Autobranche macht Fabriken smart

Die Automobilbranche befindet sich im Umbruch. Insbesondere mit dem Aufbau von Smart Factorys will man die Herausforderungen der Zukunft meistern, wie eine aktuelle Studie von Capgemini zeigt. [...]

Mercedes Benz nutzt bereits das Potenzial von durch Industrial IoT und Cloud vernetzten Smart Factorys.
Mercedes Benz nutzt bereits das Potenzial von durch Industrial IoT und Cloud vernetzten Smart Factorys. (c) Mercedes Benz

Industrie 4.0 fußt auf vernetzter Produktion und Lieferketten. Damit können Prozesse dramatisch beschleunigt und sogar neue Geschäftsmodelle etabliert werden. Ein wichtiger Wirtschaftszweig ist in Deutschland und Österreich die Autoindustrie, eine Branche, die sich gegenwärtig vielen Herausforderungen gegenübersieht und dementsprechend einen großen Veränderungsprozess durchläuft. Deswegen wird massiv in den Aufbau intelligenter Fabriken (Smart Factories) investiert, wie die aktuelle Studie „How Automotive Organizations can maximize the Smart Factory Potential“ des Capgemini Research Institutes ermittelt hat. Demnach sollen 44 Prozent der Fabriken in den nächsten fünf Jahren smart werden. Doch mehr dazu später. Die Capgemini-Studie beschreibt, wo Automobilhersteller (OEMs) und Zulieferer beim Thema intelligente Fabriken heute stehen und vergleicht die Ergebnisse mit ähnlichen Untersuchungen aus den Jahren 2017/18. Dabei zeigt sich, dass vor allem in Smart Factorys investiert wird, um die Produktivität zu steigern. So plant die Automobilindustrie, ihre Investitionen in den Aufbau von intelligenten Fabriken in den nächsten drei Jahren um mehr als 60 Prozent zu erhöhen und ist damit anderen Branchen voraus. Produktivitätssteigerungen von über 160 Milliarden US-Dollar sollen möglich sein. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen die Unternehmen ihre Smart-Factory-Initiativen umfassend skalieren und in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter sowie in ihre IT-Systeme investieren. Jedoch ist nur ein kleiner Teil der Automobilunternehmen in der Lage, die Vorteile durch eine umfassende Skalierung auch voll auszuschöpfen. Die Capgemini-Studie stuft 72 Prozent der Automobilunternehmen als „Anfänger“ ein, womit die Marktforscher Unternehmen bezeichnen, die nicht in der Lage sind, die Kosten für die intelligente Fabrik aufzubringen. Von den verbliebenen 28 Prozent sind nur 10 Prozent laut Studie „Vorreiter“ und damit bestens gerüstet, das ganze Potenzial intelligenter Fabriken zu nutzen (bei den OEMs zählen 18 Prozent zu den Vorreitern, bei den Zulieferern 8 Prozent). Doch wenngleich Produktivätssteigerungen schon ein wesentliches Ziel bei Smart Factorys sind, ist dies doch beileibe nicht die einzige Absicht.

Neben Produktivität und Qualität wird Individualisierung wichtig

Seshu Bhagavatula, Präsident New Technologies und Business Initiatives bei Ashok Leyland, einem der größten Hersteller von Schwerfahrzeugen in Indien, bringt die Ziele, die man mit intelligenten Fabriken umsetzen will, auf den Punkt, wenn er erklärt: „Es gibt drei wesentliche Gründe, warum wir eine Smart-Factory-Initiative aufgesetzt haben. Der erste Grund ist, die Produktivität unserer alten Fabriken durch die Modernisierung und Digitalisierung des Betriebs zu verbessern. Der zweite Grund ist, sich mit Qualitätsaspekten befassen zu können, die herkömmlich schwer zu erkennen sind. Und der dritte ist, eine hohe Individualisierung mit einer Massenfertigung zu kombinieren. All dies ist Teil eines großen internen Strategieprogramms, das wir ‚Modulares Geschäftsprogramm‘ nennen.“ 

Was ist nun eine Smart Fabrik?

Capgemini beschreibt intelligente Fabriken analog zu dem obigen Zitat als Produktionsstätten, die digitale Technologien einsetzen, um signifikante Verbesserungen in Produktivität, Qualität, Flexibilität und Service zu erzielen, zu deren Umsetzung drei digitale Schlüsseltechnologien notwendig sind. 1. Konnektivität: z.B. die Nutzung des industriellen IoT zur Sammlung von Daten von bestehenden Anlagen und neuen Sensoren. 2. Intelligente Automatisierung: z.B. fortschrittliche Robotik, industrielle Bildverarbeitung, verteilte Steuerung, Drohnen. 3. Cloud-Scale Data Management und Analytics: z.B. Implementierung von prädiktiver Analytik/KI. Diese digitalen Technologien ermöglichen auch die IT-OT-Konvergenz zur Unterstützung der durchgängigen digitalen Kontinuität vom Entwurf bis zum Betrieb (digitaler Zwilling). In den letzten zwei Jahren wurden 30 Prozent der Fabriken in intelligente Fabriken umgewandelt. Damit wurden die Erwartungen von 2017/18 sogar übertroffen, denn vor zwei Jahren gingen die befragten Führungskräfte noch von einem 24-prozentigen Anteil aus.

Der Studie zufolge ist zudem fast die Hälfte (48 Prozent) der befragten Führungskr.fte der Meinung, dass sie „gute oder bessere Fortschritte als erwartet“ bei der Umsetzung ihrer Smart-Factory-Roadmap machen – im Vergleich zu 38 Prozent im Jahr 2017/18.

Schneller als andere Branchen

Für die nächsten fünf Jahre hat sich die Automobilindustrie ambitionierte Ziele gesetzt und plant wie eingangs kurz erwähnt, 44 Prozent ihrer Fabriken in intelligente Anlagen umzuwandeln. Sie ist damit branchenübergreifend führend: So soll im Bereich diskrete Fertigung (ohne Automotive) der Anteil an intelligenten Fabriken bis 2025 um 42 Prozent erhöht werden, gefolgt von der Prozessindustrie mit 41 Prozent, der Energie- und Versorgungswirtschaft mit 40 Prozent sowie der Konsumgüterindustrie mit 37 Prozent. Die Investitionen der Automobilunternehmen, die sie jährlich in intelligente Fabriken investieren möchten, können als Anteil am Gesamtumsatz widergegeben werden: Dieser soll von rund 2,2 Prozent in den letzten drei Jahren auf 3,5 Prozent bis 2023 steigen, was einem Anstieg von 62 Prozent entspricht. Bei ihren Investitionen werden sich die Automobilunternehmen auf eine Kombination aus Greenfield- und Brownfield-Anlagen fokussieren: 44 Prozent planen einen hybriden Ansatz, 31 Prozent erwägen den Bau von Brownfield-Fabriken (geschätzte Kosten für einen der zehn größten OEMs: 4 bis 7,4 Mio. US-Dollar pro Anlage; die Kosten für Greenfield- und Brownfield-Anlagen wurden im Capgemini-Report „Automotive Smart Factories: Putting Auto Manufacturers in the Digital Industrial Revolution Driving Seat“ vom April 2018 hochgerechnet) und 25 Prozent wollen in eine Greenfield-Fabrik investieren (Kosten von 1 bis 1,3 Mrd. US-Dollar pro Fabrik – das klingt zunächst teurer, ermöglicht aber gleich zu Beginn ein auf Effizienz ausgerichtetes Setup).

Jacqueline Wild ist Head of Practices and Innovation bei Capgemini in Österreich. (c) Capgemini

Investitionen lohnen sich

In der Studie wurde der Produktivitätszuwachs durch intelligente Fabriken bis 2023 anhand von drei verschiedenen Szenarien hochgerechnet: Im optimistischen Szenario liegt dieser bei 167 Mrd. US-Dollar, im durchschnittlichen Szenario bei 135 Mrd. US-Dollar und im konservativen Szenario bei 104 Mrd. US-Dollar. Dies entspricht einem jährlichen Zuwachs von 2,8 bis 4,4 Prozent und einem Gesamtproduktivitätszuwachs von 15,1 bis 24,1 Prozent für die gesamte Automobilindustrie bis 2023. Unternehmen wie Mercedes-Benz Cars nutzen das Potenzial bereits: Der Automobilhersteller konnte nach eigenen Angaben durch den Einsatz von Advanced Data Analytics bei der Schaffung selbstlernender und selbstoptimierender Produktionssysteme eine vierfache Reduzierung der Ausschussquote bei einigen Schlüsselkomponenten erreichen.

Erwartungen übertroffen

Der sichtbare Erfolg bei den umgesetzten Smart-Factory-Initiativen beschleunigt den Trend zu intelligenten Fabriken weiter, wie Jacqueline Wild, Head of Practices and Innovation bei Capgemini in Österreich, feststellt: „Die Automobilunternehmen sind in den letzten zwei Jahren bei ihren Smart-Factory- Initiativen besser vorangekommen als gedacht und planen nun, das Tempo weiter zu erhöhen. Die Automobilhersteller und -zulieferer sind zu großen Investitionen bereit – und wir erwarten, dass sich diese bis 2023 auszahlen und die Automobilunternehmen jährliche Produktivitätssteigerungen von 2,8 bis 4,4 Prozent erreichen werden.“ Das bedeute, so Wild, dass die die Automobilbranche jetzt die Lücken im Talentpool, in der Technologiestrategie und beim Thema Skalierung schließen müsse, denn nur so könnten die Vorteile voll ausgeschöpft werden. Wild ergänzt: „Da intelligente Fabriken ein entscheidender Teil der Industrie 4.0 sind, müssen sich OEMs und Zulieferer auch auf intelligente Betriebsabläufe konzentrieren. Dazu zählt es, auch das Asset-Management sowie das Supply-Chain- und Service- Management smart zu gestalten, um das Potenzial der verschiedenen Technologien vollständig zu erschließen.“

Gewinne sind noch nicht realisiert

Die Automobilindustrie hat sich zwar hohe KPI-Ziele gesetzt, bis sie das Potenzial intelligenter Fabriken jedoch voll ausschöpfen kann, ist noch ein weiter Weg zurückzulegen: Denn beispielsweise sind von dem Ziel, die Produktivität um 35 Prozent zu steigern, bisher nur 15 Prozent umgesetzt. Zudem haben sich die Gesamteffektivität der Ausrüstung und die Reduzierung der Lagerbestände/WIP lediglich um 11 Prozent verbessert, im Gegensatz zu den Zielen von 38 beziehungsweise 37 Prozent. Dies macht deutlich, dass es gerade bei der vollständigen Skalierung der Smart-Factory-Initiativen noch Verbesserungsbedarf gibt. Als Fazit empfiehlt die Studie den Automobilunternehmen, ihre Initiativen innerhalb einer Fabrik und darüber hinaus vollständig zu skalieren, sich auf eine Vision festzulegen, die Integration von IT-Lösungen voranzutreiben und die IT-OT-Konvergenz zu stärken. 

Darüber hinaus sollte die Talentbasis weiter ausgebaut und eine Kultur datengesteuerter Abläufe gefördert werden.


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