Sogar die Politik ist sich mal ausnahmslos einig: Behörden müssen digital unabhängig werden. Die neue E-Government-Strategie soll dabei helfen, dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen. Um ihre Abhängigkeit von einzelnen US-Konzernen zu beenden, raten Experten dazu auf ebenso sichere wie flexible Open-Source-Lösungen umzustellen. [...]
Selten herrscht zwischen den politischen Parteien in Österreich Einigkeit. Umso bemerkenswerter ist es, dass der Ruf nach mehr digitaler Souveränität nahezu unisono zu vernehmen ist. Als Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP) Anfang Juni den Beschluss zur „E-Government-Strategie 2023“ verkündete, mit der die Verwaltung „serviceorientiert und bürgernah“ weiterentwickelt werden soll, hörte man selbst aus den anderen Parteien vor allem lobende Worte. So sieht etwa Hans Peter Doskozil (SPÖ), Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, die E-Government-Strategie als ein gutes Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden funktionieren könne.
Mit der E-Government-Strategie wird die digitale Verwaltung in Österreich laut Florian Tursky „einfacher, bequemer und noch sicherer“. Beispielsweise werde das „Once-Only-Prinzip“ umgesetzt, in dem die Bürgerinnen und Bürger ihre Dokumente nur noch an einer Stelle hochladen und nicht „von einem Amt zum nächsten tragen müssen“, so Tursky.
Bei der Umsetzung der neuen Strategie soll der Fokus anfangs vor allem auf der breiten Einführung der ID Austria, der Vernetzung von Serviceportalen und der digitalen Souveränität liegen.
Aktuelle Krisen zeigen wie wichtig digitale Unabhängigkeit ist
Vor allem der Punkt der digitalen Souveränität ist entscheidend, wenn es um die Zukunft Österreichs geht. Die „europäische digitale Dekade“ böte die Chance, die digitale Entwicklung weiter voranzutreiben und Österreich als Vorreiter in diesem Bereich zu etablieren, heißt es aus dem Bundesrechenzentrum. Die digitale Transformation habe in den letzten Jahren in Europa und insbesondere in Österreich stark an Bedeutung gewonnen. Globale Krisen wie die Corona-Pandemie oder kriegerische Handlungen innerhalb Europas seien aktuelle Beispiele, die zeigten, wie hoch das Bedürfnis nach Resilienz im Krisenfall tatsächlich sei. „Die digitale Souveränität von Staaten beziehungsweise staatlichen Einrichtungen hat an Bedeutung gewonnen“, weiß Robert Bauer, Senior Product Manager im Bundesrechenzentrum.
Der dringende Bedarf an ausfallsicheren, schnell verfügbaren und technisch gut entwickelten Technologien zeigt, vor welchen Herausforderungen Österreich und die Europäische Union stehen. „In einem digitalisierten Europa ist es wichtig, sicherzustellen, dass die digitalen Anwendungen der Behörden den öffentlichen Bedürfnissen und Erwartungen sowie den gesetzlichen Anforderungen entsprechen“, erklärt Robert Bauer. Um die Möglichkeit der Selbstbestimmung zu wahren, sei es wichtig, dass öffentliche Verwaltungen und auch deren IT-Dienstleister die volle Kontrolle über die Daten ihrer Bürgerinnen hätten. Nur so könne deren Verfügbarkeit und Sicherheit gewährleisten werden.
Mit quelloffenen Lösungen zur digitalen Souveränität
Gestärkt werden soll die digitale Souveränität in Österreich unter anderem durch den Einsatz von Open-Source-Lösungen. Konkret heißt es in der „E-Government Strategie 2023“: „Die digitale Souveränität wird durch Erhebung und Evaluierung der Einsatzfelder von Open-Source-Produkten sowie der Identifikation von Kooperationsmöglichkeiten gestärkt.“ Bei Konzeption, Entwicklung und Betrieb von IT-Systemen werde die Notwendigkeit digitaler Souveränität der eingesetzten Daten mitberücksichtigt.
Bei der Identifikation von Kooperationspartnern richtet sich der Blick nicht zuletzt auf Lösungen, die sich bereits in der Praxis bewährt haben und somit zeitnah eingeführt werden können. Dazu gehören modulare Systeme, wie sie unter anderem bereits in einigen deutschen Bundesländern genutzt werden. So wird in Deutschland an einem digital souveränen Arbeitsplatz gearbeitet, der in einer Ausprägung als dPhoenixSuite des deutschen Open Source-Spezialisten Dataport zum Einsatz kommt.
Anders als bei proprietären Lösungen von einzelnen Anbietern aus Übersee stammen die unterschiedlichen Module dabei von verschiedenen Open-Source-Spezialisten aus Europa. Die Komponenten für den Bereich E-Mail und Groupware kommen beispielsweise vom deutschen Unternehmen Open-Xchange und die Komponenten zur Integration von Univention. Die Plattform für das Teilen und den Zugriff auf Daten wird wiederum von Nextcloud beigesteuert, das Modul zur Echtzeit-Kommunikation von Matrix und der Bereich Videokonferenzen von Jitsi. Letztlich können die einzelnen Bausteine aufgrund des offenen Quellcodes prinzipiell allerdings auch von anderen Anbietern bezogen werden. Anders als bei proprietärer Software von Microsoft & Co, wo man auf einen Hersteller angewiesen ist, liegt die Kontrolle – und damit die Souveränität – also jederzeit beim Anwender.
In Österreich gibt es ebenfalls bereits Anlaufstellen für Behörden wie auch für Unternehmen, die sich von den großen Software-Konzernen lösen und auf quelloffenen Code setzen wollen. Beispielsweise unterstützt die argo IT, eine Genossenschaft von Open-Source-Spezialisten, Behörden und Unternehmen dabei, sich digital unabhängig zu machen. Wer mit dem Gedanken spielt, sich im IT-Bereich neu und selbstbestimmt aufzustellen, erhält bei der Genossenschaft Unterstützung sowohl bei der Planung als auch bei der Entwicklung und Migration.
Zu den Organisationen, die sich allgemein für die Wiederverwendung von Code einsetzen, gehören epiccenter.works mit Sitz in Wien sowie die Free Software Foundation Europe (FSFE). Auch von deren Arbeit und Know-how können sowohl Behörden als auch Privatunternehmen profitieren.
Daten sollten in Europa liegen
Robert Bauer vom Bundesrechenzentrum sieht in der Speicherung von Daten außerhalb der EU ein Risiko. „Bei der Entwicklung von Lösungen sollte daher die Nutzung von nationalen oder zumindest innereuropäischen Rechenzentren, die von Drittstaaten unabhängige Leistungen anbieten, verstärkt in Betracht gezogen werden“, lautet seine Empfehlung.
Das man sich in Europa bislang zu sehr von Großkonzernen aus den USA und China abhängig gemacht hat, hat Florian Tursky bereits unumwunden eingestanden. Deshalb arbeite man gemeinsam mit anderen EU-Ländern an einer digitalen Souveränität Europas, so der Digitalisierungsstaatssekretär. Man dürfe bei der Digitalisierung nicht die gleichen Fehler machen wie bei der Globalisierung. Damit spielt Tursky unter anderem auf die Tatsache an, dass die meisten Daten – auch von europäischen Behörden und Unternehmen – bei US-Unternehmen liegen. Um Datenmonopole in den Vereinigten Staaten und in China zu vermeiden, müsse Europa über eigene Datensysteme verfügen, betont Tursky.
Davon, dass Microsoft mittlerweile eine spezielle Lösung für den Public Sector bewirbt, sollte man sich übrigens nicht blenden lassen. Dass der US-Konzern damit Kunden tatsächlich eine digitale Souveränität ermöglicht, klingt zu schön, um wahr zu sein. Letztlich ist der einzige Unterschied zu den bisherigen Angeboten von Microsoft, dass ausgewählte IT-Fachleute hier einmal im Jahr einen Blick in die Software werfen dürfen, um zu schauen wie diese aufgebaut ist. Aktives Mitgestalten ist also nicht möglich. Um eine Sicherheitslücke schließen zu können, muss man somit wie bisher auf einen schnellen Patch von Microsoft hoffen. Mitunter wartet man darauf allerdings erfahrungsgemäß teils lange – oder sogar vergeblich.
Chip-Mangel als warnendes Beispiel
Welche weitreichenden Konsequenzen es haben kann, zu stark von anderen Teilen der Welt abhängig zu sein, zeigte sich nicht zuletzt beim Chip-Mangel. Aufgrund der Corona-Pandemie und weiterer Faktoren konnten viele europäische Unternehmen in den letzten Jahren nicht mehr voll produzieren und mussten teils sogar Konkurs anmelden. Mit Maßnahmen wie dem European Chips Act soll sich das ändern. Die europäische Staatengemeinschaft will mit dem neuen Gesetz dafür sorgen, dass sich der EU-Marktanteil an der globalen Chip-Produktion bis 2030 von derzeit 10 auf 20 Prozent verdoppelt.
Mindestens genauso wichtig ist es nun, die digitale Souveränität in österreichischen Behörden und Unternehmen voranzubringen. Trotzt des politischen Willens über Parteigrenzen hinweg sollten sich die Verantwortlichen in den Behörden wie auch Unternehmen dabei allerdings nicht allein auf Anstöße aus der Politik verlassen. Letztlich liegt es vor allem an der Eigeninitiative jedes Einzelnen, ob die Abhängigkeit von einigen wenigen Großkonzernen aus Übersee bald der Vergangenheit angehört.
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