Der Technologie-, Medien- und Telekommunikationssektor (TMT) Europas steht an einem kritischen Punkt. Während die Branche weltweit seit Beginn des 21. Jahrhunderts massiv expandiert, ist Europa ins Hintertreffen geraten. [...]
Die globale Marktkapitalisierung des TMT-Sektors wuchs von sieben auf 34 Billionen US-Dollar, doch Europas Anteil daran sank dramatisch von 30 auf nur noch sieben Prozent, so die McKinsey-Studie Technology, media and telecom in Europe: The new growth engine or another decade of missing out? Allein dieser Rückgang entspricht einem entgangenen Wertschöpfungspotenzial von rund acht Billionen US-Dollar.
Besonders gravierend zeigt sich der Rückstand beim Blick auf die wertvollsten Unternehmen der Welt. Während 2000 noch 22 europäische Firmen zu den 50 global führenden TMT-Unternehmen zählten, sind es heute nur noch vier. Die USA hingegen steigerten ihren Anteil im selben Zeitraum von neun auf 22 Unternehmen. Ähnlich fällt die Bilanz beim Umsatzwachstum aus: Während sich die europäischen TMT-Umsätze verdreifachten, wuchs der Sektor weltweit um das Fünffache. Europäische Unternehmen tragen damit nur noch rund zehn Prozent zum globalen TMT-Wachstum bei.
Fördermaßnahmen
Neben diesen ökonomischen Rückständen lasten strukturelle Schwächen auf dem europäischen TMT-Ökosystem. Viele Unternehmen sind älter, wachsen langsamer und investieren weniger in Forschung und Entwicklung als ihre internationalen Wettbewerber. Hinzu kommen regulatorische Hürden, ein fragmentierter Markt mit zahlreichen Sprach- und Rechtsräumen sowie ein oftmals eingeschränkter Zugang zu Risikokapital. Im Gegensatz dazu profitieren US-Konzerne von Skaleneffekten, einer dynamischen Gründerszene und aggressiven Wachstumsstrategien, häufig getragen von Fusionen, Übernahmen und vertikaler Integration.
Die geopolitischen Spannungen der letzten Jahre verschärfen die Herausforderungen zusätzlich. Technologische Souveränität, Datensicherheit und resiliente Lieferketten rücken verstärkt ins Zentrum wirtschaftspolitischer Debatten. Programme wie der 2030 Digital Compass der EU zielen darauf ab, Europas digitale Infrastruktur auszubauen, den Aufbau von 5G-Netzen und Quantencomputing voranzutreiben und eine vernetzte europäische Dateninfrastruktur zu schaffen. Die EU schätzt den jährlichen Investitionsbedarf hierfür auf über 130 Milliarden US-Dollar. Parallel dazu fördert die EU gezielt Schlüsseltechnologien. So fließen im Rahmen des Digital Europe Programme bis 2027 rund 1,4 Milliarden US-Dollar in Bereiche wie künstliche Intelligenz, GenAI, Cyberresilienz und digitale Kompetenzen. Auch in der Halbleiterfertigung unterstützt Brüssel mit milliardenschweren Beihilfen an Hersteller wie Infineon und STMicroelectronics den Aufbau eigener Produktionskapazitäten.
Eine besondere strategische Bedeutung erhält der Aufbau souveräner Cloud- und KI-Infrastrukturen. Gerichtsurteile wie Schrems II und der US Cloud Act verdeutlichen die Risiken exterritorialer Datenzugriffe. Da US-Hyperscaler rund 70 Prozent des europäischen Cloud-Marktes dominieren, gewinnen Initiativen wie Gaia-X und die Sovereign European Cloud API an Bedeutung. Sie sollen datenschutzkonforme, interoperable und innovationsfreundliche Infrastrukturen schaffen, die europäischen Standards genügen. Dabei zeigt sich allerdings ein Umsetzungsdefizit: 95 Prozent der europäischen Unternehmen haben den EU AI Act bislang nicht vollständig implementiert, fast die Hälfte hat dafür noch kein Budget eingeplant.
Fünf „Battlegrounds“
McKinsey sieht dennoch konkrete Chancen für einen TMT-Aufschwung. In fünf strategischen Wachstumsfeldern könnten bis 2030 in Europa zusätzliche 800 Milliarden US-Dollar Wertschöpfung generiert werden. Diese „Battlegrounds“ umfassen Content und Commerce, KI und Next-Gen-Software, Connectivity, Data Infrastructure und Tech Services.
Im Bereich Content und Commerce prägt die zunehmende Fragmentierung der Mediennutzung das Marktgeschehen. Digitale Formate beanspruchen inzwischen knapp zwei Drittel der gesamten Medienzeit. Besonders bei der Generation Z dominieren nutzergenerierte Inhalte. Plattformen wie TikTok und YouTube Shorts erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Gleichzeitig entfallen 70 Prozent der globalen Investitionen in Videoinhalte auf nur fünf Unternehmen – keines davon aus Europa. Die Herausforderung für europäische Anbieter besteht darin, lokal relevante Inhalte zu schaffen, starke Distributionspartnerschaften einzugehen und durch KI-gestützte Personalisierung eine präzise Zielgruppenansprache zu erreichen.
Noch bedeutender erscheint das Potenzial im Bereich KI und Next-Gen-Software. Hier erwartet McKinsey bis 2030 ein zusätzliches Marktvolumen von 310 Milliarden US-Dollar. Europäische Softwareanbieter kämpfen jedoch mit langen Vertriebszyklen, fragmentierten Märkten und wachsendem Wettbewerbsdruck durch globale Plattformanbieter. Erfolg verspricht ein systematischer Ausbau des adressierbaren Marktes, der Aufbau skalierbarer Betriebsmodelle, gezielte Investitionen in Fachkräfte sowie frühe und kluge Akquisitionen.
Im Bereich Connectivity bieten vor allem angrenzende Geschäftsfelder Wachstumsperspektiven. Während klassische Telekomdienste nur noch moderat wachsen, eröffnen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie IoT-basierte Angebote zusätzliche Chancen. Netzbetreiber profitieren derzeit vom Ausbau von 5G- und Glasfasernetzen. Zahlreiche Übernahmen bei Mobilfunkmasten und Glasfaseranbietern deuten auf eine fortschreitende Marktkonsolidierung hin, die Skaleneffekte und Effizienzsteigerungen ermöglichen könnte.
Der Ausbau der Dateninfrastruktur entwickelt sich ebenfalls dynamisch. Der steigende Bedarf an Rechenleistung – insbesondere durch GenAI-Anwendungen – lässt die Nachfrage nach modernen Rechenzentren stark wachsen. Hyperscaler dominieren zwar weiterhin den Markt, doch Co-Location-Anbieter könnten durch Kooperationen mit diesen globalen Playern Nischen besetzen und ihre Kapazitäten profitabel erweitern. Zentrale Erfolgsfaktoren bleiben Skalierbarkeit, Energieeffizienz, nachhaltige Kühlungstechnologien und gezielte Innovationsinvestitionen.
Im Bereich Tech Services schließlich agieren Dienstleister zunehmend als Bindeglied zwischen Technologieherstellern und Endkunden. Dabei wird die enge Partnerschaft mit den Technologieanbietern immer wichtiger. Die Anbieter entwickeln gemeinsam branchenspezifische Lösungen, investieren in Automatisierung, KI und agentenbasierte Systeme und erzielen so signifikante Margenvorteile. Gleichzeitig erfordert der Erfolg ein differenziertes Management der Personalressourcen, das Onshore-, Nearshore- und Offshore-Modelle intelligent kombiniert.
Trotz dieser Wachstumschancen bleiben die strukturellen Hürden für Europas TMT-Branche jedoch erheblich. Fehlendes Wachstumskapital, regulatorische Komplexität, Marktfragmentierung und mangelnde Standardisierung stellen nach wie vor große Herausforderungen dar. Viele Führungskräfte erwarten, dass diese Bremsfaktoren auch mittelfristig weiterbestehen.
Dieser Artikel erschien in transform! 02/2025.

Be the first to comment