Computer statt Skalpell

Das Landesklinikum Wiener Neustadt ist Vorreiter in Österreich auf dem Gebiet der robotischen Chirurgie und hat sich auch in Europa einen Namen gemacht. Oberarzt Clemens Bittermann nahm sich die Zeit, einige Fragen zu beantworten. [...]

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Der High-Tech Operationsroboter »Da Vinci Xi« ist seit 2015 im LK Wiener Neustadt im Einsatz. (c) Landesklinikum Wiener Neustadt

Seit 2015 ist der High-Tech-Operationsroboter »Da Vinci Xi« im Landesklinikum (LK) Wiener Neustadt im Einsatz. »Wiener Neustadt ist das erste öffentliche außeruniversitäre Klinikum in Österreich, in dem diese hochmoderne Technologie zum Einsatz kommt. Mit dem Da Vinci werden in 4 Fachrichtungen komplexe Operationen durchgeführt: Urologie, Chirurgie, Gynäkologie und HNO«, sagt Doris Zöger, beim LK zuständig für die Pressearbeit, gegenüber der COMPUTERWELT. »Das Klinikum hat sich im Lauf der letzten vier Jahre zu einem Kompetenzzentrum auf dem Gebiet der Robotik entwickelt und die Zahlen sprechen für sich: der Europa-Durschnitt an Da-Vinci-Operationen beträgt jährlich 200, im LK Wiener Neustadt beträgt der Jahresdurchschnitt 350.«

Besonders auf dem Gebiet der Viszeralchirurgie (Chirurgie des Bauchraums) ist die Weiterentwicklung in rasantem Tempo vorangeschritten, sodass die Abteilung Chirurgie rund um Vorstand Friedrich Längle und seinen 1. Oberarzt Clemens Bittermann führend in der Robotik in Österreich ist und sich auch europaweit bereits einen Namen gemacht hat, denn europaweit agieren nur 15 Operateure.

Vorteile für Chirurgen und Patienten

»Durch die deutliche Vergrößerung und den perfekten 3D-Blick sowie durch die frei beweglichen Roboterinstrumente können feinere Bewegungen und Operationsabläufe durchgeführt werden, die durch die bloße Verwendung der Hände nicht möglich sind. Es können beispielsweise die Bewegungen der Hand durch den Roboter auf feinste Bewegungen im Millimeterbereich übersetzt werden. Mit mehreren Roboterarmen können so vor allem mit der Hand kaum zugängliche Operationsareale gezielter operiert werden«, so Bittermann zu den Vorteilen für den Chirurgen. Die Vorteile für die Patienten würden darin liegen, dass die roboterassistierte Chirurgie eine minimalinvasive Chirurgie ist. »Das bedeutet, dass die Operationsareale über kleinste äußerliche Schnittwunden zugänglich gemacht werden. Daraus resultiert ein weitaus geringerer Blutverlust wie auch eine schnellere Wundheilung.«

Hochauflösende 3D-Sicht

Der OP-Roboter ermöglicht der Operateurin bzw. dem Operateur eine »kristallklare« höchstauflösende 3D-Sicht in HD-Qualität mit zehnfacher Vergrößerung des Operationsfeldes. Dadurch kann sehr schonend und mit geringem Blutverlust operiert werden, auch kleinste Nerven und Gefäße können erhalten werden. Durch den OP-Roboter kann eine ausgezeichnete Ausleuchtung des Operationsgebietes erreicht werden, die bei der offenen Operationsmethode nicht möglich wäre. Der Operateur steuert den OP-Roboter sicher und gezielt mittels einer Operationskonsole. Insgesamt stehen vier Arme zur Instrumenten- und Kameraführung zur Verfügung.

»Die Instrumente lassen sich im Körperinneren wie natürliche Gelenke bewegen und ermöglichen so auch kompliziertere Operationsschritte, die mit bisherigen laparoskopischen Methoden nur eingeschränkt möglich waren«, so Bittermann. Der Chirurg ist aber davon überzeugt, dass autonomes Operieren nicht so bald möglich sein wird – und wird wahrscheinlich von Patientinnen und Patienten auch nicht erwünscht ist. »Natürlich wird jede Patientin und jeder Patient über die roboterassistierte OP detailliert aufgeklärt. Es wird speziell darüber informiert, dass es sich dabei nicht um einen autonom agierenden Roboter handelt, sondern dass das System ein sogenannter Telemanipulator ist, der die Bewegungen des Operateurs feiner umsetzen kann.«

Was laut Bittermann jedoch bald umgesetzt werden kann, sind Assistenzsysteme, die dem Operateur behilflich sein können. Durch das Sammeln von OP-Bilddaten können eventuell anatomische Varianten schneller erkannt und dadurch gefährliche Situationen frühzeitig vermieden werden. Risiken gibt es laut Bittermann natürlich schon auch: »In der Viszeralchirurgie beispielsweise ist durch das fehlende haptische Feedback die unbemerkte Verletzung von Darmschlingen eine potenzielle Gefahrenquelle. Durch die dauernde Visualisierung der Instrumente kann dieses Risiko jedoch minimiert werden. So haben wir im LK Wiener Neustadt bei mittlerweile ca. 300 komplexen viszeralchirurgischen Operationen noch keine solche Komplikationen beobachtet.«

Digitalisierung ist im OP angekommen

»Durch den Da-Vinci-Operationsroboter ist die Digitalisierung nun ganz bestimmt im Operationssaal angekommen und robotische Chirurgie ist eine Entwicklung, die in der Zukunft sicher nicht mehr aufzuhalten sein wird«, ist Bittermann überzeugt. Digitalisierung und E-Health würden aber natürlich den Gesundheitssektor im Allgemeinen betreffen und stellen den Weg dar, den man gehen muss, um künftig einen sicheren Zugang zu elektronischen Gesundheitsakten zu ermöglichen. Zusätzlich werde dadurch das Interagieren zwischen den Patienten und Gesundheitsdienstleistern erleichtert. E-Health könne vor allem die Behandlung und Betreuung von chronisch kranken Menschen sicherer und patientenorientierter machen. Sie bringe außerdem den Vorteil, dass Behandlerinnen und Behandler mehr Sicherheit in Diagnostik und Therapie gewinnen, da Einsicht in die gesamte Befund- und Maßnahmendokumentation gegeben ist. »Gut eingesetzt ist zu erwarten, dass E-Health hilft, die Kosten klinischer Leistungen zu senken und gleichzeitig effizienter zu machen, administrative Kosten zu minimieren und eine noch höhere medizinische Qualität erbringen zu können«, so Bittermann weiter.

In der NÖ Landeskliniken-Holding, die der Betreiber aller 27 Klinikstandorte in NÖ ist, wurde eigens ein Digitalisierungsmanagement implementiert. Hier werden relevante Digitalisierungsthemen erkannt und eine erste Grobanalyse und Bewertung der Themen durchgeführt. Im nächsten Schritt sollen potenzielle Digitalisierungsthemen in eine bereits bestehende Digitalisierungsmatrix eingeordnet werden. In dieser werden bestehende Umsetzungen und neue Themen übersichtlich dargestellt und nach festgelegten Bewertungskriterien, beispielsweise klinische Relevanz oder auch geschätzte Umsetzungskosten, kategorisiert. »Mit der Anschaffung des ersten OP-Roboters und einer zusätzlichen Trainingskonsole ist das LK Wiener Neustadt sicherlich Pionier in der Thematik der robotischen Chirurgie und damit europaweit ein viel beachteter Standort, auch für Schulungen. Wir begrüßen regelmäßig internationale Gäste bei unseren Operationen. Ziel ist es – den Blick in die Zukunft gerichtet – Wiener Neustadt noch mehr zu einem Anwendungs-, Ausbildungs- und Forschungszentrum für robotische Chirurgie zu machen.«

Und wie sieht seiner Meinung nach der Operationssaal der Zukunft aus? »Das Motto für den OP-Saal der Zukunft wird wohl nicht ,Computer statt Skalpell‘ heißen. Die computergestützte Chirurgie gehört zwar zu den innovativsten Branchen weltweit, ein Computer wird aber niemals den Operateur ersetzen. Ein wichtiger Schritt wird sicher sein, dass medizinische Geräte, die in einem OP zum Einsatz kommen, herstellerunabhängig vernetzt werden können.«


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