Europäische Anbieter könnten von den NSA-Enthüllungen profitieren. [...]
Eine Podiumsdiskussion des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK) im Presseclub Concordia hat sich den Auswirkungen der US-Internetspionage auf Europas Wirtschaft angenommen. Die Snowden-Enthüllungen seien »ein Thema, das uns alle betrifft und betroffen macht«, so IFWK-Präsident Rudolf Melzer. Es sei aber auch eine Chance für Europa, das Quasi-Monopol der USA in der Internet-, Cloud- und Softwareindustrie zu brechen.
Isabella Mader, IT-Strategie-Expertin und Vorstand der NetHotels, ortet bereits den Beginn eines massiven Exodus europäischer Unternehmen bei US-Cloud-Anbietern. Christoph F. Strnadl, IT-Architektur-Experte der Software AG, hat aufgezeigt, dass durch die Überwachungsmethoden der NSA zwangsläufig eine große Zahl Unschuldiger ins Visier geheimdienstlicher Ermittlungen gerät. Wirtschaftsinformatiker und Wissensmanagement-Experte Robert Woitsch sieht durch neue Methoden zur automatisierten Auswertung unstrukturierter Datenmassen, Stichwort Big Data, wie sie auch von Google & Co. kommerziell genutzt werden, einen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Wandel heraufdräuen, auf den sich Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft so schnell wie möglich vorbereiten sollten.
ÜBERRASCHUNG UNANGEBRACHT
Für Mader ist die allgemeine Überraschung über die Snowden-Enthüllungen vollkommen unangebracht. Die Fakten seien seit über zwei Jahrzehnten bekannt, aber die Gesellschaft habe »einfach erfolgreich weggeschaut«. Auch die Empörung der Politik sei gespielt. So habe etwa Deutschland schon 1968 vertraglich die flächendeckende Überwachung an den US-Geheimdienst outgesourct und auch von den Ergebnissen profitiert.
US-Unternehmen, insbesondere der Cloud-Wirtschaft, entsteht durch die Enthüllungen derzeit ein erheblicher Schaden. Mader unterstreicht, dass alle Unternehmen mit US-Headquarters dem Patriot Act und weiterführenden Anti-Terror-Verordnungen unterliegen, die US-Behörden praktisch uneingeschränkt das Mitlesen von Daten erlauben. Die diesbezüglichen Dementis der US-Internetfirmen seien »vollkommen unglaubwürdig«. Zehn Prozent der europäischen Kunden hätten US-Cloud-Anbietern bereits den Rücken gekehrt. Weitere 56 Prozent würden über einen Wechsel zu Anbietern nachdenken, die die Einhaltung der strengen europäischen Datenschutz-Standards glaubhaft garantieren können, so Mader. Auch Verschlüsselung und Firewalls böten keinen Schutz vor behördlicher Spionage, da sich diese Industrien ebenfalls fast zur Gänze in US-Hand befänden. Das alles biete europäischen Anbietern große Chancen, die es nun auch zu nutzen gelte.
RECHTSSTAAT WIRD AUSGEHEBELT
Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten? Mit diesem Killer-Argument räumte Software AG-Mann Strnadl auf. Er erläuterte die technische Infrastruktur, die zu einer flächendeckenden Überwachung nötig ist. Alle Verbindungs- und Inhaltsdaten werden an internationalen Internet-Knotenpunkten abgezweigt, kurzfristig gespeichert und einer Echtzeit-Auswertung mit Big-Data-Methoden wie statistische Mustererkennungssoftware zur Analyse großer Datenmengen zugeführt.
Potenziell interessante Inhaltsdaten werden längerfristig gespeichert. Doch selbst mit den hochentwickelten Auswertungsverfahren der NSA mit niedriger Fehlerquote seien statistisch gesehen 98 Prozent aller als verdächtig identifizierten Personen oder Unternehmen unschuldig. Am meisten empört Strnadl dabei, dass man mit dieser Praxis »hinter 2000 Jahre alte rechtsstaatliche Prinzipien zurückfällt«.
BIG DATA ALS GEFAHR
Wissensmanagement-Experte Woitsch sieht in den immer ausgeklügelteren Big-Data-Methoden eine große Gefahr. Daten würden in noch nie dagewesenen Dimensionen und Geschwindigkeiten gesammelt und automatisiert ausgewertet. Laut dem Datenschutzgesetz müssten immer der Zweck und die Struktur aller verarbeiteten personenbezogenen Daten der Datenschutzbehörde gemeldet werden. Bei Big Data seien aber weder Zweck noch Struktur der gesammelten Daten vorab bekannt. Dadurch fänden diese Analysen de facto im rechtsfreien Raum statt, da bestehende Datenschutzgesetze nicht greifen.
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