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Nicht Cloud, KI oder Big Data – das größte Thema der Branche und Dauerbrenner seit vielen Jahren ist der IT-Fachkräftemangel. Im Computerwelt Expert Talk wurde Ende Mai bei ETC über Gründe, Auswege und notwendige Maßnahmen diskutiert. [...]

Corona-gerecht und mit Abstand postiert wurde mehr als eineinhalb Stunden intensiv zum Thema IT-Fachkräftemangel diskutiert. (c) timeline – Rudi Handl
Corona-gerecht und mit Abstand postiert wurde mehr als eineinhalb Stunden intensiv zum Thema IT-Fachkräftemangel diskutiert. (c) timeline – Rudi Handl

Der Ende Jänner präsentierte fünfte IKT Statusreport der Fachgruppe UBIT der WK (Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie) zeigt auf, dass derzeit einfach zu wenige qualifizierte IT-Hochschulabsolventen und FH-Absolventen in Österreich ausgebildet werden. Die Dropout-Quoten beim Informatik-Studium sind enorm, jeder zweite Student bricht sein Studium ab, vielfach auch deshalb, weil die Studienabbrecher bereits attraktive Angebote bekommen und in der Branche in Jobs einsteigen. Frauen sind nach wie vor in IT-Studienrichtungen unterrepräsentiert. Der Frauenanteil bei den Informatik-Master-Abschlüssen an Österreichs Unis beträgt nur 14 Prozent (!). Wenn es auch an den FHs etwas besser aussieht, so sind Frauen wenig repräsentiert. Am Arbeitsmarkt dümpelt der Frauenanteil bei den unselbständigen Erwerbstätigen in der heimischen IT-Branche seit Jahren bei rund 28 Prozent Zum Vergleich: Insgesamt sind in Österreich rund 46 Prozent der heimischen Arbeitskräfte bzw. Angestellten Frauen.

Ein Blick auf die Stellenanzeigen und Gespräche mit vielen Unternehmen beweisen es: Der österreichischen Wirtschaft fehlen derzeit tausende IT-Fachkräfte und alle Prognosen besagen, dass sich diese Situation in den kommenden Jahren noch zuspitzen wird. Wir haben sieben Expertinnen und Experten befragt und mit Corona-tauglichem Sicherheitsabstand diskutiert, welche Maßnahmen es braucht, um Auswege aus dem IT-Fachkräftemangel zu finden und das Problem langfristig in den Griff zu bekommen.

Cornelia Samec, TietoEVRY, SAP Lead Consultant und People Managerin

Cornelia Samec von TietoEVRY arbeitet seit 18 Jahren im SAP-Umfeld und agiert heute als SAP Lead Consultant und People Managerin. Die Absolventin der HTL Spengergasse meint aus ihrer persönlichen Perspektive: „Man sollte unbedingt schon in der Schule beginnen, bei Mädchen das Interesse für die ICT-Branche zu erhöhen. Aktuell spüren wir bei TietoEVRY den IT-Fachkräftemangel selbst sehr. Wir suchen dringend Personen im SAP Umfeld“, sagt Samec.

Markus Neumayr, Geschäftsführer Ramsauer & Stürmer

Markus Neumayr, Geschäftsführer vom ERP-Entwicklungshaus Ramsauer & Stürmer knüpft gleich an: „Wir entwickeln ERP-Lösungen in der gesamten Bandbreite, von der Finanz bis hin zu Produktion und haben ein sehr breites Bedarfsspektrum an IT-Kräften, von der Software-Entwicklung bis hin zur System-Einführung. Es ist daher sehr wesentlich für uns, den Ausbildungspart an den Universitäten und FHs zu forcieren. Wir setzen auch auf parallele Ausbildungswege bis hin zur Lehre.“

Sonja Gögele, Leiterin des Instituts für Internet-Technologien und -Anwendungen an der FH Joanneum in Graz

Sonja Gögele, von der FH Joanneum und dort Leiterin des Instituts für Internet-Technologien und -Anwendungen, ist seit 40 Jahren in der ICT-Branche tätig und kennt viele Bereiche, von der Software-Entwicklung bis hin zum Consulting: „Ich arbeite seit 21 Jahren an der FH Joanneum im Aufbau von unterschiedlichen Studiengängen im IT-Bereich und im Aufbau von Netzwerken, aber auch an Forschungsthemen.“ Wichtig ist Gögele im Moment die Frage: „Wie können wir denn das Thema Programmierung forcieren und junge Menschen, insbesondere auch Frauen, für Technologien interessieren? – Was den jungen Menschen jedenfalls definitiv fehlt, und das sagen alle Forschungsergebnisse, ist die Neugierde, etwas selbst zu erarbeiten“, bedauert Gögele.

Bildung und Ausbildung verändern

Peter Lieber, VÖSI Präsident und selbst IT-Unternehmer

Peter Lieber, Präsident des Verbands Österreichischer Software Industrie (VÖSI) und Eigentümer der IT-Unternehmen SparxSystems und LieberLieber, sieht sich als Enterpreneur und hat seinen Schwerpunkt im Bereich modellbasierter Software – dabei geht es um Software Engineering und IT-Unternehmensarchitektur. Lieber stimmt seiner Vorrednerin zu: „Beim Thema Fachkräftemangel geht es ganz stark um Neugier und auch um das Thema Education – da haben wir im Deutschen noch eine Differenzierung mit den Begriffen Ausbildung und Bildung. Und ich halte Bildung für wichtiger als Ausbildung. Unternehmen haben eine Ausbildungsverantwortung, etwa was Lehrlinge angeht. Das liegt in Österreich ziemlich im Argen, da gibt es viel zu wenig Angebote von den Unternehmen. Die Erwartungshaltung an die ausbildenden Einrichtungen, HTLs und FHs, ist extrem hoch. Aber ich glaube, dass die Grundvoraussetzung auch in unserem Umfeld, Allgemeinwissen ist. Das bringt eine humanistische Ausbildung.“ Zur Ausbildung an den Universitäten stellt Lieber fest: „Die Unis bilden grundsätzlich nicht für den Markt aus. Die Erwartungshaltung, dass aus den Unis brauchbare Mitarbeiter herauskommen, ist falsch. Die Unis bilden primär für die Unis aus.“

Michael Swoboda, Geschäftsführer des Enterprise Training Center (ETC)

Michael Swoboda, Gründer und Geschäftsführer beim ETC Enterprise Training Center, sieht eine lange Themen-Historie: „Ich bin seit 27 Jahren in der IT-Trainingsbranche tätig und sehe seit damals in Wirklichkeit, dass der IT-Fachkräftemangel ein immer präsentes Thema ist. Es war nie anders. Wir hatten die Jahrtausendwende und das Platzen der Dot.com-Blase, aber es gab immer zu wenige IT-Fachkräfte am Markt. Wir bekämpfen diese Entwicklung als größter privater Trainingsanbieter massiv. Wir sehen aber, dass bei weitem nicht das abgedeckt werden kann, was hier vom Markt gefordert wird. Die FHs, die HTLS und Unis bilden aus, aber es kommen da einfach zu wenig Absolventen auf den Markt. Für unser Geschäft ist das gut, weil die Unternehmen in der Selbstverantwortung sind, selbst auszubilden“, sieht Swoboda eine große Nachfrage nach IT-Ausbildungskursen aller Art.

„Gerade dieses Bewusstsein ist auch in der Corona-Krise massiv in den Vordergrund getreten, wo von einem Tag auf den anderen IT-Infrastrukturen geschaffen werden mussten, um Hunderttausende Menschen ins Home Office gehen zu lassen, um zu zeigen, dass IT-Security gewahrt wird, um zu zeigen, dass hier ein Arbeiten aus der Distanz möglich ist.“ Gerade die Methoden der Bildung haben sich in den letzten Jahren massiv verändert, „viele wählen online als Teil des Bildungswegs. Video ist ein großes Thema. Und vor allem Hybrid-Angebote, wo die Mischung der Vorteile aus Online-Training und On-Premise-Training der beliebte, entscheidende Faktor ist.“

Swoboda ortet auch das Verschwinden des eigentlich vorhandenen, natürlichen Interesses bei vielen Jugendlichen. Selbst Vater von vier Kindern, davon drei Mädchen, freut sich der ETC-Geschäftsführer hingegen, „dass alle vier an IT-Themen hoch interessiert sind, da ist einfach ein natürliches Interesse an Neuem da. Leider ist das bei vielen Kindern dann so, dass ihnen das nicht an-, sondern aberzogen wird. Das können wir als Eltern, wir als Gesellschaft, aber leicht und schnell ändern.“

Marie-Theres Raberger, HR-Chefin am AIT

Marie-Theres Raberger leitet den Bereich Recruiting und HR Development beim AIT Austrian Institute of Technology, der größten außeruniversitären Forschungseinrichtung in Österreich mit rund 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in der angewandten Forschung tätig sind. Auch sie ist mit dem Thema IT-Fachkräftemangel konfrontiert: „Unsere Schwerpunkte sind Dekarbonisierung und Digitalisierung – und daher ist IKT für uns ein absolut führendes Thema, in welchem wir Expertinnen und Experten suchen. Sie müssen sich vorstellen, wir forschen an Zukunftstechnologien, die es so noch nicht gibt. Wir können nicht erwarten, dass uns Unis Absolventinnen und Absolventen mit fertigen Kompetenzen dafür zur Verfügung stellen. Wir suchen daher Leute, die sich ihre Neugierde, ihren Wissensdurst und Bereitschaft für lebenslanges Lernen erhalten. Und wir suchen Leute, die Kompetenzen haben, die transferierbar sind, die Interesse haben, sich weiterentwickeln zu können. Natürlich ist das Thema Frauen ein ganz großes, wir haben uns da auch eigene Kennzahlen gesetzt. Wir wollen sie auch in Projektleitungspositionen bringen.“

Rüdiger Linhart, stv. Berufgruppensprecher IT der Fachgrppe UBIT Wien

Rüdiger Linhart, stv. Berufsgruppensprecher IT der Fachgruppe UBIT Wien, ist seit über 20 Jahren in der IT-Branche tätig, betreibt ein kleines IT-Systemhaus mit knapp unter zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und legt gleich Zahlen vor: „Die Digitalisierung und der IT-Fachkräftemangel sind sicher momentan die Top-Themen. In unserer Branche fehlen circa 10.000 Fachkräfte und man kann noch einmal von 10.000 Kräften in den verwandten Branchen ausgehen. Das heißt, wir reden von rund 20.000 Personen, die uns fehlen.“ Es gäbe da jetzt schon einige Überlegungen, um das Problem zu lösen, zeigt Linhart auf, „wir brauchen unterschiedliche Ausbildungswege, wir brauchen Uni- und FH-Absolventen, aber wir brauchen genauso Lehrlinge und Techniker, die sich im Job weitergebildet haben.“ (UBIT-Website zur IT-Lehre in Wien: www.it-lehre.wien) Er kommt auch auf das Thema Mädchen und IT zu sprechen, mit einem persönlichen Beispiel: „Meine Tochter ist 14 und in der vierten Klasse Gymnasium. Ich finde es sehr schade, dass sie als einziges Mädchen der Klasse in eine HTL wechselt und die meisten anderen Mitschülerinnen – möglicherweise ohne Alternativen abzuwägen – einfach in der AHS bleiben oder in die Kindergartenschule wechseln. Das heißt für mich: Wir müssen in der Bildung noch viel früher ansetzen und die vielfältigen Möglichkeiten aufzeigen, und zwar geschlechtsunabhängig, was es alles an Berufen und Ausbildungsmöglichkeiten gibt.“

Welche IT-Kräfte werden gesucht?

Und wie gelingt es, diese Nachfrage langfristig gut zu bedienen? Peter Lieber beantwortet es so: „Das Spannende ist, dass man das Berufsbild gar nicht so einfach beschreiben kann. Der klassische ITler, der im Keller sitzt und die Server betreut – den gibt es nicht mehr. Es braucht auf einmal Fähigkeiten wie sich ausdrücken zu können, mit dem Gegenüber sprechen zu können, Anforderungen zu verstehen. Fakt ist, dass die IT im Moment vom Keller ins Penthouse hinauffährt – auch von der Verantwortlichkeit und Relevanz im Unternehmen. Es wird kaum ein Unternehmen geben, das ohne Digitalisierung überleben kann. Und da ich selbst auch bei einem Lebensmittelladen beteiligt bin, kann ich sagen: Auch dort geht nichts mehr ohne IT. Die größte Schwierigkeit, die ich sehe, ist die Fähigkeit der Fachabteilungen, eindeutig Anforderungen zu artikulieren. Im Moment gibt es eine riesengroße Fehlerquote, in dem was Software leistet versus was die Erwartungshaltung dazu ist.“ Lieber plädiert daher für ein neues Bildungsziel: „Es beginnt damit, dass jeder IT-Grundkenntnisse braucht, ganz egal in welcher Branche. Und jede Diskussion, das Fach Informatik im Gymnasium abzuschaffen, finde ich völlig irrsinnig. Genauso irrsinnig ist es, ECDL als Maßstab zu definieren, weil da wird nur Microsoft Office gelehrt, und das nur auf Minimal-Level.“

Ein großes Problem sei auch die mangelnde Mobilitäts-Bereitschaft der jungen Leute, meint Lieber: „Wir sind bei SparxSystems in normalen Zeiten 80 Prozent der Arbeitszeit auf Reisen, wir haben viele Kunden im Ausland und fünf Länder-Niederlassungen. Aber da gibt es immer weniger junge Leute, die bereit sind, sich weiter als zehn Kilometer von zu Hause weg zu bewegen.“

Stichwort IT-Lehrlinge: „Wenn man sich die Lehrlings-Zahlen der UBIT ansieht: In Wien gibt es mit Abstand die wenigsten Lehrlingsplätze, in Graz sind es schon doppelt so viele. Da gibt es schon eine sehr unterschiedliche Bereitschaft, Lehrlinge auszubilden“, kritisiert Lieber. Laut https://lehrbetriebsuebersicht.wko.at waren genau 58 Betriebe in Wien gemeldet, die derzeit Coding-Lehrlinge ausbilden. In der Steiermark sind es 36 Betriebe, OÖ ist mit 70 Betrieben führend. Im AMS-Job-Portal waren 18 offene Coding Lehrstellen in ganz Österreich gemeldet, davon etliche in Graz. Mehr Lehrbetriebe gibt es für den Lehrberuf IT-Systemtechnik, während den dritten Lehrberuf IT-Betriebstechnik nur ganz wenige Betriebe anbieten (Alle Zahlen laut Computerwelt-Erhebung am 12.06. 2020). Die Anforderungen an Berufe ändern sich rasant: „Ich denke, die Berufsbilder ändern sich alle zwei bis drei Jahre. Es gibt heute Jobtitel, die gab es vor zehn Jahren noch gar nicht – und auch umgekehrt. Auch Begriffe und Images ändern sich. Beispiel Data Scientist: früher waren das die Statistiker und Studium und Job waren unbeliebt“, fügt Lieber hinzu.

Informatik ab der Volksschule

„Der Bedarf an IT-Fachkräften ist einfach riesig – daher muss man einfach in der Bildung früher beginnen. Man sollte wirklich mit Informatik ab der Volksschule anfangen und damit die Neugierde am Leben erhalten“, schlägt Rüdiger Linhart vor. „Dieses Grundverständnis für Programmierung gehört zur Grundbildung, genauso wie man Deutsch und Mathematik lernen muss.“ Er sieht auch „Probleme mit der Lehrlingssituation im IT-Bereich in Wien. Da versuchen wir Maßnahmen zu setzen und die Firmen über die vielfältigen Möglichkeiten und die neuen Lehrberufe zu informieren. Auch kleinere Betriebe sollen es sich zutrauen, Lehrlingsausbildung zu machen.“ Bezüglich Lehre ortet Linhart generell in Wien nach wie vor ein Imageproblem, „dass dann alle nur auf die Uni und FH gehen, das können wir gar nicht brauchen. Wir brauchen alle Kompetenzen und wir brauchen auch dringend Leute, die von der Pike auf vier Jahre im Betrieb gelernt haben. Der Vorteil ist sicher auch, dass Lehrlinge nach der Lehrzeit bereits über konkretes praktisches Wissen verfügen, schnell einsetzbar und mit dem Betrieb vertraut sind.

Corona-gerecht platziert wurde mehr als eineinhalb Stunden diskutiert. v.l. C. Samec, M. Neumayr, S. Gögele, C. Wahlmüller, P. Lieber, M. Swoboda, M-T. Raberger und R. Linhart. Im Vordergrund das CW-Technik-Team. Alle Fotos: timeline/Rudi Handl

Auch Sonja Gögele äußert sich zum Bildungsthema: „Früher mit informatischer Bildung bei den Kindern zu beginnen, würde aber bedeuten, dass schon bei der Ausbildung der Primär-Pädagoginnen die Digitalisierung in deren Lehrplänen enthalten sein sollten. Die wurden vor vier bis fünf Jahren neu gemacht, aber auf die Digitalisierung von Lehrplänen wurde in der Grundausbildung wenig Wert gelegt. Daher können wir nicht erwarten, dass jetzt eine professionelle Schulung unserer Kinder von den Lehrerinnen und Lehrern, die dafür nicht ausgebildet worden sind, stattfindet. Das haben wir jetzt auch in der Corona Krise gesehen. Da könnte man Universitäten und FHs in Zukunft viel mehr einbinden, wenn es auch einige administrative Hürden zu bewältigen gibt. Man kann z.B. Lehrer und Lehrerinnen auch an den facheinschlägigen Studiengängen an FHs und Unis weiterbilden. Eine Idee wäre: Jedes FH Studium beinhaltet ein Berufspraktikum. Man könnten derartige Praktikanten in Schulen oder Kindergärten einsetzen, das ist derzeit aber leider nicht möglich“, bringt Gögele einen konkreten Vorschlag ein.

„Die Anzahl der Studierenden, die in Österreich Informatik Lehramt studieren, ist derart gering. Das hängt mit Sicherheit auch mit der Bezahlung zusammen. Wenn ich mich einer Informatik-Ausbildung unterziehe, dann erwarte ich auch ein marktkonformes Entgelt. Da braucht es sicher mehr Flexibilisierung“, glaubt Gögele und weiter: „Schade ist: wir haben alle Ausbildungsmöglichkeiten, aber wir preisen sie viel zu wenig zielgruppenorientiert an. Es wird einfach nicht im für die Wirtschaft notwendigen Umfang angenommen. Wir haben derart viele offene Ausbildungsplätze, das zieht sich durch alle MINT-Studien. Das heißt, wir sind lange nicht so überbucht, wie in den Gesundheitsstudiengängen, wo wir einen Frauenanteil von 70 bis 90 Prozent haben und eine Überbuchung von 1 zu 11. Zuvor wurde beklagt: Es kommen zu wenige Fachkräfte aus den Unis und FHs heraus – aber aus unserer Sicht kommen schon viel zu wenige hinein.“

Markus Neumayr greift nochmals die Punkte Neugierde und Interesse auf: „Das größte Problem ist, dass Jugendliche meist rein an der Nutzung von Software interessiert sind. Wir haben eine App, wir laden sie aufs Handy und nutzen sie. Aber wie diese App entsteht und wie diese Funktionalität aufzubauen ist, das wird nirgends gelehrt oder erklärt. Wir müssen daher aus meiner Sicht zwei Dinge schaffen: wir müssen das Interesse dafür wecken, wie solche Systeme entstehen. Und dann wird es auch in ganz unterschiedlichen Bereichen interessant, ob das in die Medizin hineingeht oder in die Betriebswirtschaft. Aber wir müssen vermitteln, dass IT interessant ist. Außerdem gibt es leider nach wie vor viele Kinder und Jugendliche, die in der Schule überhaupt nicht mit IT in Berührung kommen“, bedauert der Geschäftsführer von Ramsauer & Stürmer und erinnert sich an die eigenen Erfahrungen: „Als ich vor dreißig Jahren in die IT gegangen bin, war es einmal interessant zu verstehen, wie ein PC funktioniert, wie man eine Festplatte oder einen Speicher einbaut. Aber das Interesse ist bei mir nicht auf der Computerebene entstanden, sondern aus dem Computerspielen. Ich habe dann im Selbststudium begonnen, mich mit Programmierung zu beschäftigen.“

Mädchen für IT begeistern

Neumayr unterrichtet heute auch an der FH in Salzburg, „wo ich genau dieses Wissen auch weitergeben möchte. Es geht darum, die Basis zu schaffen, das Interesse entsteht. Nur in der FH sind wir bereits in einer Erwachsenen-Ausbildung. Wenn dort schon viel zu wenig junge Menschen hineinkommen, dann ist der Zug abgefahren. Man muss bei den Kindern viel früher ansetzen. Es geht sicher auch darum, die Frauenquote zu steigern. Wir haben selbst bei uns im Unternehmen nur wenige Frauen in der IT – aber die wenigen, die wir haben, sind brilliant in ihrer Arbeit und ich kann Mädchen nur dazu einladen, diesen Ausbildungsweg einzuschlagen.“

Auch Cornelia Samec, selbst Absolventin der HTL Spengergasse, berichtet sehr persönlich: „In der HTL gab es in der ersten Klasse Mathematik und in der HAK nicht, deswegen wollte ich unbedingt die HTL machen. Was man sicher auch früher vermitteln sollte: Welche Berufsbilder und welche Möglichkeiten gibt es denn überhaupt. Zum Beispiel war für mich selbst dieser Consulting-Bereich, in dem ich jetzt arbeite, total unerreichbar und auch nicht greifbar, was man da überhaupt macht. Dabei ist das wirklich ein spannender Job, wo ich mit vielen Menschen zusammenkomme, wo ich denen Verständnis vermittle auf einer anderen Ebene: Ich versuche, den Fachbereich mit der IT-Welt zusammenzubringen, dazu brauche ich IT-Verständnis. Im besten Fall kann ich auch programmieren. Aber eben was man als IT-Consultant oder in anderen IT-Berufen alles machen und bewegen kann, diese Berufsbilder sollte man auch schon viel früher den Jugendlichen näherbringen.“ Sie spart aber auch nicht mit Kritik an der Ausbildung der IT-HTL: „Wir wurden fünf Jahre damit gequält, alle möglichen Programmiersprachen zu lernen. Was mir aber nicht beigebracht wurde, ist der Zugang, wie leite ich einen Workshop, wie gehe ich mit Personen um, wie mache ich IT-Consulting und wie kann ich mein technisches Wissen weitergeben und so die Unternehmen unterstützen.“ Und an alle Mädchen richtet sie die Botschaft: „Du musst nicht der typische Nerd werden, um in der IT-Branche zu sein. Dieses Rollenverständnis muss weg. Und der IT-Job bietet auch viel Flexibilität: Home Office ist gerade in der IT-Branche viel mehr möglich – das haben wir bei TietoEVRY schon vor der Corona-Krise sehr stark forciert. Der Frauenanteil bei TietoEVRY liegt derzeit bei rund 25 Prozent, das ist auch ungefähr international die Quote, aber wir haben auf allen Hierarchie-Ebenen Frauen, bis hin zum obersten Leadership-Team.“

„Für uns sind Role Models sehr wichtig, insbesondere um auch für Mädchen Anreize zu schaffen, in die Forschung zu gehen, im Projektmanagement oder im Labor, im Consulting oder als Business Developerin zu arbeiten und mit der Industrie bei Forschungsprojekten zu kooperieren. Das heißt, es geht darum, den Mädchen zu zeigen, welche Vielfalt an Jobmöglichkeiten es da einfach gibt“, ergänzt Marie-Theres Raberger.

Die Frage ist, was Universitäten und FHs zur Erhöhung der Frauenquote tun können? Dazu Sonja Gögele von der FH Joanneum „Es gibt ganz viele Förderprogramme, etwa Femtech und FIT. Was aber sichtbar geworden ist, ist, dass es einfach zu spät ist, Maßnahmen erst für 18-Jährige zu setzen. Die Studien haben ergeben, dass man vor der Pubertät überhaupt keinen Unterschied von Buben und Mädchen im Umgang und Zugang mit Technik gefunden hat. Aber mit dem verstärkten Mathematikunterricht, der nicht anwendungsorientiert ist, verlieren Mädchen die Freude an Technologie.“ Es brauche auch eine gesamtgesellschaftliche Veränderung. „Zweiter Punkt ist die Sozialisation von zu Hause. Die Gesellschaft hat da eine große Aufgabe in Richtung Awareness, dass wir bestimmte Themen geschlechtsneutral präsentieren müssen. Die zusätzliche Schwierigkeit ist, dass IT immer abstrakt ist. Diese Abstraktheit braucht angreifbare Themen, ansonsten kann sich der junge Mensch da nichts vorstellen; MINT muss angreifbar und plakativ sein. Der dritte Punkt, der zu machen ist: die Bildungsberater in den Schulen zu unterstützen und sie wegzubringen von den klassischen Berufen, die sie kennen. Sie präsentieren nach wie vor den jungen Leuten in der vierten Klasse Unterstufe klassische Berufe, den Lehrer, den Arzt, den Juristen – und auf die modernen zukünftigen Berufe wird oftmals vergessen. Da wäre unser Zugang, dass wir hier Kooperationen anbieten. Wir machen das immer wieder, etwa in der Berufsorientierungswoche“, schildert Sonja Gögele die Situation.

Rüdiger Linhart ist das Thema Mädchen und IT ein großes Anliegen: „Wir brauchen da sicher noch mehr Programme, aber es gibt schon einiges: Etwa eine verkürzte Lehre für Mädchen, die schon Vorbildung mitbringen, wo 20 junge Frauen in einem Zwei-Jahres-Kurs jetzt zu Coderinnen ausgebildet werden. Stichwort Home Office: Nicht nur die Frauen, sondern auch Männer profitieren vom flexiblen Arbeiten und können Beruf und Familie dadurch viel besser vereinen – das muss auch in die Köpfe der jungen Damen und Herren hinein. In der Schule bei den berufspraktischen Tagen müssen wir den Schülerinnen und Schülern auch Berufe zeigen, die sie nicht von ihren Eltern her kennen. Wir sollten vielleicht auch eine Plattform schaffen, wo gezeigt wird, welche Jobs frei sind oder besonders benötigt werden.“ Wie Peter Lieber plädiert Linhart auch für mehr Mobilität: „In Amerika ist es total üblich, dass man nicht am Ort seiner Geburt das Leben verbringt, da müssen wir etwas tun. Es kann auch für junge Menschen sehr gut sein – der Wiener, der dann in Salzburg vier Jahre studiert.“ Linhart meint aber auch: „Das sind alles Maßnahmen, die mittel- und langfristig hoffentlich Veränderungen bringen, wir brauchen aber auch dringend Maßnahmen, die kurzfristig wirken.“

Föderalismus als Hindernis

Peter Lieber dazu: „Es gibt schon einige tolle Initiativen. Leider steht uns in Österreich aber der Föderalismus etwas im Weg. Wenn dann Oberösterreich etwas Gutes macht, wie etwa schule.at, dann ist es klar, dass das in Wien ganz sicher nicht angenommen wird. Es gibt auch vom österreichischen Gewerbeverein jährlich ein Schüler-Sparring, wo Kinder sich Bewerbungsgesprächen stellen dürfen. 1.600 bis 2.000 Kinder werden jedes Jahr mit einer Bewerbungssituation konfrontiert.“ Auch der VÖSI ist da aktiv geworden, um den Teenagern IT-Berufe näher zu bringen, führt Lieber auf, „ich habe auch überlegt, wie man unsere VÖSI-Betriebe dazu motivieren könnte, Lehrlinge aufzunehmen. Das war leider eher erschütternd. Einzig die AIT und ATOS sind da sehr rührig, aber gerade KMU sind bei Lehrlingen eher zurückhaltend. Da können die Unternehmen sicher selbst mehr Verantwortung übernehmen und selbst etwas tun, diesem Problem Mangel entgegenzuarbeiten. Und nicht nur hoffen, dass der Staat etwas ändert. Last but not least: Der VÖSI ist auch beim Thema Frauen und IT sehr aktiv, wir haben im Februar dazu die Special Interest Group WOMENinICT gegründet, wo es darum geht, mehr Mädchen und junge Frauen für die ICT Branche zu begeistern.“

Berufsbilder mehr zu zeigen und angreifbar zu machen, Rollenverständnis verändern, auf die Sozialisation im Umfeld einwirken, ob im Elternhaus oder in der Schule, oder auch bei Bildungsberatern – all diese Maßnahmen könnten langfristig viel bewirken – aber welche IT-Jobs und Ausbildungsangebote sind denn notwendig? „Wenn wir langfristig das alles umsetzen, inklusive frühem Start im Bildungswesen, haben wir vielleicht 2040 keinen IT-Fachkräftemangel mehr“, meint Michael Swoboda etwas sarkastisch, „aber wir haben jetzt eine Riesenchance in Österreich. Da sind die Unternehmen in der Pflicht, in die Qualifizierung zu investieren. Das tun sehr viele, etwa auch Tieto, in gezielten, internen Ausbildungsprogrammen, die Mitarbeiter auf IT- und Digital-Karrierepfaden weiterzuentwickeln. Die Mitarbeiter müssen dabei auch nicht immer aus der IT kommen, sondern können bei Interesse an Digital Skills und IT-Knowhow gezielt professionell weiterentwickelt werden. Hier sind sicher dann die FHs ein guter Partner ebenso wie auch Schulungs- und Trainings-Unternehmen wie wir als ETC, denn wir können praxisgerecht und schnell ausbilden, was die Wirtschaft konkret und zeitnah braucht. Außerdem würde es jedem Unternehmen helfen, Grundlagenwissen über Digitalisierung, Netzwerke und Cloud-Technologie generell allen Arbeitskräften zu vermitteln“, schlägt Swoboda vor.

„Die Tatsache, dass IT eine Querschnittsmaterie ist, ist unglaublich wichtig. Egal, ob ich jetzt Ärztin oder Juristin bin, ich brauche ein gewisses Grundverständnis für Digitalisierung“, ist auch AIT-HR-Chefin Marie-Theres Raberger fest überzeugt, „wir versuchen das daher auch in allen Berufsgruppen bei uns im AIT zu realisieren, vom Lehrling bis hin zur Wissenschaftlerin oder zum Wissenschaftler. Wir bilden die Leute da auch selbst weiter aus. Und dann können sie ihre Neugierde gut ausleben und sich in neuen Themen weiterentwickeln – da ist die Forschung natürlich ein sehr schönes dankbares Umfeld.“

Konkrete FH Angebote

Sonja Gögele betont, dass derzeit an den FHs drei verschiedene Organisationsformen für FH Studiengänge angeboten werden: Vollzeit-Studium, berufsbegleitendes Studium und duale Studien-Angebote (FH-Ausbildung und Ausbildung im Unternehmen). 2002 startete an der FH JOANNEUM übrigens das erste duale Studium Österreichs – Produktionstechnik du Organisation. Heute werden zusätzlich duale Studiengänge an unterschiedlichen FHs in Kooperation mit zahlreichen Unternehmen in ganz Österreich angeboten. Gögele freut sich auch, „dass wir in den berufsbegleitenden IT-Studiengängen mit rund 30-40 Prozent einen doppelt so hohen Frauenanteil wie bei den Vollzeitstudiengängen haben.“

Hier ergänzt Markus Neumayr: „ich glaube, dass viele Unternehmen gar nicht wissen, welche Möglichkeiten es in der Zusammenarbeit mit FHs gibt. Wir haben bei uns diese duale Ausbildung, wir bilden auch seit rund zehn Jahren Lehrlinge aus. Wir haben es auch geschafft, in Salzburg einen IT-Studienlehrgang ins Leben zu rufen und hier auch einen Master zu platzieren. Salzburg hat da im IT-Bereich etwa im Vergleich zu OÖ aber viel Aufholbedarf.“ Markus Neumayr meint zum derzeitigen Bedarf: „Wir suchen etwa derzeit konkret IT-Consultants. Diese müssen die Vermittlerrolle gut schaffen, sie müssen gut kommunizieren können. Man braucht aber auch das Fachwissen und Erfahrungen betreff Krisen-Management. Auch Cornelia Samec ist vom dualen Studium überzeugt: „Wir machen das mit der FH in Wien. Ich denke, wir brauchen da auch noch spezialisierteres Know-how, etwa SAP, Salesforce, Microsoft, auch in Richtung Cloud-Technologien. Das duale Studium könnte ja auch für viele aus dem Fachbereich im zweiten Bildungsweg eine Option sein.“

Sonja Gögele bringt noch einen Vorschlag ein: „Was sicher auch fehlt, ist die Bereitschaft Prüfungen oder Vorleistungen anzuerkennen, aber auch berufliche Vorerfahrungen zählen. Die Dropout- und Workout-Rate ist leider sehr hoch, aber wenn wir diese Leute wieder in die Unis und FHs hereinholen, da hätten wir schon 2022 oder 2023 etwas für die Reduzierung des Fachkräftemangels erreicht.“ Gerade an den FHs wird auch schnell auf neue Anforderungen der Wirtschaft und Entwicklungen im IT-Bereich mit einer Anpassung des Studienangebots reagiert, wie auch Sonja Gögele erklärt: „Wir haben immer wieder neue Informatik-Programme im IT-Bereich: zB der Master IT-Architecture sowie das duale Bachelorstudium  Mobile Software Development. Wir haben auch ein interdisziplinäres Studium IT-Recht und Management entwickelt.“ Und zu den Berufen meint sie: „Wir brauchen sicher noch mehr Ausbildung im Security-Bereich – wir haben hier etwa einen eigene Masterstudiengang berufsbegleitend  IT- und Mobile Security. Eine weitere Idee ist, dass man die Absolventen in einem Gründerzentrum oder Accelerator auf die evtl. Selbständigkeit vorbereitet. Ich habe so ein Gründerzentrum bei uns am Institut mit jährlich sechs bis sieben Einzelpersonen, die wir auf ihrem Weg in die Gründung begleiten dürfen.“

Rüdiger Linhart hält auch viel von mehr Durchlässigkeit: „Es kann interessant sein, dass jemand, der eine Lehre abgeschlossen hat, relativ schnell in die FH wechselt und dann einen Bachelor abschließt. Oder auch Anreize schaffen, dass die Lehre für Erwachsene interessanter wird, etwa auch nach der Matura. Peter Lieber meint abschließend: „Ich denke, sowohl von der Ausbildungs- als auch von der Firmenseite muss man aufeinander zugehen, da braucht es eine höhere Bereitschaft Mit-Verantwortung zu übernehmen. Ich wünsche mir, dass alle Unternehmen zumindest bereit sind, zehn Prozent aller ihrer Mitarbeiter sollten Auszubildende sein. Es geht auch um den unternehmerischen Zugang, selbst das Problem aktiv zu lösen, mutiger und aktiver zu sein“, appelliert Lieber an die Unternehmen.

Die Computerwelt-Expertenrunde zum Nachsehen

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