Auf der Suche nach dem Sinn im Job

Die Pandemie hat die komplette Arbeitswelt massiv verändert und der Fachkräftemangel lastet zusätzlich auf den Unternehmen. Diese müssen ihre Strategien neu denken und neuen Mitarbeitern einen Purpose (Sinn) vermitteln, warum sie sich für einen Job entscheiden sollen. Jörg Salcher, Geschäftsführer der Personalberatung sThree in Österreich, weiß wie das funktioniert. [...]

Jörg Salcher ist Geschäftsführer von sThree Austria. (c) sThree Austria

Was waren Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen in den letzten 2 Jahren im Bereich Personalmanagement?

Zuallererst sicher die Umstellung auf Remote Work. Vorstellungsgespräche, Onboarding, Krisengespräche oder Meetings – all das musste von einem Tag auf den anderen virtuell stattfinden. Für Personalmanager und Führungskräfte war das mit Sicherheit eine große Herausforderung, auf die sie sich in kürzester Zeit einstellen mussten. Angefangen bei der notwendigen technischen Infrastruktur bis hin zu den Skills in Sachen digitale Kollaboration mussten viele Unternehmen in kürzester Zeit viele Ressourcen investieren und viel Neues lernen, um das Geschäft am Laufen zu halten.  

Zum zweiten das Thema Fachkräftemangel. Die durch die Pandemie angefeuerte Digitalisierung hat einen riesigen Bedarf speziell an IT-Fachkräften nach sich gezogen, der durch das Angebot auf dem Markt bei weitem nicht gedeckt werden kann – und die Situation wird sich in den kommenden Monaten und Jahren noch weiter verschärfen. 

Doch nicht nur die Anwerbung neuer Talente ist eine große Herausforderung, sondern auch die Bindung der bestehenden Mitarbeiter. Die gut ausgebildeten Spezialisten sind hart umkämpft und können entsprechende Preise aufrufen. Viele Firmen können hier kaum mithalten – ein echtes Problem für die notwendige digitale Transformation, die durch das Fehlen von Experten an vielen Stellen ins Stocken gerät. 

Was macht einen Arbeitgeber attraktiv bzw. was müssen sie bieten?

Was wir aktuell beobachten ist, dass das Thema „Purpose“, also der Sinn hinter der eigenen Arbeit immer wichtiger wird. Natürlich müssen Gehalt oder sonstige Benefits stimmen, aber häufig kann das der letztlich ausschlaggebende Punkt sein, warum sich vor allem die jungen Fachkräfte für einen Arbeitgeber entscheiden. Sie wollen mit ihrer Arbeit nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch gesellschaftlich oder ökologisch etwas bewegen. Beispiel Klimawandel: Nachfolgende Generationen wird das weit mehr beschäftigen als das vielleicht heute der Fall ist, denn sie sind ja noch direkter von den Auswirkungen betroffen. Unternehmen sollten also das Thema „Corporate Purpose“ ganz oben auf ihre Agenda setzen. 

Und, wie oben bereits erwähnt, das Thema Mitarbeiterbindung: Kümmert sich mein Arbeitgeber um meine psychische und mentale Gesundheit? Gibt es zeitgemäße Angebote zum betrieblichen Gesundheitsmanagement? In der heutigen Gesellschaft der Wissensarbeiter sind die Mitarbeiter das größte und wichtigste Kapital von Unternehmen und sollten entsprechend behandelt werden. Dazu gehört auch, Mitarbeiter aktiv in Change-Prozesse einzubeziehen und ihnen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung aufzuzeigen. Wenn junge Menschen über längere Zeit das Gefühl haben, sie kommen in dem Unternehmen nicht weiter, ziehen sie eben weiter. 

New Work und hybride Arbeitsmodelle sind gekommen, um zu bleiben. Sehen das alle Unternehmen so? Und wie verhält es sich auf Seite der Arbeitnehmer?

Für die Arbeitnehmer hat das Thema „Hybrid Work“ ganz neue Möglichkeiten eröffnet – und die meisten sind nicht bereit, diese Möglichkeiten wieder aufzugeben. Wir sehen, dass sich New Work und Hybrid Work mittlerweile in den Unternehmen etabliert haben – und dass neue Mitarbeiter das mittlerweile als gegeben voraussetzen. 

Zwar gibt es nach wie vor Stimmen, die dann doch lieber den Status quo vor Corona wieder zurückhätten und so manche Führungskraft zweifelt nach wie vor, ob die Arbeit aus dem Homeoffice genauso effizient ist wie im Büro. Aber auch die Skeptiker können sich der Tatsache nicht verschließen, dass diese moderne Art der Arbeitsgestaltung ein entscheidender Faktor beim Recruiting ist. Die meisten allerdings, so unsere Beobachtung, sind mittlerweile gut in dieser neuen Arbeitswelt angekommen und sehen auch die Vorteile. So ist es zum Beispiel für junge Eltern einfacher geworden, wieder in den Beruf zurückzukehren. Und auch für das Recruiting außerhalb des eigenen Standorts haben sich neue Möglichkeiten erschlossen – denn heute muss nicht mehr jeder Mitarbeiter zwingend dort leben, wo auch der Firmensitz ist. Das erweitert den Kreis der möglichen Kandidaten natürlich enorm. 

Warum sind Employer Branding und Purpose für Unternehmen so wichtig?

Beide Punkte können einen großen Einfluss darauf haben, für welchen Arbeitgeber sich Mitarbeiter letztlich entscheiden. Wie gesagt – die jungen Fachkräfte sind heiß umkämpft und wenn das Gehalt und die sonstigen Rahmenbedingungen vergleichbar sind, dann kommt es oft darauf an, welcher Arbeitgeber mehr Strahlkraft hat, cooler ist und moderner und welchen gesellschaftlichen Nutzen er mit seiner Arbeit beiträgt. 

Wie bereits erwähnt, beschreibt Purpose, welcher Sinn mit der eigenen Tätigkeit verknüpft werden kann: Welchen gesellschaftlichen Nutzen haben wir? Was tun wir, um die Welt mit unserer Arbeit ein bisschen besser zu machen? Haben wir Leitlinien für nachhaltiges Wirtschaften – auch was arbeitsrechtliche Fragen oder die Auswahl von Partnern und Lieferanten angeht? All das hat großen Einfluss auf die Arbeitgebermarke und damit auf das Thema Employer Branding und spielt eine große Rolle für die Zukunftssicherung von Unternehmen.

Neben den bereits skizzierten Zielen – Anwerbung neuer Mitarbeiter und die Bindung bestehender – spielt das Thema auch in Sachen Umsatz und Marktposition eine immer größere Rolle. Kunden, Partner oder sonstige Stakeholder legen mehr und mehr Wert darauf, dass sich Unternehmen Leitlinien zum nachhaltigen Wirtschaften verschreiben. Nachhaltigkeitsinitiativen, Maßnahmen zur Gendergerechtigkeit oder für faire und ethische Arbeitsbedingungen zahlen immer stärker auf die Wahrnehmung von Unternehmen ein. Was dabei entscheidend ist: Sich einfach nur ein grünes Logo zu verpassen, funktioniert nicht (mehr). Die angesprochenen Zielgruppen wollen echtes Commitment sehen und greifbare Ergebnisse. All diese Initiativen müssen glaubwürdig sein, sonst fällt einem das ganz schnell auf die Füße. 

Wie sollte eine moderne und effiziente Personalstrategie eines Unternehmens aussehen?

Zunächst: Digital. Viele Abläufe und Tätigkeiten können heute automatisiert erledigt werden, anstatt in manueller und mühsamer Kleinarbeit. Personaler können sich dann verstärkt strategischen Aufgaben zuwenden, beispielsweise der Weiterentwicklung von Mitarbeitern oder dem Aufbau neuer Geschäftsbereiche. 

Wichtig ist zudem, sich auch in der Personalarbeit agil aufzustellen. Die Welt entwickelt und ändert sich rasant und alte Strukturen haben ausgedient. Lange Genehmigungsschleifen und endlose Abstimmungen sind speziell im Recruiting eine große Gefahr. Wenn Bewerber über Wochen oder gar Monate nichts von den Unternehmen hören, suchen sie schnell das Weite und bewerben sich woanders. Das kann sich kein Unternehmen leisten. 

Wie wird Purpose vermittelt?

Purpose kann an den verschiedensten Touchpoints vermittelt werden. Das fängt bei der Stellenanzeige an, geht über den digitalen Auftritt aber auch die Art und Weise, wie die Mitarbeiter eines Unternehmens intern und extern kommunizieren. Das Ganze sollte durch entsprechende Marketingmaßnahmen flankiert werden, damit an allen Stellen, an denen Bewerber oder auch Kunden mit dem Unternehmen in Berührung kommen, den Corporate Purpose wahrnehmen können.

Wie bereits erwähnt: Unserer Einschätzung nach spielt das Thema vor allem für die jüngeren Generationen eine große Rolle. Studien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass beispielsweise für Hochschulabsolventen der Sinn der Arbeit sogar das Gehalt schlagen kann. So kann das mutige, kreative Start-up, das sich gegen die Erderwärmung einsetzt, im Zweifel attraktiver sein als der Konzern, der mit dem großen Geld und Dienstwagen lockt. Wie groß das Bewusstsein unter den jungen Leuten ist, hat nicht zuletzt die „Fridays for future“-Bewegung gezeigt. Und auch die Sensibilität für Geschlechtergerechtigkeit hat in den letzten Jahren sehr zugenommen. Der Frauenanteil in den Unternehmen, gerade in den Vorständen, kann ein ausschlaggebender Punkt sein, warum sich jemand für ein Unternehmen entscheidet. 

Was macht das Thema Fachkräftemangel aktuell so besonders brisant?

Gerade im IT-Bereich, in dem speziell die europäischen Länder noch großen Nachholbedarf haben, verzeichnen wir einen großen Mangel an Experten. Für die digitale Transformation, die entscheidend ist für unsere Stellung auf dem Weltmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit Europas, ist das ein riesiges Problem. Verschärft wird das Ganze noch durch die lange Zeit vernachlässigte digitale Bildung. Uns fehlt – im Vergleich zu anderen Ländern – schlicht der entsprechend qualifizierte Nachwuchs. Und diejenigen, die hochspezialisiert und gut ausgebildet sind, machen sich häufig auf den Weg ins Ausland. 

Gleichzeitig machen wir es ausländischen Fachkräften nach wie vor zu schwer, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Bürokratische Hürden und fehlende Anreize beispielsweise durch Steuererleichterungen sind ein echter Hemmschuh für verstärkte Zuwanderung von Fachkräften. Das ist ein Problem, das dringend von der Politik in Angriff genommen werden muss. 

Ein zweiter Bereich, der uns Sorgen macht, ist das Gesundheitswesen. Auch hier besteht ein großer Mangel an Arbeitskräften, der gerade während der Pandemie nochmal deutlicher geworden ist. Gerade hier spielt das Thema Bezahlung an vielen Stellen eine große Rolle, hier muss dringend nachgebessert werden. 

Welche Lösungen könnte es Ihrer Meinung nach dafür geben bzw. wo müsste man ansetzen?

Von Unternehmensseite braucht es an einigen Stellen mehr Offenheit. Quellen für Fachkräfte, die bisher eher stiefmütterlich betrachtet wurden, müssen stärker erschlossen werden. Ich denke hier an Quereinsteiger oder auch Frauen, speziell in den MINT-Berufen. In vielen Branchen zählen nach wie vor die „geraden“ Lebensläufe, hier sehen wir viel verschenktes Potenzial. Und auch die Förderung von Frauen und Mädchen sollte und muss vorangetrieben werden, damit mehr von ihnen den Sprung in Ingenieur- oder IT-Karrieren wagen. 

Politisch sollte das Thema Freelancer und Firmengründungen dringend angegangen werden: Denjenigen, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagen möchten, werden häufig noch viele Steine in den Weg gelegt, was letztlich dazu führt, dass sie ihr Glück im Ausland suchen. Hier muss die Politik handeln und es Freelancern einfacher machen, hierzulande auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Firmengründungen dauern ebenfalls noch viel zu lange und sind viel zu teuer. Auch dieses Thema lässt uns im Vergleich zu anderen Ländern ins Hintertreffen geraten – und sorgt dafür, dass das nächste innovative Start-up dann doch wieder aus dem Silicon Valley kommt und nicht aus Österreich. 

Wer ist hier mehr gefordert, die Politik oder die Unternehmen?

Das muss Hand in Hand gehen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, die Unternehmen müssen die entsprechenden Maßnahmen schnell umsetzen. Hier wurden in der Vergangenheit entsprechende Forderungen aus den Unternehmen häufig viel zu lange verschleppt – hier müssen wir mehr PS auf die Straße bringen, vor allem was Themen wie Entbürokratisierung und steuerliche Anreize für ausländische Fachkräfte angeht. Es braucht kontinuierlichen Austausch zwischen Politik, Unternehmen aber auch Vordenkern aus den Bereichen Digitalisierung oder Nachhaltigkeit, damit wir hier nicht weiterhin nur reagieren, sondern die Zukunft entscheidend mitgestalten und Trends setzen. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur ging etwa viel zu langsam vonstatten und auch bei den Investitionen in neue Technologien und Start-ups sind uns beispielsweise die USA meilenweit voraus. Wir brauchen hier mehr Mut, Neues zu wagen, um in Europa wieder Innovationstreiber zu werden. 

Wie lauten Ihre Einschätzungen für 2022 und darüber hinaus? Wird sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen? 

Ja, der Fachkräftemangel wird sich auch weiterhin verschärfen, wenn wir hier nicht massiv gegensteuern. Schätzungen gehen davon aus, dass uns bis zum Jahr 2050 bis zu 5 Millionen Fachkräfte fehlen werden. Corporate Purpose, Entbürokratisierung, Investitionen in neue Technologien, der digitale Ausbau und natürlich in vielen Bereichen auch faire Bezahlung gehören hier zu den wichtigsten Stellschrauben. 

Die Arbeitnehmer befinden sich in vielen Branchen derzeit in einer hervorragenden Ausgangssituation, denn sie sind gefragt wie nie. Dennoch liegt es letztlich an uns allen, gemeinsam daran zu arbeiten, dass Europa sich wieder an die Spitze in Sachen Innovationen setzt und seine Wirtschaftskraft erhält und ausbaut. Dieses Bewusstsein zu schaffen, daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten. 


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