilft nichts, wenn wir die Rahmenbedingungen für ihren Einsatz nicht ausreichend diskutieren“, beschreibt Simeonov die Aufgabenstellung. „Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel internationale Erfahrung gesammelt und können die Argumente eines End-to-End-Lösungsanbieters in diese Diskussion einbringen“, so Michael Gschnitzer abschließend. (pi)


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