CDO mit Ablaufdatum

Alexander Bockelmann ist CIO und CDO bei UNIQA sowie CIO des Jahres 2018. Im Gespräch mit der COMPUTERWELT erklärt er warum es wichtig ist, zumindest vorübergehend einen Chief Digital Officer zu etablieren, der für ein digitales Mindset sorgt, diese Rolle jedoch aus Unternehmen wieder verschwinden wird. [...]

Alexander Bockelmann ist CIO und CDO bei UNIQA sowie CIO des Jahres 2018. (c) Confare
Alexander Bockelmann ist CIO und CDO bei UNIQA sowie CIO des Jahres 2018. (c) Confare

Von jemandem wie Alexander Bockelmann, Chief Information Officer (CIO) und Chief Digital Officer (CDO) des Versicherungsanbieters UNIQA und frischgebackener CIO des Jahres 2018, würde man wohl nicht erwarten, dass er studierter Geologe und Umweltwissenschafter ist. Doch genau das ist der Fall und seine Ausbildung kommt dem gebürtigen Deutschen auch in seiner aktuellen Rolle als CDO zugute: „Nachdem mich interdisziplinäre Herausforderungen immer schon sehr interessiert haben, hab ich mir für mein Studium ein Feld gesucht, das übergreifende Themen abdeckt“, erklärt Bockelmann die Wahl seines Studiums. Genau dieses interdisziplinäre Denken ist es auch, was Bockelmann als CDO auszeichnet, denn übergreifende Vernetzung und Integration sind ganz wesentliche Aspekte der Digitalisierung.

Nach dem Studium fing Bockelmann an bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group zu arbeiten. Das erste Projekt zeichnete den späteren Berufsweg vor: innovative Technologien in der Finanzbranche. „Damit war quasi die vertikale Ausrichtung Finanz und die IT als Querschnittsthema vordefiniert. Von dort haben sich verschiedene Türen geöffnet, die dann schließlich nach Österreich zur UNIQA und zur Position als CDO geführt haben“, sagt Bockelmann.

Seine Rolle als CDO definiert Bockelmann folgendermaßen: „Ich versuche in Zusammenarbeit mit Kollegen aus verschiedensten Abteilungen neue Werttreiber und Wertschöpfung für unsere Kunden zu realisieren. Unsere Strategie ist ein besseres, sichereres und längeres Leben für unsere knapp zehn Millionen Kunden zu erreichen. Dazu versuchen wir innovative Ansätze und Ideen zu realisieren, um neue Kundenwerte und -Erfahrungen in den Markt zu bringen.“

Nur Mittel zum Zweck

Grundsätzlich sieht Bockelmann Digitalisierung bzw. neue Technologien als Mittel zum Zweck.“Es geht darum, ein Kundenbedürfnis zu treffen, Mehrwert zu generieren und dann ist auch die Akzeptanz des Kunden da. Wir sehen da sehr stark den Trend zur Kombination aus analog und digital. Man möchte dem Kunden eine Wahl geben: Wenn der Kunde das Bedürfnis hat, ein persönliches Gespräch zu führen, dann sind wir natürlich für ihn da. Wenn es aber darum geht, eine Information zu bekommen, dann müssen wir den Kunden auch die digitalen Möglichkeiten bieten.“ Die Kunst ist Bockelmann zufolge die Orchestrierung eines Prozesses über die verschiedenen Medien hinweg, „sodass der Kunde ein barrierefreies, einfaches, transparentes und sicheres Nutzungserlebnis hat. Das ist die Herausforderung.“

Herauszufinden, welche Bedürfnisse die Kunden haben, ist nicht immer ganz einfach. „Wenn man tatsächlich mal mit Kunden redet, ist man häufig überrascht, was die eigentlich wollen. Zu sagen: ich bin doch selber als Privatperson auch Kunde und weiß daher, was Kunden wollen, funktioniert nicht, weil ich durch mein Expertenwissen ein bisschen blind bin.“ Digitalisierung ist daher bei UNIQA sehr stark auf die Themen Kundenwert und Kundenerfahrung ausgerichtet. „Das ist hinterher der Treiber der Akzeptanz. Wenn eine Lösung nicht relevant, im richtigen Kontext, transparent und einfach ist, wird sie nicht genutzt werden, selbst wenn es die beste Idee der Welt ist. Deshalb ist die Technologie, mit der etwas umgesetzt wird, gegenüber dem Use Case und dem Design immer nachrangig.“

Digitalisierung ist Kultur- und Kundenthema

Digitalisierung ist für Bockelmann in erster Linie ein Kultur- und Kundenthema. Vor allem Agilität im Unternehmen spielt in einer digitalen Welt eine zunehmend wichtige Rolle. „Wenn wir uns Banken und Versicherungen anschauen, dann ist das Grundgeschäftsmodell seit Jahrhunderten, kann man fast sagen, ähnlich. Was nicht heißt, dass wir nicht Innovation betreiben und neue Services und Produkte auf den Markt bringen. Was sich nun ändert, ist die immer höhere Geschwindigkeit von Innovationen. Veränderung wird nie mehr so langsam sein wie heute, sondern immer schneller passieren.“ Auch die Adoptionsgeschwindigkeit von Innovationen in der Gesellschaft nimmt zu, was den Druck auf Unternehmen, agil sein zu müssen, weiter erhöht. „Der Lebenszyklus von Geschäftsmodellen, die kompetitiv waren, wird immer kürzer. Mit einem statischen Geschäftsmodell werde ich in Zukunft nicht mehr so lange kompetitiv sein können, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Veränderung ist immer stärker Teil des Geschäftslebens“, sagt Bockelmann.

Mehr Personalisierung

Doch wohin führt diese ständige Veränderung? „Die Grenzen zwischen Industrien werden weiter erodieren“, erwartet Bockelmann. „Crossfunktionale end-to-end-Lösungen werden stark zunehmen. Und es wird eine sehr starke Personalisierung geben. Die Frage ist: wo macht man halt mit der Personalisierung? Der Grundgedanke einer Versicherung ist ja eine Risikostreuung über ein Portfolio. Wenn ich die Personalisierung auf eine Gruppe von eins runterbringe, kann ich super personalisierte Angebote machen. Der Gedanke der Streuung über ein Portfolio bleibt dabei aber auf der Strecke. Damit stelle ich Grundlagen einer Industrie in Frage.“

Bei aller Vernetzung und Digitalisierung darf jedoch der persönliche Kontakt nicht auf der Strecke bleiben. „Der Mensch ist ein soziales Wesen. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass persönlicher Kontakt eine Premium-Leistung wird. Basis-Leistungen werden automatisiert und unpersönlich durch Computer aber in einer personalisierten, kundenfokussierten Art und Weise erfolgen. Persönlicher Kontakt wird als Premium-Leistung eingekauft. Das halte ich für ein realistisches Szenario.“

Mehrwert für alle

Die größten Chancen der Digitalisierung sieht Bockelmann in der Schaffung von Mehrwert für die Kunden. „Wenn wir es schaffen, die positiven Aspekte von Digitalisierung zu nutzen, im Sinne von schneller Serviceerbringung, Barrierefreiheit, Einfachheit, Transparenz, dann bringt das einen Mehrwert für uns alle. Sowohl für den Kunden, als auch für das Unternehmen. Ich glaube auch, dass Redundanzen abgebaut werden können und müssen.

Grundsätzlich sei Digitalisierung aber weder als Chance, noch als Bedrohung zu sehen, sondern als Realität. „Das ist ein anderes Mindsetting, weil dadurch betrifft Digitalisierung uns alle und ist nicht etwas, was in eine Organisation ausgegliedert werden kann. Das Schlimmste ist, wenn Unternehmen denken, dass sie Digitalisierung outsourcen können. Das Zweitschlimmste ist, wenn man sich jemanden mit einem tollen Titel holt, den CDO, und sagt: der macht das jetzt, dann muss ich es nicht machen. Digitalisierung ist ein Teamsport. Sie beginnt bei jedem Einzelnen und dessen Einstellung zu Veränderung. Wenn jeder Einzelne offen ist für Veränderung und neue Ideen denkt, dann kann man tolle moderne Lösungen entwickeln.“

Agilität gefordert

Neben der Schaffung des richtigen Mindsets gibt es auch noch andere Hürden auf dem Weg in die digitale Zukunft. „Die Herausforderung, die wir wie jedes große Unternehmen haben, ist, dass wir traditionell für das Tagesgeschäft ausgestattet sind. Und dann kämpft man um die Ressourcen um die Anforderungen des Tagesgeschäftes zu meistern. Wenn ich nun sage: ich habe eine supertolle Innovationsidee und brauche dafür zehn Leute aus acht verschiedenen Abteilungen, die drei Monate nichts anderes machen als das, dann reiße ich natürlich Lücken.“ Die Transformation einer Organisation in Richtung dieser Agilität, die so etwas ermöglicht, sei die große Herausforderung. „Der Hauptnachteil von Konzernen gegenüber Startups ist, dass ich keine dezidierten Ressourcen für das Thema habe, für das ich brenne. Und ich habe nicht die Flexibilität um schnell zu reagieren und Pläne zu ändern. Wenn ich aber in diesem Umfeld mitspielen will, muss ich mir diese Möglichkeiten irgendwie schaffen. Es gilt, ein Organisationsmodell zu finden, das es schafft, diese beiden Welten zu verbinden.“

Für Digitalisierungsverantwortliche hat Bockelmann drei Tipps parat, die seine Einstellung widerspiegeln, dass Digitalisierung in erster Linie ein Kultur- und Kundenthema ist:

  • Flexibel und extern vernetzt sein: Um langfristig mit einem Unternehmen erfolgreich zu sein, muss die Organisation flexibel auf neue Entwicklungen reagieren können und Mitarbeiter müssen ein Umfeld vorfinden, in denen Ideen entwickelt und Entscheidungen schnell gefällt werden können. Erfolgreiche Unternehmen haben sich zu diesem Zweck schon in der Vergangenheit mit externen Innovationspartnern und -quellen vernetzt, um neue Anregungen und Impulse zu erhalten und nicht über die Zeit in eine Gewohnheitsstagnation zu fallen.
  • Kunden im Fokus haben: Wachstum ist nur dann erfolgreich, wenn sich Unternehmen auf die Kunden fokussieren. Produkte oder Services müssen an den Bedürfnissen der Kunden orientiert sein und nicht (nur) die Standardisierungs- und Effizienzambitionen des Unternehmens widerspiegeln. „Zu häufig denken wir, dass wir wissen was die Kunden möchten und fragen sie nicht beziehungsweise binden diese nicht in den Produktentwicklungsprozess mit ein. Wenn wir dann ein passendes Angebot haben, müssen wir es dem Kunden einfach machen, sich über das Produkt zu informieren, das Verkaufserlebnis angenehm und transparent gestalten und nach dem Kauf zusätzliche Mehrwerte und positive Interaktionen bieten. Es werden heute immer mehr Erfahrungen und angenehme Kauferlebnisse als Produkte gekauft“, sagt Bockelmann.
  • Intern alles im Griff haben: Um erfolgreiche Produkte oder Services zu entwickeln, Kundenerwartungen zu erfüllen und den Vertrieb effizient zu gestalten, braucht es intern optimierte Prozesse und Abläufe. Es braucht eine stabile Basis, um Innovationen und neue Geschäftsmodelle aufbauen zu können. »Im Firefighting-Modus ist dies schwierig«, erklärt Bockelmann. „Somit sollte zuerst oder parallel das bestehende Geschäftsmodell digital optimiert werden, um Investitionen in neue Ideen und Modelle zu finanzieren.“

Grenzen verschwimmen

Diese drei Tipps sind keine neuen Themen, sie treffen auf klassische Produkte oder Vertriebswege genauso zu wie auf neue digital unterstützte Modelle. Somit sind Teile der digitalen Herausforderungen keine neuen Themen für die Geschäftsführung. Neu ist jedoch die Geschwindigkeit der IT-getriebenen Veränderung in Märkten, die sich immer schneller verändernden Kundenerwartungen und das sich immer schneller ändernde regulatorische Umfeld. „In einer solchen digitalen Welt verschwimmen somit die funktionalen Grenzen in Unternehmen und es bedarf einer neuen Art von funktionsübergreifenden und agileren Unternehmensführungen und Arbeitsmethoden, um hier erfolgreich zu sein.“

Der Unterschied zwischen CIO und CDO

Zum Beispiel einen CIO, der auch CDO ist. Doch was macht nun genau den Unterschied zwischen einem CDO und einem CIO aus? „Ein guter klassischer CIO erfüllt eine strategische Top-Management Funktion und ist bereits bei der Unternehmensplanung als IT-Experte mit am Tisch“, sagt Bockelmann. „Der Unterschied zum CDO ist, dass dieser noch mehr aus der Kunden- und Business-Seite an die Themen herangeht.“ Der CDO treibt somit zusammen mit den Business- und IT-Funktionen den Wandel im Unternehmen und arbeitet an der stärkeren Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen bestehenden funktionalen Silos im Unternehmen. „Der CDO generiert damit neue Anforderungen an Business und IT, wohingegen der CIO im klassischen Umfeld häufig eher beratend und umsetzend mit aus dem Business kommenden Anforderungen arbeitet.“ Der CIO ist darüber hinaus häufig durch IT-Legacy Herausforderungen und das Tagesgeschäft in seiner Management-Kapazität im Status Quo verwurzelt. Er muss sicherstellen, dass das Tagesgeschäft funktioniert. „Der CDO versucht eher das Morgen und Übermorgen mit den Kollegen zu skizzieren und auszuprobieren.“

Der CDO arbeitet dabei natürlich eng mit dem CIO und seinem IT-Team zusammen, um IT-basierte Aktivitäten umzusetzen. Insofern trifft es sich gut, das Bockelmann beide Rollen in einer Person vereint. „Mit Blick in die Zukunft könnte man sagen, dass es vermutlich immer eine Art CIO-Rolle in einem Unternehmen geben wird, um das wachsende Netz an IT-Dienstleistern zu koordinieren. Die CDO-Rolle ist je nach Ausprägung eventuell nur eine temporäre Rolle, bis die Prinzipien eines digitalen Geschäftsbetriebs in einer zunehmend digitalen Welt in die Geschäfts-DNA und Arbeitsweisen übergegangen sind und diese Themen automatisch im Tagesbetrieb eingesetzt und umgesetzt werden. Vielleicht wandeln sich mit der Zeit die heutigen CDOs in Chief Customer Officers oder andere Funktionen um.“


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