Wie überall in der IT gilt zunehmend auch für ERP-Systeme: Die Anwender wollen selbst bestimmen, wann, wo und wie sie die entsprechenden Lösungen einsetzen. Das hat weitreichende Folgen. [...]
„Anbieter jeglicher Software müssen dem Paradigmenwechsel in der IT folgen, wenn sie weiterhin im Markt erfolgreich sein wollen“, sagt Ingo Bollhöfer, Geschäftsführer in der PMCS Helpline Software Gruppe, die auf Service-Management-Anwendungen spezialisiert ist. Die Hersteller hätten langfristig keine andere Wahl, als aus der Perspektive der privaten Nutzer zu entwickeln. „Insbesondere in technikfernen Einsatzbereichen wie Pflegedienst und Reinigung muss die Software zur Planung, Routenplanung, Steuerung, Nachsteuerung und Präsentation der Ausführungsergebnisse unter Beweis stellen, ob sie tatsächlich Consumer-gerecht ausgelegt ist“, so Bollhöfer. Sein Unternehmen bindet dazu die künftigen Nutzer in die Ausgestaltung der App-Oberflächen ein. Godelef Kühl, Gründer und Vorstandsvorsitzender des ERP-Anbieters Godesys, betont die Bedeutung des Benutzererlebnisses für das Design moderner ERP-Lösungen: „Neben leistungsstarken Funktionen sind Softwareergonomie und Benutzerfreundlichkeit eines ERP-Systems enorm wichtig.“ Die Anwender seien intuitive Bedienungsmöglichkeiten durch alle Anwendungen hindurch mittlerweile von jedem Smartphone gewohnt – „zwangsläufig sollte eine moderne ERP-Lösung dies ebenfalls bieten können und über ein übersichtliches und klares Interface verfügen.“
Frank Naujoks, Product Marketing Manager Dynamics AX bei Microsoft, argumentiert ähnlich: „Die ERP-Durchdringung schreitet fort, immer mehr Mitarbeiter haben Zugriff auf Informationen aus ERP-Systemen, selbst wenn sie nicht im Büro am Rechner arbeiten.“ Allerdings stelle sich immer noch die Frage der Netzabdeckung unterwegs und auch der genutzten Geräte. Während die User-Erfahrung bei Notebook und Desktop sehr ähnlich sei, ändere sich das am Tablet-PC und Smartphone – „sie erfordern angepasste Oberflächen, um der Bildschirmgröße und anderen Eingabemethoden gerecht zu werden“.
BEDIENUNG MUSS EINFACHER SEIN
Neben den neuen Endgeräten seien systemimmanente Faktoren Ursache für den Wunsch nach einfacherer Bedienung der Systeme, sagt Peter Dewald, Geschäftsführer von Sage Software: „Die Komplexität von Software-Applikationen hat in den letzten Jahrzehnten durch die fortwährend gestiegenen Anforderungen in allen Bereichen stark zugenommen.“ Dies führe bei vielen Anwendern zu dem Wunsch, die Bedienung von Software zu vereinfachen. „ERP-Lösungen müssen darauf reagieren und dem Anwender gezielt und auf einem Blick nur diejenigen Funktionen zur Verfügung stellen, die er wirklich für seine tägliche Arbeit benötigt. Ganz nach dem Motto: Weniger ist mehr“.
ERP BLEIBT SCHALTZENTRALE
Doch ERP spielt sich nicht nur an der Oberfläche ab – wenngleich diese an Bedeutung gewinnt. Im Kern fungieren ERP-Systeme als Informationsdrehscheibe und zentrale Steuereinheit des Unternehmens. Kühl formuliert das so: „Die ERP-Branche steht vor der Herausforderung, spezifische betriebswirtschaftliche Prozesse zu unterstützen. Mobile ERP-Lösungen dürfen sich von stationären nicht unterscheiden. ERP muss vielmehr geräteunabhängig funktionieren.“ Die zentrale Administration stehe deshalb besonders im Fokus. Unternehmen müssten in der Lage sein, Prozessketten über diverse Endgeräte hinweg zu steuern. Was das für die ERP-Software bedeutet, beschreibt Peter Dibbern, Leiter Business Development bei Psipenta, so: „Herausforderung Nummer eins ist ohne Frage die Systemflexibilität – also die Fähigkeit, sich verändernden Geschäftsprozessen und Marktbewegungen weitgehend automatisiert anzupassen.“ Außerdem müssten sich ERP-Systeme vor allem im Hinblick auf die Herausforderungen von Industrie 4.0 weiter öffnen, also möglichst integrationsfähig sein. Als dritte Herausforderung sieht der Manager die Rückkehr zur Best-of-Breed-Idee, was für die ERP-Anbieter bedeute: „Besinnung auf die Kernkompetenzen ihrer Lösungen.“
FUNKTIONAL NICHT ZU VIEL WOLLEN
Bei der Systemauswahl sollten Firmen darauf achten, dass ihr ERP-System flexibel und offen ist. „Besonders wichtig ist aber, dass Systeme auf die spezifischen Prozesse des Unternehmens spezialisiert sind und eben nicht funktional überfrachtet sind. Nur so kann eine anwenderzentrierte und damit integrierte Nutzung des Systems realisiert werden“, rät Dibbern. Für Microsoft-Manager Naujoks sind die wichtigsten Herausforderungen an ERP-Systeme heute die gleichen wie vor zehn Jahren: „ERP-Systeme sollen einen einheitlichen Blick auf das Unternehmen gewährleisten, funktional passen und von den Kosten her nicht aus dem Ruder laufen.“
In gewachsenen Systemlandschaften werden diese Anforderungen oft zum Problem, „was Schnittstellen, aber auch was die Kosten angeht“, weiß Naujoks, der bis vor kurzem Analyst und Berater für Business Software bei i2s war.
KOSTENVORTEIL DURCH UPDATES?
Er empfiehlt: „Erfahrungsgemäß sind Anwender, die aktuelle Versionen einsetzen, mit der Software zufriedener als Nutzer älterer Release-Stände. Durch eine Vereinheitlichung der Versionen und eingesetzten Produkte können Unternehmen deutliche Kostenvorteile realisieren.“ Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung einer durchgängigen Prozessunterstützung, die auch im Mittelstand immer öfter zu einer zentralen Herausforderung für ERP-Projekte avanciert. Sage-Manager Dewald sagt: „Zunächst einmal hat es eine Verschiebung von funktionalen Anforderungen zu prozessorientierten Anforderungen gegeben.“ Der Mittelstand strebe immer mehr danach, Prozesse zu vereinfachen und zu automatisieren: „Die ERP-Lösungen von heute müssen dazu in der Lage sein – ohne umfangreiche Anpassungen.“
* Der Autor Uwe Küll ist freier Journalist in München.
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