Auf dem Weg zum digitalen Euro?

Mitte Juli 2021 startete die Europäische Zentralbank eine zweijährige Probephase des digitalen Euro. Dies wirft viele Fragen auf: Was bedeutet das für das Bargeld? Was genau ist ein digitaler Euro und warum brauchen wir ihn? Eine Führung durch die Welt des digitalen Geldes. [...]

Besser als Bargeld auf dem Handy: Der digitale Euro kann in einer sogenannten Wallet App beispielsweise auf dem Smartphone gespeichert werden. (c) Pixabay

Digitale Dateien (Musik, Videos, Fotos oder Software) eignen sich hervorragend für den Onlinehandel, aber auch Bücher, Computer, Kleidung und viele weitere Gegenstände des Alltags werden bereits online gekauft und bezahlt. In der Zeit der Corona-Pandemie hat sich der Trend zum Online-Shopping deutlich verstärkt. 

Weswegen braucht es also einen digitalen Euro, werden sich viele fragen, da sie ja ohnehin bereits Waren über das Internet erwerben und die entsprechenden Rechnungen online begleichen? Hier zeigt sich, dass es Unterschiede zwischen den Erscheinungsformen des Geldes gibt. Im E-Commerce wird Geschäftsbankengeld verwendet – und zwar in Form von Giralgeld, also Geld, das sich auf einem Konto befindet. Genaugenommen handelt es sich um eine Forderung auf Bargeld – gezahlt wird indem die entsprechenden Summen mittels Buchungen von Girokonto zu Girokonto übertragen werden. Kommt die Hausbank in wirtschaftliche Schwierigkeiten und muss zusperren, ist auch das Guthaben auf dem Konto weg (es sei denn der Staat haftet für eine gewisse Summe).

Das Bargeld andererseits ist Zentralbankengeld, für das die Zentralbank gerade steht. Bargeld kann direkt zwischen zwei Menschen beziehungsweise zwei Parteien ausgetauscht werden und braucht keinen Vermittler (Intermediär) wie eine Bank. Zudem ist es ein vollkommen anonymes Zahlungsmittel. Übrigens: Das auf dem Chip der Bankomatkarte gespeicherte Geld ist ebenfalls Giralgeld und kein digitaler Euro – es serhöht jedoch die Anonymität des Bezahlvorganges.

Bargeld ergänzen, nicht ersetzen

Jedenfalls startete die Europäische Zentralbank nach Monaten eingehender Analysen am 14. Juli 2021 eine auf zwei Jahre ausgelegte konkrete Untersuchungsphase zum Thema digitaler Euro. Vor neun Monaten habe die Europäische Zentralbank (EZB) einen Bericht über einen digitalen Euro veröffentlicht, erinnert sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Seither habe man laufend weitere Analysen vorgenommen, Feedback von Bürgerinnen und Bürgern sowie aus Fachkreisen eingeholt und eine praktische Erprobung durchgeführt, wobei die Ergebnisse durchaus vielversprechend waren. »All dies hat uns zu der Entscheidung geführt, einen Gang hochzuschalten und den Startschuss für das Projekt zum digitalen Euro zu geben«, resümmiert die EZB-Präsidentin und betont: »Unsere Arbeit soll sicherstellen, dass Privatpersonen und Unternehmen im digitalen Zeitalter weiterhin Zugang zu der sichersten Form von Geld – dem Zentralbankgeld – haben.« Zudem versichern alle Beteiligten, dass der digitale Euro das Bargeld nur ergänzen, sicher aber nicht ersetzen werde.

Als angepeiltes Ziel nennt die EZB ganz allgemein, dass ein digitaler Euro in der Lage sein muss, den Bedürfnissen der Menschen in Europa gerecht zu werden. Zugleich soll er dazu beitragen, rechtswidrige Aktivitäten zu verhindern und etwaige unerwünschte Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die Geldpolitik zu vermeiden. 

Banken sind nervös

Ein Wort zur Finanzstabilität: Wie oben erklärt wandelt jemand, der Geld vom Bankomaten bezieht, Giralgeld (das auf dem Konto liegt) in Zentralbankgeld (das Bargeld, das ausgezahlt wird) um. Ist irgendwann das Abheben beziehungsweise Speichern auf eine sogenannte Wallet-App (englisch für Geldbörse) möglich, könnte man ja sein ganzes Vermögen als digitale Euros speichern und bräuchte keine Konten mehr und vielleicht auch weniger Bankdienstleistungen. Dies wiederum könnte zu Liquiditätspässen bei den Bankinstituten führen. Kein Wunder, dass die Banken nervös sind und sich zum Beispiel als jene Mittler einbringen, von denen die Bürger und Bürgerinnen ihre digitalen Euros beziehen sollen. Denn derzeit können nur Banken direkt Zentralbankgeld beziehen. Der digitale Euro könnte jedoch vom Konsumenten direkt von der Zentralbank zur Verfügung gestellt werden. Allerdings soll der digitale Euro ganz bewussst kein Mittel der Geldanlage sein, weswegen gegenwärtig eine Höchstgrenze pro Nutzer diskutiert wird. Diese könnte irgendwo zwischen 3.000 und 4.000 Euro liegen.

Die Vorteile des digitalen Euro für die einzelne Bürgerin, den einzelnen Bürger, sind überschaubar und reichen von weniger Rechnungen in der Geldbörse bis zur mehr Bequemlichkeit bei bargeldlosen Geschäften. Ein digitaler Euro, der auf Distributed-Ledger-Technologien (DLT) wie der Blockchain basiert, wäre auch programmierbar. Dies könnte im Bereich Internet-of-Things und bei Machine-to-Machine-Zahlungen neue Automatisierungsmöglichkeiten schaffen. Ein Beispiel wäre ein E-Auto, das selbstständig den bezogenen Strom an der Ladesäule im Parkhaus bezahlt. Auch der Datenschutz könnte beim digitalen Euro wesentlich stärker ausfallen als bei gegenwärtigen Internet- oder Kartenzahlungen.

Anders sieht es aus, wenn man die Bedeutung des digitalen Euros für den europäischen Wirtschafts- und Währungsraum betrachtet. Hier tritt er zu den bereits bestehenden Zahlungsformen in Konkurrenz und stellt eine europäische Alternative zu Zahlangeboten privater, zumeist amerikanischer Firmen dar, wie beispielsweise PayPal oder ApplePay.

Nicht nur Blockchain

Wie oben kurz erwähnt, kann der digitale Euro auf dem technischen Fundament einer DLT- oder Blockchain-Technik aufbauen. So hat sich Schweden, das sich mit seinem »e-krona«-Projekt bereits in der Proof-of-Concept-Phase befindet, für die DLT-Technik entschieden.  In der EU steht aber neben der Blockchain-Technologie auch das TARGET Instant Payment Settlement (TIPS) des Eurosystems als Alternative zur Verfügung. Beide Technologien waren nachweislich in der Lage, mehr als 40.000 Transaktionen pro Sekunde zu verarbeiten. Überdies ergaben die Tests, dass Architekturen möglich sind, die zentrale und dezentrale Elemente vereinen. Wer wissen will, welche Länder welche Projekte bezüglich digitalem Geld verfolgen und wie weit sie dabei bereits fortgeschritten sind, dem sei die Website CBDC-Tracker unter https://cbdctracker.org empfohlen. Spoilerwarnung: China führt das Feld an und befindet sich bereits in der Pilotphase. 

Hier muss zwischen zwei CBDC-Konzepten unterschieden werden: Wholesale und Retail. Beim Wholesale CBDC werden die digitalen Zentralbankreserven nur Finanzinstituten zugänglich gemacht, beim Retail CBDC (jener Form, um die es hier geht) wird Endkunden (natürlichen Personen, Unternehmen und staatlichen Behörden) ein direkter Zugang zu digitalem Zentralbankgeld ermöglicht. Während beispielsweise Kanada und Frankreich gegenwärtig ebenfalls Pilotprojekte bezüglich digitalem Geld betreiben, handelt es sich nur beim chinesischen Pilot um Retail CBDC. 

Der digitale Euro ist übrigens auch keine Kryptowährung wie Bitcoin, wobei Währung nur auf den Euro zutrifft, nicht auf Bitcoins, die ja eben nicht von einer Zentralbank ausgegeben werden. Das Mining, also das Schürfen neuer Bitcoins mittels komplizierter mathematischer Aufgaben, benötigt zudem äußerst viel Strom und ist extrem umweltschädlich. Hier versichert die EZB, dass eigenen Tests zufolge der Energieverbrauch für die Durchführung zehntausender Transaktionen pro Sekunde bei den getesteten Architekturen im Vergleich zu Krypto-Assets wie Bitcoin vernachlässigbar sei und spricht von einer umweltfreundlichen Kerninfrastruktur für den digitalen Euro.

Que sera sera

Der digitale Euro soll also wie Bargeld funktionieren, Anonymität und Privatsphäre bieten, gleichzeitig aber doch kriminelle Machenschaften unterbinden helfen – das ist ein ziemlicher Spagat, den die EZB hier hinlegen muss. Ob der digitale Euro kommt oder nicht und falls ja in welcher Form ist aus heutiger Sicht noch ungewiss. Technisch scheint alles umsetzbar, aber letztlich ist es eine politische Entscheidung, weswegen die EZB die Entscheidungsmöglichkeiten mit dem Europäischen Parlament und anderen europäischen Entscheidungsträgern diskutieren will. Es gibt Gründe dafür und dagegen. Dänemark hat sein digitales Währungsprojekt bereits offiziell beendet, da Preis- und Finanzstabilität als wichtiger erachtet werden als der Zugang zu digitalem Zentralbankgeld. Andere Länder inklusive der EZB sind hinsichtlich CBDC optimistischer. Beim digitalen Euro ist alles offen, jetzt heißt es jedenfalls zwei Jahre zu warten.


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