Im Mittelpunkt des 16. DSAG-Jahreskongresses standen die Erwartungen der SAP-Kunden an ein künftiges ERP-System, das auch Digitalisierungsvorhaben unterstützt. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem neuen SAP-Produkt S/4HANA. [...]
Über 4.000 Besucher besuchten den 16. Jahreskongress der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), der von 29. September bis 1. Oktober 2015 im Messe und Congress Center Bremen stattfand. Mit acht Keynotes, über 275 Vorträgen in 52 Themensitzungen und 175 Partnern auf einer Ausstellungsfläche von fast 15.000 Quadratmetern bildete die dreitägige Veranstaltung den Rahmen für das größte SAP-Anwendertreffen in Europa. Das Motto „ERP/4 Customer: Mehr als schnell und einfach?“ warf dabei die Frage auf, ob das neue SAP-Produkt S/4HANA den erwarteten Mehrwert für die Anwenderunternehmen bringen kann. Was damit gemeint ist, erläuterte der DSAG-Vorstandsvorsitzende Marco Lenck in seiner Keynote: „Damit S/4HANA zum ERP/4 Customer und vom Markt akzeptiert wird, brauchen Kunden zunächst die darauf basierenden Business Cases, die dann den Einsatz von S/4HANA nach sich ziehen. Geschwindigkeit alleine motiviert Unternehmen nicht, ein neues Produkt einzuführen.“
DIGITALE TRANSFORMATION
Die Erwartungen der SAP-Kunden an ein künftiges ERP-System, das auch Digitalisierungsvorhaben unterstützen soll, sind jedenfalls hoch, wie eine aktuelle Umfrage unter Mitgliedern der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe in Deutschland, Österreich und der Schweiz ergab, deren Ergebnisse auf dem DSAG-Jahreskongress vorgestellt wurde. Die digitale Transformation hält demnach bei den DSAG-Mitgliedern Einzug. 15 Prozent der Befragten sind dabei, Projekte zur Digitalisierung von Geschäftsprozessen aktiv umzusetzen. Fast jedes dritte Unternehmen evaluiert Themen wie Internet of Things und Industrie 4.0.
Die andere Hälfte der Umfrage-Teilnehmer ist noch zurückhaltend und sieht derzeit noch keinen Bedarf. DSAG-Vorstandsvorsitzender Lenck rechnet in den kommenden Monaten mit einem weiteren Schub zu diesem Thema: „In vielen Branchen kann es wettbewerbsentscheidend sein, Geschäftsmodelle an den Markt anzupassen. Daher gilt es, Geschäftsprozessanforderungen schnell, flexibel und möglichst einfach umzusetzen.“ Die Möglichkeiten dafür kann und sollte SAP liefern, sowohl mit neuen als auch mit bestehenden Lösungen.
Mit S/4HANA hat sich SAP aufgestellt, um Lösungsansätze für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen aufzuzeigen. Unter den DSAG-Mitgliedern zeigt sich aktuell noch ein zweigeteiltes Bild, was das neue Produkt betrifft. 37 Prozent der Befragten fehlt der unternehmerische Mehrwert, elf Prozent haben sich noch gar nicht mit S/4HANA beschäftigt. Dem gegenüber stehen sechs Prozent, die ein Projekt gestartet haben. Vier Prozent der Unternehmen haben Lizenzen erworben. Rund 42 Prozent sind gerade dabei, sich zu informieren.
FUNKTIONALITÄT IST DER SCHLüSSELFAKTOR
Was DSAG-Mitglieder aktuell benötigen, um einen Einsatz von S/4HANA besser abwägen zu können, sind vor allem konkrete Informationen, welche Funktionen die Lösung abdeckt. Für 72 Prozent der Befragten ist dies das wichtigste Entscheidungskriterium. „Der Erfolg eines ERP für Kunden (ERP/4 Customer) wird sich über die Funktionalität entscheiden. Sie ist der Schlüssel für Digitalisierungsvorhaben“, sagt DSAG-Vorstandsvorsitzender Lenck. „SAP stellt diese Informationen derzeit noch nicht ausreichend zur Verfügung.“ Weiterhin fehlen laut DSAG-Umfrage konkrete Aussagen zum Geschäftsnutzen, zum Lizenzmodell und Informationen zu den Voraussetzungen, wie Unternehmen auf S/4HANA migrieren können. Aus diesen Gründen sei Lenck zufolge eine gewisse Zurückhaltung und Skepsis unter den Mitgliedern zu spüren.
Laut SAP lassen sich die Leistungspotentiale der entsprechenden Lösungen nur durch die tiefe Integration zwischen der hauseigenen HANA-Datenbank und den SAP-Anwendungen vollständig ausschöpfen. Doch viele Unternehmen haben in der Vergangenheit in Produkte von IBM, Oracle und Co. investiert. Sie sehen nicht immer einen triftigen Grund, leistungsfähige Datenbanken abzulösen und sich von einem Anbieter abhängig zu machen. Es sei denn, die versprochenen Leistungspotentiale bringen einen deutlichen Mehrwert für die Unternehmen. „Daher fordert die DSAG aus technologischer Sicht mehr Offenheit bei den Systemen. Es müssen Alternativen zugelassen werden ohne Einbußen im Funktionsumfang und in der Leistung. Dafür bedarf es Standards und der Offenlegung von Spezifika, damit auch andere Datenbankhersteller die Möglichkeit haben, im SAP-Kontext eingesetzt zu werden“, formuliert Hans-Achim Quitmann, DSAG-Vorstand Technologie, eine der zentralen Forderungen der SAP-Anwender.
ROADMAP FüR DIGITALISIERUNG
Mit dem übergang von der ERP-Welt auf S/4HANA rückt auch das Thema Upgrades in den Vordergrund. „Es bedarf einer Roadmap für die digitale Transformation und nicht nur für die Ausrichtung auf S/4HANA. Das bedeutet, auch die bestehende Business Suite muss gleichberechtigt zu S/4HANA und vor allem vollständig weiterentwickelt werden“, lautet eine Forderung von Andreas Oczko, Vorstand Operations/Service & Support. Denn auch wenn viele SAP-Kunden von der digitalen Transformation betroffen sind, wechseln sie nicht zwangsläufig auf S/4HANA. „Sie erwarten, dass die Systeme weiter gepflegt werden, in deren Wartung sie regelmäßig investieren“, so Andreas Oczko. Hat sich doch der Kunde mit seiner Investition strategisch mit SAP positioniert. Demzufolge erwartet er eine Preispolitik, die in angemessener Weise Innovationen in die Zukunft ermöglicht, und dass die Lösungen über die Wartung (Softwarepflege) technisch und inhaltlich aktuell gehalten werden. Darin sieht Andreas Oczko eine wichtige Aufgabe für SAP, um ihrer Rolle als strategischer Partner der Kunden gerecht zu werden.
BUSINESS SUITE ALS ERP-RüCKGRAT
Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Ergebnissen der DSAG-Umfrage, laut denen die klassische SAP Business Suite vielfach als strategisches ERP-Rückgrat im Unternehmengesehen wird. 70 Prozent bescheinigen ihr einen hohen, 22 Prozent einen mittleren Stellenwert. Ein im Unternehmen betriebenes S/4HANA ist für über ein Viertel strategisch relevant. Fast 37 Prozent sehen eine mittlere Bedeutung. Die Cloud-Lösungen fallen dagegen in den unteren einstelligen Bereich.
„DSAG-Mitglieder haben großes Knowhow im Bereich der Business Suite aufgebaut und vertrauen darauf, damit ihre Prozesse heute und in Zukunft effizient und möglichst vollständig abzubilden. Trotz innovativer Produkte muss die Zukunftssicherheit bei der Business Suite bestehen bleiben“, lautet die Forderung seitens der DSAG. Das bedeutet, auch bestehende SAP-Produkte müssen Digitalisierungsstrategien der Unternehmen unterstützen und sich dahingehend erweitern lassen bzw. weiterentwickelt werden.
STRATEGISCHE üBERLEGUNGEN
Welche konkreten neuen Geschäftsprozesse und -modelle S/4HANA für die Trendthemen Industrie 4.0 und Internet of Things unterstützt, ist vielfach noch ein Gedankenspiel. Klar hingegen ist für Otto Schell, Fachvorstand Branchen/Geschäftsprozesse, dass mit S/4HANA eine End-to-End-Sicht auf die Geschäftsprozesse möglich sein muss. Gerade weil sich viele Branchen in der Transformation befinden, erwartet er die Integration neuer intuitiver Anwendungen unter Berücksichtigung der bestehenden. Gleiches gilt auch für die Integration von hybriden On-Premise- oder auch Cloud-Lösungen und deren Zusammenspiel. Andernfalls müssten notwendige Zusatzprodukte einfach und reibungslos einzubinden sein, so die Forderung von Schell. über alle Bereiche hinweg betrachtet wird deutlich: Der Einsatz neuer Technologien ist nur Mittel zum Zweck. Wichtiger für die Unternehmen ist es, individuelle Strategien für die digitale Transformation zu entwickeln oder über neue Geschäftsmodelle nachzudenken. „Möglichkeiten gibt es viele – man sollte sich nur nicht von äußeren Faktoren abhalten lassen und vielmehr Denkanstößen in allen Richtungen nachgehen“, so Schell.
Unter den österreichischen DSAG-Mitgliedern genießt HANA nach Einschätzung von Wolfgang Honold, DSAG-Vorstand für Österreich, im Vergleich zur gesamten DACH-Region aktuell einen höheren Stellenwert. „Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei aller Innovation zum Beispiel die Weiterentwicklung der SAP-Lösung für das Personalwesen innerhalb von SAP ERP bzw. S/4HANA für die österreichischen Unternehmen von essenzieller Bedeutung ist“, sagt Honold. Eine Ablösung von SAP Human Capital Management durch SuccessFactors wäre nur dann vorstellbar, wenn die reibungslose Integration gewährleistet und die landesspezifischen Anforderungen in der Lohnabrechnung umgesetzt sind. (pi/oli)
INTERVIEW: „Eine Neuinstallation ohne Datenbankrestriktion würde ich auf HANA machen“
Wolfgang Honold ist Österreich-Vorstand der DSAG sowie CIO des Vorarlberger Unternehmens Getzner Textil AG.
Was beschäftigt Sie denn derzeit in Ihrer Rolle als SAP-Anwendervertreter?
Das Hauptthema ist eindeutig HANA bzw. S/4HANA und alles was damit zusammenhängt. Entscheidend ist dabei unter anderem die Frage, wie es mit Kunden aussieht, die Datenbanken anderer Hersteller einsetzen. Wenn jemand Oracle als strategische Plattform hat und Oracle nicht nur für SAP einsetzt, sondern auch für andere Applikationen, dann kann man ja nicht ganz easy einfach Oracle rausschmeißen und sich auf HANA stürzen. Die klare Forderung der DSAG ist daher, dass alle SAP-Weiterentwicklungen auch auf In-Memory-Datenbanken anderer Hersteller funktionieren müssen.
Das Argument, dass alles besser integriert ist und schneller läuft, wenn die Applikationen und die Datenbank von einem Hersteller kommen, ist aber nicht von der Hand zu weisen, oder?
Nein, das Argument passt. Wenn ich wie bei Getzner in der Situation bin, dass ich eine Datenbank nur für SAP verwende, dann ist das ja auch praktikabel, einfach die alte Datenbank rauszuschmeißen und HANA reinzunehmen. Bei vielen Unternehmen ist das aber nicht so.
Gibt es bei Getzner HANA-Pläne?
Wir haben ein BW auf HANA aber den Schritt ERP on HANA haben wir noch nicht gemacht. Die überlegung ist zwar da, aber es gibt keinen Business Case, wo wir schlagartig viel mehr Geld verdienen würden. Ich kann zwar einen Nutzen erkennen, aber der ist nicht so gravierend, dass ich deswegen alles liegen und stehen lasse. Aber wenn die derzeitigen Projekte abgeschlossen sind, wie die Fertigstellung eines neuen Werkes, dann kommt HANA dran.
Welche Hindernisse sehen Sie beim Umstieg auf HANA? Dass viele SAP-Anwender schon Datenbanken anderer Hersteller im Einsatz haben?
Das ist sicher der größte Punkt. Inwieweit solche Anwender bereit sind, die Schwierigkeiten eines Datenbankwechsels in Kauf zu nehmen, wird sich erst zeigen. Da wird es noch einige Zeit brauchen, bis sich herausstellt, ob HANA in der Praxis wirklich so gut ist und inwiefern auch andere Hersteller bereit sind, in diesem Bereich intensiv was zu tun.
Was würden Sie bei einer Neuinstallation tun?
Wenn ich keine Datenbankrestriktionen hätte, dann würde ich nicht mehr allzulange diskutieren. Es gibt so viele kleine Zusatznutzen, dass der Mehrwert so sicher kommt wie das Amen nach dem Gebet. Eine Neuinstallation würde ich daher nur mehr auf HANA machen und würde mich auch trauen, S4/HANA ins Auge zu fassen. Es gibt aber schon noch Informationsbedarf was zum Beispiel die Roadmaps von SAP betrifft und welche Funktionalitäten es da noch geben wird, die es bisher vielleicht nicht gab.
Welche Rolle spielt die Cloud für Sie im ERP-Bereich?
Wir nutzen Office 365 und Exchange in der Cloud und in diesem Bereich ist Cloud natürlich die Zukunft. Da hat man dann immer die neuesten Updates und das ist gut so. Der Cloud-Markt im ERP-Bereich ist schwieriger. In Excel hat wohl kaum eine Firma groß Customizing betrieben, daher ist die Cloud-Nutzung hier kein Problem. Im ERP-Bereich ist das ganz anders. Da gibt es sehr viele firmenspezifische Anpassungen und wenn man da in der Cloud jedes Update mitmachen muss, ist das Risiko, dass nachher etwas nicht mehr funktioniert viel höher. Das muss noch reifen und einige Dinge müssen erst geklärt werden. Bedenken habe ich zudem bei der Datensicherheit. Nicht weil ich mir einbilde, dass mein eigenes Rechenzentrum hundertprozentig sicher ist, das wäre eine Illusion. Aber ich habe selbst die Kontrolle. Wenn jetzt bei einem großen Anbieter wie SAP hunderttausende Firmen auf einem Cloud-System liegen und irgendjemand mit der Pistole zum SAP-Chef kommt, dann macht der die Datenbank auf. Da hab ich die Daten lieber bei mir im Haus, dann bin ich selber dafür verantwortlich.
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