Ohne Einsatz von künstlicher Intelligenz in der IT eines Unternehmen ist es kaum mehr möglich, in einem sehr kompetitiven Geschäftsumfeld zu bestehen. Was bei der Umsetzung zu beachten ist – auch aus rechtlicher Sicht – und welche KI-Lösungen es bereits gibt, diskutierten Experten und eine Expertin im Round Table von ITWelt.at. [...]
Künstliche Intelligenz (KI) ist gerade dabei, unser Privat- und Berufsleben nachhaltig zu verändern. Spätestens mit der rasanten Verbreitung von dem auf LargeLanguage-Models beruhenden Bot ChatGPT (GPT steht für generative pre-trained transformer) ist KI auch in der breiten Bevölkerung angekommen. Während hierzulande vor allem vor den Gefahren von KI gewarnt wird, bietet eine KI-gestützte Digitalisierung im Business-Umfeld auch einen beträchtlichen Nutzen. Wie dieser aussehen kann, welche Anwendungen zu erwarten sind bzw. welche es schon gibt und welche Rolle der Mensch, also die Mitarbeiter, dabei einnehmen, diskutierten IT- und Rechtsexperten im Rahmen eines Round Tables von ITWelt.at, der passend zu diesem hochfliegenden Thema über den Dächern von Wien in den Räumlichkeiten des IT-Digitalisierungsdienstleisters Tietoevry im 33. Stockwerk des Millenium Towers stattfand.
Das Thema künstliche Intelligenz sei kein neues, weiß Lara Spendier, Advisory Lead bei Avanade Österreich. Erst dank ChatGPT sei es auch in der Gesellschaft angekommen, wo es sich mit rasanter Geschwindigkeit verbreite. Spendier erinnert sich an ihre Studienzeit, als sie über den Turing-Test gelernt hat. Das Ziel dieses von dem britischen Mathematiker Alan Turing 1950 entwickelten Tests war, festzustellen, ob eine Maschine beziehungsweise Computer ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen hat. Demnach, erklärt Spendier, wisse man erst, ob ein Computer intelligent sei, wenn man mit ihm schriftlich kommunizieren könne und dabei nicht in der Lage sei, festzustellen, ob die Antworten von einem Computer oder einem Mensch stammen. „Gegenwärtig befinden wir uns erstmals an dem Punkt, wo der Turing-Test tatsächlich erfüllt ist“, beschreibt Lara Spendier den Stand der Dinge. Das eröffne enorm viele Möglichkeiten, löse aber gleichzeitig ein etwas mulmiges Gefühl aus. Deswegen müssten sich Unternehmen wie auch die Gesellschaft überlegen, wie sie mit dem Thema KI umgehen.
Wenn man von künstlicher Intelligenz spricht, muss man sich bewusst sein, dass es verschiedene Definitionen gibt, wirft Thomas Steirer, Chief Technology Officer bei Nagarro, ein. Wenn heute von KI die Rede sei, beziehe sich das vor allem auf Machine Learning (ML) und hier insbesondereauf den ML-Unterbereich der neuronalen Netze beziehungsweise Deep Learning. Das unterscheide sich sehr stark von der klassischen Softwareentwicklung. Deswegen, so Steirer, müssten sich Unternehmen zunächst über ihre Ziele klar werden, und klären, wer sie sein wollen und wofür sie KI einsetzen möchten: „Ich kann mich als eine Organisation sehen, die die Forschung vorantreibt, in der Data Scientists, die Dinge erforschen und aktiv weiterentwickeln. Oder ich kann mich als Anwender von Services positionieren, die etwa von den Hyperscalern angeboten werden. Hier sind bereits sehr viele einsatzfähige Werkzeuge am Markt erhältlich und täglich kommen neue hinzu.“ Neben diesen beiden Positionierungen – entweder ein Unternehmen, das Dinge entwickelt und innovieren will oder ein Unternehmen, das verfügbare und erprobte Lösungen adaptiert – könne man sich natürlich auch für den traditionellen Weg entscheiden und risikoavers agieren. Dabei kommt es natürlich stark darauf an, in welcher Branche ein Unternehmen tätig ist. Im Aviation- und Medical-Bereich werde man wohl etwas konservativer an die Sache herangehen, so Steirer, während man in anderen Bereichen, wie etwa der Unterhaltungselektronik, deutlich aggressiver agieren könne.
Nikolaus Marek, Principal Software Technical Sales Leader bei IBM Technology Austria, konstatiert einen Paradigmenwechsel im Feld der KI. Während in der Vergangenheit einzelne Modelle mit gelabelten, also »beschrifteten« Daten trainiert wurden und man Use Case für Use Case durchgegangen sei, bestehe jetzt die Möglichkeit, sogenannte Foundational Modelle, die mit einer Vielzahl von ungelabelten Daten trainiert wurden und eine spezielle Funktionalität abdecken, zu adaptieren und zu tunen. Damit seien Unternehmen in der Lage, konkrete Anwendungsfälle zu automatisieren und zu beschleunigen, so Marek. Gleichzeitig müssten sie auch klären, wie sie KI im Businesskontext einsetzen und sicherstellen, dass die verwendeten Daten, mit denen diese Modelle trainiert oder getuned werden, ohne Bias seien und auch nicht »halluzinieren«. Das alles berücksichtige die watsonx-Plattform von IBM, versichert Marek, indem sie drei Themenbereiche adressiere: 1. die Daten und die Bereitstellung der Daten, 2. das Erstellen, Anpassen, Trainieren von Modellen und 3. das Thema Operations und die Governance.
Nachsatz Mareks zum Stichwort Halluzination: IBM achte sorgfältig darauf, dass die eigenen Modelle keinen Halluzinationen unterliegen, in dem die KI keine Antwort generiert, wenn sie sich nicht sicher ist, sondern auf potenzielle Quellen verweist.
Lukas Keller, Head of Business Development bei dem IT-Digitalisierungsdienstleister & Systemintegrator Tietoevery Austria, pflichtet dem bisher Gesagten bei, ist jedoch von der rasanten Übernahme dieser neuen Technologie überrascht: innerhalb von fünf Tagen wurde ChatGPT von einer Million Usern genutzt. So etwas habe er in seinen 30 Jahren, die er in der IT-Branche tätig sei, noch nicht erlebt. Nicht einmal Consumer-Apps wie TikTok oder Netflix hätten das geschafft, so Keller. Deswegen rät er allen Unternehmern und auch allen Privatmenschen, »sich wirklich intensiv mit KI zu beschäftigen, denn es wird in Zukunft keine Option mehr geben, ob KI mein Berufs- und Privatleben beeinflusst oder nicht. Sondern KI wird da sein«. Zudem betreffe der Einsatz von KI bereits heute fast alle Branchen.
Muss also ein Unternehmen wissen, wie ein KI-System funktioniert, um es verwenden zu können? Das sei auch eine Frage nach dem Risiko, erklärt Andreas Schütz, Anwalt und IT-Experte bei Taylor Wessing, ein Fakt, der vom Gesetzgeber erkannt wurde, weswegen dieser einen risikobasierenden Ansatz in der jurisitischen Herangehensweise wählte. Das bedeutet aber auch, dass der Anwender eines KI-Systems natürlich wissen muss, wie es funktioniert. Hier spiele – relativ neu und ungewohnt für Österreich – durch EU-rechtliche Vorschriften der Begriff Eigenverantwortlichkeit, wie man ihn bereits vom Datenschutzgesetz kennt, eine große Rolle, weiß Schütz. Früher musste eine Bewilligung mit den entsprechenden Stempelmarken eingeholt werden, jetzt werden wie bei der DSGVO keine Bescheide oder Bewilligungen verlangt. Doch wenn etwas passiert, wird genau geprüft, ob eine Unternehmen alles richtig gemacht hat. „Die Einschätzung des Risikios vor Verwendung einer Lösung im Unternehmen ist auch der Ansatz in der Gesetzgebung in Richtung KI“, fasst Schütz hier die Rechtslage zusammen.
KI im Unternehmenseinsatz
Für Avanade nennt Spendier ein Beispiel aus dem Produktdesignbereich, bei dem von einer KI generierte Bilder die Designer inspirieren und deren Gedanken in neue Richtungen lenken sollen. In einem weiteren Projekt werde vorhandenes Wissen in einem Unternehmen abgebildet. Dazu habe Avanade bestimmte Daten in die KI hineingeladen und dann eine Art Chat-GPT-Bot kreiert, mit dem der Kunde die Antworten auf seine Fragen erhält. Diese Lösung sei bei einer Mineralölfirma im Einsatz, damit z.B. die Mitarbeiter auf einer Bohrplattform bei etwaigen Lecks die richtigen Ersatzteile wie etwa Schläuch oder Ventile schnell erfragen können. Wichtig sei, so Spendier, dass das System mit Daten gut trainiert wird, damit keine falsche Information herausgespielt werden, denn „die Risiken, die je nach Kritikalität des Anwendungsfall differieren, müssen genau beachtet werden.“
Auch Nagarro arbeitet mit Wissensdatenbanken, um beispielsweise eine riesige Anzahl an rechtlichen Dokumenten, die manuell nur mit hohem Aufwand zu analysieren sind, schnell abarbeiten zu können. Ein weiterer Einsatz der KI betrifft das Durchtesten von Elektroniksteuerungen oder auch Software. Viele dieser Tests seien manuell gar nicht mehr möglich, da die Projekte so groß und komplex und die Zyklen so kurz seien, erklärt Steirer. Die automatisierten Test-Suites, die Nagarro für seine Kunden erstellt, lieferten nun abertausende Testergebnisse, die ursprünglich von jemandem analysiert werden mussten. Das macht jetzt eine KI und wurde bei Nagarro eines der erfolgreichsten Forschungsprojekte, das mittlerweile bei rund 20 Kunden im Einsatz ist.
Auch IBM hat bereits zahlreiche Lösungen implementiert, wie Nikolaus Marek verrät. So nutzt zum Beispiel SAP auf seinem Start-Portal den virtuellen Assistenten IBM Watson Assistant, um Kunden bei der Beratung für SAP-Services zu helfen. In einer weitere Anwendung im Rechtsbereich extrahiert die KI relevante Information aus einer Vielzahl von Dokumenten und fügt diese in vorgefertigte Formulare ein. Damit wird Zeit gespart und hochqualifizierte Juristen können sich stattdessen wichtigeren Tätigkeiten widmen. Außerdem stellt IBM mit kuratierten Daten gefütterte Modelle über die watsonx-Plattform zur Verfügung. Marek nennt in diesem Bereich als Beispiel Geo Spatial Data. IBM habe mit der NASA gemeinsam Satellitenbilder analysiert und die Faktoren des Klimawandels in ein Modell einfließen lassen, damit Unternehmen die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf ihr Business besser einschätzen können.
Mensch und Maschine
Es heißt oft, die Menschen stünden der KI skeptisch gegenüber. Im Gegensatz zu dieser Meinung findet Lukas Keller in den Unternehmen eher neugierige und engagierte Mitarbeiter vor. So würden Softwareentwickler für knifflige Aufgaben freigespielt, indem sie Standard-Code via GPT for Business generieren, aber auch Mitarbeiter von Kreativagenturen nutzen schon KI, um sich repetitiver Tätigkeiten zu entledigen. Da Untersagen von KI-Nutzung im Unternehmen ohnedies nicht funktioniere, wie das versuchte Verbot von Social Media bei einigen Unternehmen gezeigt habe, hält es Keller für besser, KI proaktiv anzubieten – jedoch unter Vorgabe von Rahmenbedingungen, die einzuhalten sind.
Lara Spendier bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: »Man setzt nicht auf KI um der KI willen. Der Mensch muss im Zentrum stehen.« Wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehen, dass es nicht um die Technologie per se gehe, sondern dass KI einen Mehrwert für sie schaffe, dann überzeuge das auch jene, die der KI bisher skeptisch gegenüberstanden. Dem stimmt Thomas Steirer zu und ergänzt, dass man der Transformation auch in Richtung Innovation Raum geben müsse, indem man etwa Mitarbeiter in zwanglosen Gesprächen über ihre Änderungswünsche befrage und sie so inspiriere zum Innovationsprozess beizutragen. Nikolaus Marek pflichtet bei und fügt bezogen auf das Management hinzu: „Wer von Anfang an Change-Management mitdenkt, steigert dadurch die Akzeptanz bei den Mitarbeitern enorm.“ Darüber hinaus seien Transparenz und Vertrauenswürdigkeit relevant, ergänzt Marek. „Es muss transparent sein, dass ich mit einem Bot spreche oder eine KI-generierte Antwort erhalten habe. Denn das Vertrauen fördert die Akzeptanz.“ Das gilt wohl nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Kunden.
Eine transparente Nachvollziehbarkeit der Quellen könne auch als sicherheitsrelevante Maßnahme gesehen werden, nennt Spendier ein weiteres Argument für transparente KI-Systeme.
Einig sind sich alle Diskutanten, dass KI ein Strategiethema auf der Führungsebene zu sein hat, wie es Lukas Keller fordert. Das setze gleichzeitig auch ein Verständnis von KI voraus, wirft Marek ein, „denn nur wenn ich die Einsatzmöglichkeiten verstehe und mir auch strategisch darüber bewusst bin, wie ich KI einsetze, schlägt sich das innovationsfördernd und wertschöpfend in den Organisationen nieder.“
Gerade wegen des Hypes um ChatGPT sei die Einstiegshürde in das KI-Thema recht niedrig, konstatiert Thomas Steirer, weswegen auf allen Verantwortlichkeitsstufen oft der Glaube vorherrscht, dass alles so einfach zu bewerkstelligen sei. Hier helfe nur, so Steirer, „Verständnis, Entmystifizierung, konkretes Auseinandersetzen.“ Ein großes ungenütztes Potenzial sieht Steirer in Informationen, die im Unternehmen nicht digital vorliegen, wie etwa Wissen auf Managementebene, das nirgendwo niedergeschrieben ist.
Zudem stehe benötigtes Wissen in Unternehmen in den nächsten Jahren nicht zur Verfügung, fügt Lara Spendier hinzu und verweist auf den Fachkräftemangel. Hier können KI-Technologien einem abzusehenden Wissensabfluss durch Personalabgang gegensteuern und das gebrauchte Wissen verfügbar halten, ist Spendier überzeugt.
In Bezug auf den Fachkräftemangel nennt Nikolaus Marek den IBM Agent Assist, der Call-Center-Mitarbeiter unterstützt, indem die Kundenanrufe kurz und prägnant zusammengefasst werden. Das wiederum soll das Kundenerlebnis verbessern.
Der rechtliche Rahmen
Andreas Schütz sieht nach wie die größte Motivation für Compliance in den drastischen Strafen, wie man das bereits bei der DSGVO gesehen hat. Doch Selbstregulierung sei oft schwierig. Die EU versuche mit dem AI Act ein risikobasiertes System zu installieren, wobei das eine EU-Verordnung und keine Richtlinie sei. EU-Verordnungen können in jedem Mitgliedsland mit einem gewissen Spielraum umgesetzt werden. Schütz findet, dass der EU mit dem AI Act aus juristischer Sicht ein brauchbares Gesetz gelungen ist. Demnach werden, je nachdem wie hoch das Risiko für die Anwender ist, Einschränkungen wirksam bis hin zum völligen Verbot. Ein Social-Scoring-System, wie in China zur Kontrolle der Bevölkerung, ist beispielsweise nicht erlaubt.
Begleitend zum KI-Gesetz gebe es noch Erweiterungen in Richtung Produktsicherheit und -haftung. Damit wären auch die „Halluzinationen“ einer KI abgedeckt, bei denen es juristisch um Haftungsfragen geht. Schütz vergleicht das mit dem Life-Sciences-Bereich: „Beim Herzschrittmacher kann ich auch nicht von Halluzinieren sprechen, wenn er aufhört zu arbeiten. Hier muss es klare Anweisungen geben, die einzuhalten sind“, sagt der Rechtsexperte.
Der risikobasierte Ansatz der EU wird von allen Teilnehmenden begrüßt. Alle erachten eine Regulierung als sinnvoll und sehen, zumindest was die gesetzliche Regulierung von KI betrifft, Europa vor den USA. Zudem sei der KI-Markt gegenwärtig sehr dynamisch und von zahlreichen Innovationen geprägt, sind sich alle einig, Applikationen werden intelligenter und gänzlich neue kommen hinzu. „Die Zeit der KI-Experimentierphase ist vorbei“, konstatiert Nikolaus Marek, jetzt komme die Zeit des praktischen Nutzens.
Alle Teilnehmer auf einen Blick (alphabetisch)
- Lukas Keller, Head of Business Development, Tietoevry Austria
- Nikolaus Marek, Principal Software Technical Sales Leader, IBM Technology Austria
- Mag. Andreas Schütz, IT Experte bei TaylorWessing
- Lara Spendier, Advisory Lead, Avanade Österreich
- Thomas Steirer, Chief Technology Officer, Nagarro
- Moderation & Redaktion: Klaus Lorbeer
- Technik: Roland Kissling
- Fotos: timeline/Rudi Handl
Den Überblick über alle bislang veranstalteten
ITWelt.at-Roundtables finden Sie hier: www.itwelt.at/tag/roundtable
Die Expertenrunde zum Nachsehen finden Sie hier: www.facebook.com/itwelt.at/videos, https://www.youtube.com/c/ITWELT
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