Viele Enduser sind mit der Fülle an Kommunikationskanälen überfordert. HATAHET-Gründer und -Geschäftsführer Nahed Hatahet über die neue Langsamkeit, ehrliche Beratung und die Kunst, komplexe IT genussfertig zu portionieren. [...]
Nahed Hatahet hat sein Leben von Grund auf geändert. Statt den üblichen 16 Stunden pro Tag arbeitet er nun deutlich gesündere acht Stunden. Entschleunigung ist angesagt.
Wie kompensieren Sie die fehlende Arbeitszeit?
Nahed Hatahet: Ich arbeite zwar 50 Prozent weniger in Form von Arbeitszeit. Aber Arbeitszeit bedeutet nicht unbedingt Effizienz. Dadurch, dass ich weniger Zeit zur Verfügung habe, konzentriere ich mich auf die wichtigeren Dinge. Ich glaube, dass die Art und Weise, wie man arbeitet, sehr wenig mit Zeit zu tun hat.
Wann und wie haben Sie die „neue Langsamkeit“ entdeckt?
Vor rund zwei Jahren. Anlass war Überarbeitung und auch das Alter. Ich habe die 40 dazu verwendet, zu reflektieren und festzustellen: Ich möchte nicht in der Früh aufstehen und sofort Facebook- und Mail-Accounts prüfen. Ich verwende die Medien nun gezielt. Ich bin nach wie vor auf Facebook aktiv, aber schau nur einmal pro Tag hinein. Ich habe die Mails kategorisiert: intern und extern. Interne Mails werden sofort abgearbeitet, externe einmal täglich.
Sehen Sie da einen allgemeinen Trend?
Wir entdecken in unserer Beratung seit geraumer Zeit, dass die Enduser ganz einfach überfordert sind. Wir haben ihnen Mail und Collaboration gegeben, jetzt geben wir ihnen Microsoft Yammer, kombinieren alles in Social Collaboration mit Video Conferencing etc. Wenn man die Situation bei Kunden analysiert: Es sind ganz einfach zu viele Komunikationskanäle.
Kann die Überforderung nicht auch daran liegen, dass die Kommunikationskanäle falsch genutzt werden?
Richtig. E-Mail ist für eine gewisse Art von Kommunikation interessant: asynchrone Kommunikation. Synchrone Kommunikation mit Mail ist sinnlos. Yammer mit Social Collaboration oder Enterprise Collaboration hat spezielle Funktionalitäten, die in ganz speziellen Kommunikationskanälen Sinn machen. Unternehmen glauben, dass sie ihre Probleme mit Technologie lösen können. Die Problemlösung liegt aber in der Organisation.
Wie haben Sie das in Ihrem Unternehmen gelöst?
Wir haben zum Beispiel Microsoft Yammer eingeführt, gleichzeitig eine Kommunikationsrichtlinie dazu. Die besagt etwa, dass man mir nur dann ein Mail schicken soll, wenn es hyperwichtig ist. Wenn nicht, dann kann es bis zum nächsten Jourfix warten. Da eine Richtlinie allein nichts bringt, lebe ich es vor. Das funktioniert bei uns sehr gut.
Warum geht die Einführung von modernen Kollaborations-Tools oft schief? Sie werden nicht genutzt.
Man versucht etwa, die gesamte Firma in die neuen Medien zu bringen. Dieser Ansatz ist meiner Meinung nach gescheitert. Für Unternehmen typisch sind die Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern. Auf der einen Seite sind die Jungen, die kollaborativ arbeiten wollen, auf der anderen Seite die älteren, die nur File-Zugriff benötigen und den „Kollaborations-Schmafu“ aber nicht lernen wollen. Diese Mitarbeiter werden das nicht ändern, sie sind aber wegen ihrer Erfahrung extrem wichtig.
Wie geht man mit diesen kulturellen Unterschieden um?
Ich kann zum Beispiel Sharepoint so schalten, dass das System für die älteren Mitarbeiter wie ein File-Server aussieht. Diese können weiterhin so arbeiten, wie sie es gewohnt sind. In Wirklichkeit speichert das System im Hintergrund in die Kollaborations-Plattform Sharepoint. Und dort können die Mitarbeiter, die einen Mehrwert nutzen wollen, diesen auch nutzen wie zum Beispiel Versionsmanagement.
Kommen die Probleme nicht auch daher, dass die Industrie zu viel verspricht?
Im reinen Verkauf-Business ist das so. Hersteller haben natürlich einen Zahlen-Need. Das ist der Grund, warum HATAHET bis heute keinen Sales-Apparat hat. Mir geht es um ehrliche Beratung und nicht um den kurzfristigen Erfolg. Wenn ich ein Produkt so gut etabliert habe, dass der Kunde nicht mehr wechseln will, haben der Hersteller und ich einen gewaltigen Mehrwert generiert. Ein weiteres Problem ist, dass Unternehmen einen Ferrari kaufen, der entspricht Sharepoint, und von den Mitarbeitern verlangen, möglichst schnell zu fahren – egal ob diese einen Führerschein haben oder nicht. Beim Ferrari würde niemand auf diese Idee kommen, in der IT passiert das laufend.
Wie lassen sich Kollaborations-Tools vernünftig einführen?
Wir arbeiten nach dem Prinzip: Weniger ist mehr. Wir nehmen aus der Vielzahl an Funktionen eine Handvoll heraus, sogenannte Quick Wins, und bringen diese in Form einer Zelle – zum Beispiel Kommunikationszelle oder Projektzelle – in das Unternehmen. Das heißt, ich beginne mit Funktionen, die alle seit Jahren gewohnt sind. Erst ein Jahr später bringe ich Funktionen wie Workflow und Prozessmanagement hinein.
Was ist unter dem Begriff Zelle zu verstehen?
Eine Zelle, wie wir sie definieren, hat Primitivfunktionen, vergleichbar mit Lenkrad, Gas- und Bremspedal beim Autofahren. Die Zelle ist so einfach und selbsterklärend gestaltet, dass man sofort damit arbeiten kann. Gibt es trotzdem Unklarheiten, haben wir direkt bei der Zelle Selflearning-Videos verankert. Wir beginnen mit einer Zelle, und sehen wie es ankommt. Geht es gut, kommt eine Zelle dazu usw. Das Ganze wächst organisch.
Das Gespräch führte Wolfgang Franz.
Nahed Hatahet
Nahed Hatahet ist Gründer und geneinsam mit Andrea Szivacsek Geschäftsführer der HATAHET productivity solutions. Zudem ist er als Productivity Consultant tätig. Hatahet bringt mehr als 18 Jahre Berufserfahrung in der strategischen Beratung und Realisierung von IT-Produktivitätslösungen ein und betreut Groß- und Mittelstandskundenprojekte im nationalen und internationalen Umfeld.
Be the first to comment