COMPUTERWELT Roundtable: KI ist keine Hexerei

Um künstliche Intelligenz (KI) ist ein echter Hype entstanden – aber was steckt konkret dahinter? Können KI-Technologien wie Machine Learning und Deep Learning sich als fester Bestandteil im Unternehmensalltag etablieren? Welche Chancen und Risiken gibt es? Und welche Usecases machen Sinn? Darüber wurde beim COMPUTERWELT Roundtable im April diskutiert. [...]

(c) Pixabay
(c) Pixabay

Die Potentiale künstlicher Intelligenz (KI) sind den meisten Unternehmen heute bekannt. Trotzdem gestalten sich die ersten Schritte in konkreten Projekten für viele noch als Herausforderung. Gerade für den Mittelstand ist es oftmals nicht einfach, Projekte im Bereich der künstlichen Intelligenz zur Verbesserung von Prozessen in Unternehmen, aber auch für neue Geschäftsmodelle zu identifizieren und danach in die Umsetzung zu kommen. Es gibt zwar schon eine Reihe von Usecases, aber KI könnte für viele Unternehmen in der Praxis in Zukunft zum Game Changer werden. Für viele hat KI noch etwas Magisches, andere haben Angst davor, ihren Job zu verlieren. Aber KI ist keine Hexerei, auch wenn uns die Ergebnisse der Spracherkennung a la Alexa und Siri schon noch manchmal verblüffen, sondern hat sehr viel mit Daten und Algorithmen zu tun.

img-2
Beim KI Roundtable an der TU Wien (von links): Sinan Tankaz/Kapsch BusinessCom, Rassa Seyedi/IBM Österreich, Nysret Musliu/CD-Labor für KI, COMPUTERWELT Redakteurin Christine Wahlmüller, Albert Moik/Accenture und Andrew Lindley/AIT. Alle Fotos: timeline/Rudi Handl

Bei Kapsch BusinessCom wurde erst vor zwei Jahren der Bereich Applied Intelligence gegründet, der von Sinan Tankaz geleitet wird. Ihm gefällt der Vergleich mit der Hexerei sehr gut, denn damit könne man gleich zwei Aspekte erklären: „Erstens: Die Hexerei galt immer als intransparent. Zweitens: Hexen konnten zwar etwas Gutes machen, aber meistens haben sie etwas Böses gemacht. Beides sind Vorurteile, die ich sehr häufig in meinem beruflichen Alltag aus dem Weg räume. Erstens kann man mit KI sehr viele gute und nützliche Dinge für den Standort Österreich machen. Man kann die Volkswirtschaft weiter vorantreiben, indem man die Industrie effizienter gestaltet oder man kann mit guten Assistenzsysteme menschliche Fehler, etwa auch in der Medizin, reduzieren. Zweitens: Künstliche Intelligenz kann, wenn sie gut implementiert ist – Stichwort Explainabe AI – zu einem sehr hohen Grad transparent, fair und nachvollziehbar funktionieren.“

Von Industrie bis Medizin

Zu den Anwendungsbereichen meint Tankaz: „Wir sehen mannigfaltige Möglichkeiten, haben uns aber den Fokus auf drei Bereiche gelegt: Das ist einmal die Medizin, wo wir an sehr langfristigen Projekten im Bereich der Diagnostik mitarbeiten, aber auch an kurzfristigeren Dingen, wo es um Wissensmanagement geht, wo die KI dem Arzt oder der Ärztin dabei hilft, aus Millionen von Datensätzen die besten Analogien zu finden, um die Behandlung präziser gestalten zu können. Der zweite Bereich ist die Industrie, hier helfen wir bei Bilderkennungsmechanismen oder auch mit Big Data für die Produktionsoptimierung, dass weniger fehlerhafte Güter produziert werden, dass die Energie besser gemanaged wird und die Maschinen optimaler laufen. Und im dritten Bereich, Customer Experience Management, geht es um all unsere Kunden, die 10.000 Endkunden betreuen, die haben ein Interesse daran, diesen Endkundenkontakt besser zu automatisieren, 24 Stunden verfügbar zu machen, Assistenzsysteme einzubauen. Aber über diese Fokus-Schwerpunkte hinaus gibt es noch ganz viele Anwendungsfälle.“

Rassa Seyedi ist Global Business Services Leader IBM Österreich und seit über 20 Jahren bei IBM. Ihr Fokus liegt auf dem Bereich Industrie. „Bei den Industriekunden bietet der Bereich Produktion viel Raum für Optimierung und den Einsatz von KI, zum Beispiel bei der Nutzung von Sensordaten für die Modellierung von Produktionsvorgängen. Auch beim Thema Digital Twin zahlt es sich aus, zu investieren. Wichtig ist immer die richtige Zielsetzung und den richtigen Businesscase zu entwickeln, damit man weiß, dass sich die Investition auch lohnt.“ Sie empfiehlt folgende Vorgangsweise: „Zunächst geht es um eine Modernisierung der Daten-Architektur. Dann müssen die Daten erfasst und organisiert werden, sodass sie dort zu finden sind, wo man sie sucht. Danach folgt die Datenanalyse. Das Wissen und die Information, die man daraus bekommen hat, muss integriert werden. Es ist wie beim Hausbau: Zuerst setzt man ein Fundament, dann müssen Mauern errichtet werden und ganz oben kommt schließlich das Dach. Das Dach ist in dem Fall die KI.“

img-3

„Bei Industriekunden bietet der Bereich Produktion viel Raum für Optimierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.“

Rassa Seyedi, IBM Österreich

Neben der Produktion gibt es laut Seyedi noch einige sehr lohnenswerte Bereiche, die mit KI optimiert werden können: „Ein Beispiel ist der Verkaufsprozess, etwa in der automatisierten Auftragsabwicklung inklusive Integration mit dem ERP-System oder der KI-basierten Unterstützung für die E-Mail-Kategorisierung und -Bearbeitung. Unser Prinzip ist immer: Wir setzen KI als Unterstützung und nicht als Ersatz für den Menschen ein. Wir helfen daher den Mitarbeitern unserer Kunden, sich auf hochwertige Tätigkeiten zu konzentrieren und nicht ihre wertvolle Zeit mit Routine-Arbeiten zu verbringen.“ 

KI zur Einkaufsoptimierung

Ebenso kann im Bereich Einkauf einiges optimiert werden, erläutert Seyedi: „Hier will der Kunde wissen, was bei seinen Lieferanten passiert. Interessant sind dabei etwa Schwankungen bei den Rohstoffpreisen. Hier haben wir mit KI eine Lösung entwickelt, die aus den öffentlich verfügbaren Daten relevante Information automatisiert herausfiltert. Diese stehen dann dem Mitarbeiter im Einkauf zur Verfügung.“ Sie bringt auch einen Use Case aus der Medizin ein: „Für Ärzte haben wir das Medical Linguistic Asset entwickelt, das medizinische Dokumente analysiert und strukturiert aufbereitete Informationen zur Verfügung stellt. Somit unterstützen wir Ärzte, damit sie ihre Entscheidungen besser treffen können.“ Um in der Industrie mittels KI Fortschritte und Verbesserungen zu erzielen, investiert IBM gezielt in die Forschung, so wird etwa mit dem MIT (Massachusetts Institute of Technology) zusammengearbeitet. Aus dieser Forschungspartnerschaft ist das MIT-IBM Watson AI Lab entstanden, dem kürzlich der deutsche Chemie-Konzern Evonik als erstes Unternehmen aus der chemischen Industrie beigetreten ist. Evonik erzeugt Spezialchemieprodukte, die in anderen Produkten eingebaut werden, das sind z.B. Stoffe, die für die Elastizität einer Matratze sorgen, oder die Aufnahmefähigkeit einer Tablette. Es geht darum, KI-basiert neue Ideen und Anwendungen in den Bereichen Materialforschung, Formulierungstechnologie, Wissensmanagement und Marktanalyse einzubringen, um neue Materialien zu entwickeln. „Wir haben seit 2017 eine Kooperation mit Evonik, die jetzt bis 2025 verlängert wurde. Das Unternehmen hat eine klare Vision: Technologie und KI-basiert das Business voranzutreiben. Da helfen wir mit Materialanalysen und der Entwicklung von neuen Rezepturen, damit sie schneller zu den Produkten kommen, die ihnen und ihren Kunden nützen“, berichtet Seyedi.

Angewandte KI-Forschung

Die Forschung hat durch den KI-Hype einen wahren Boom erfahren, weiß auch Nysret Musliu, Leiter des 2017 gestarteten Christian Doppler Labors für KI und Optimierung in Planung und Scheduling  an der TU Wien. CD-Labors werden an Unis oder außeruniversitären Forschungsinstitutionen eingerichtet, ihr Ziel ist anwendungsorientierte Grundlagenforschung. Informatiker Musliu erklärt: „Wir haben an der TU Wien verschiedene Forschungsgruppen, die sich mit KI beschäftigen, etwa im Bereich Logik, dann natürlich klassische KI, Machine Learning, aber auch Data Science und Computer Vision. CD-Labors wiederum bieten eine gute Möglichkeit der Kooperation zwischen Industrie und Universität. Ziel des CD-Labors für KI ist es, basierend auf Grundlagenforschung neue Ideen und Algorithmen zu entwickeln , die in Unternehmen mittel- oder langfristig für die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren eingesetzt werden können.“ Ein einfaches Beispiel ist die Planung von Stundenplänen in der Schule, schwieriger wird es schon bei der Planung in einem Krankenhaus, aber auch in der Produktion ist gute Ablaufplanung und Ablauf-Optimierung ganz entscheidend. Das CD-Labor verfügt über die Laufzeit von sieben Jahre und über ein Budget von rund 2,2 Mio. Euro. Davon kommen rund 1,3 Mio. vom Wirtschaftsministerium (BMDW), der Rest von den Unternehmenspartnern Bosch, MCP und XIMES. „Wir versuchen jetzt, innovative Methoden zu entwickeln, um genau diese Planungsprobleme mithilfe von KI zu lösen. Im Bereich Scheduling arbeiten wir mit einem Testlabor. In Kooperation mit Bosch geht es darum, Steuerungsgeräte zu testen. Dazu braucht es natürlich auch einiges an Ressourcen, Equipment und Mitarbeitern. Der Human Planner, also der Mensch, der normalerweise diese Planungen übernimmt, macht seine Arbeit aufgrund jahrelanger Erfahrung. Die Idee ist eine Lösung zu entwickeln, die diesen Human Planner unterstützen kann.“ Ein Detail-Problemfall wurde von MCP, einer auf das Thema Planung in der Industrie spezialisierte Unternehmensberatung, eingebracht. Es geht dabei um die Planung von Lackieranlagen im Automotive Bereich, erklärt Musliu: „Das ist ein sehr komplexer Prozess, weil es sehr viele unterschiedliche Teile gibt, die gefärbt werden müssen, und ein Produktionsplan mit optimierten Farbwechseln sehr schwierig zu finden ist.“

img-4

„Dort, wo die Menschen noch sehr gut in der Problemlösung sind, ist es oft noch schwierig für Künstliche Intelligenz.“

Nysret Musliu, CD-Labor für KI, TU Wien

Ein drittes Beispiel für Einsatzplanungsprobleme wird gerade mit XIMES untersucht, einem Wiener Beratungs- und Software-Unternehmen zur Arbeitszeit- und Personal-Planung. Ein Usecase ist die Pausenplanung für Busfahrer. „Das klingt zwar banal, aber laut österreichischem Kollektivvertrag gibt es sehr komplizierte Regeln, wie man die Pausen machen kann. Wir entwickeln dazu neue Algorithmen, die sehr große  Probleme lösen können. Dort, wo die Menschen noch sehr gut in der Problemlösung sind, ist es oft noch schwierig für AI. Es gibt inzwischen zwar schon viele Methoden. Aber in der Industrie gibt es oft sehr komplexe Probleme, wo Menschen sehr lange Erfahrung brauchen, um sie gut zu lösen.“

Die Bedeutung von KI steigt jedenfalls rasant, „KI ist heute schon vierter Produktionsfaktor, neben menschlicher Arbeitskraft, Kapital sowie Grund und Boden“ unterstreicht Albert Moik, Leiter Applied Intelligence Team bei Accenture Österreich, diese Aussage aus der kürzlich publizierten Studie „Mission for AI“ des Beratungsunternehmens. „KI wird auch der entscheidende Faktor für die künftige wirtschaftliche Entwicklung sein. Es gibt ganz viele Anwendungsfälle, Aber die Herausforderung für viele ist: Wie bekomme ich die Transformation zu einer datengetriebenen Unternehmung hin? Wesentlich für Unternehmen ist: Wie kommt man vom Pilotprojekt oder einzelnen Projekten hin zu einem breiten, industrialisierten Einsatz von KI und ML. 90 Prozent sehen Daten zwar als Kern-Element ihrer Strategie. Jedoch zwischen dem, was die Unternehmen erreichen wollen und wo man sich heute befindet, sehen wir oftmals einen signifikanten Gap.“ Neue Usecases zu operationalisieren und die Gesamttransformation voranzubringen, beschäftigt derzeit die Unternehmen stark, betont Moik, der selbst in Mathematik promoviert hat: „KI ist kein Mysterium, sondern ein Werkzeug, das ich für jeden Geschäftsprozess einsetzen kann. Wir haben auch eine großes Data-Science-Team. Damit können wir Anschubunterstützung leisten, um die Anwendungsfälle in Produktion zu bringen.“

Die Krise hat einiges ins Rollen gebracht, ist Moik überzeugt: „Corona hat sich als Brandbeschleuniger erwiesen. Jene Unternehmen, die über den KI-Experimentierstatus schon hinaus waren, haben gesehen, dass KI ein wesentlicher Bestandteil ist, um neue Effizienz- und Erlöspotentiale zu erschließen. Viele Unternehmen waren aber noch nicht so weit.“ Moik nennt zudem noch einen weiteren wichtigen Faktor. Die Frage, vor der viele stehen lautet: „Wie kommt man zu den notwendigen Fachkräften? Klar ist: Es geht um Mensch und Maschine, und die Arbeitswelt wird sich verändern. Aber jede große neue Technologie hat in Summe zu mehr Arbeitsplätzen geführt. Dabei geht es nicht nur um Data Scientists – es braucht viele verschieden Fachkräfte, um das Haus zu bauen, um beim Vergleich von vorhin zu bleiben. Wir stehen da in Österreich und in Europa gar nicht so schlecht da, wir müssen allerdings noch unsere Zögerlichkeit überwinden und einige Unklarheiten beseitigen, damit wir im globalen Wettbewerb nicht den Anschluss verlieren.“

img-5

„KI ist kein Mysterium, sondern ein Werkzeug, das ich für jeden Geschäftsprozess einsetzen kann.“

Albert Moik, Accenture

Wieder zurück zur Forschung. Am Center for Digital Safety und Security am AIT steht KI hoch im Kurs, erklärt Data-Science-Experte Andrew Lindley. Ein großer Schwerpunkt sind dabei Forschungsprojekte, die sich damit beschäftigen, vor Cyberkriminalität zu schützen. Lindley leitet Projekte rund um die Erkennung von gefälschten Online Shops: „Der Fake-Shop-Detector ist das Ergebnis einer dreijährigen intensiven Forschungsarbeit. 2020 gab es mit 25 Prozent Plus wieder einen gewaltigen Anstieg der Internetkriminalität, und einen großen Anteil hatte daran der Betrug im Internethandel. In Österreich gehen zum Thema Fake-Shops rund 150 Meldungen pro Woche bei der Watchlist Internet ein, wobei dies nur die Spitze des Eisberges ist. Wir haben unterschiedliche Machine-Learning-Modelle getestet, bis hin zu Deep-Learning-Verfahren. Dabei haben wir erkannt, dass über eine KI-basierte Extraktion von Fingerabdrücken im Sourcecode eine Ähnlichkeit zu bestehenden Fake-Shops sehr exakt und rasch ermittelt werden kann. Das von uns entwickelte KI-Modell weist dabei eine 90 Prozentige Trefferquote in der Fake-Shop-Erkennung auf.“ 

Projekt Fake-Shop-Detector

Über das Forschungsergebnis dürfen sich Konsumenten in Kürze freuen, es bringt mehr Sicherheit beim Onlineshopping: Der Fake-Shop-Detector funktioniert als Browser-Plugin, analysiert den Quellcode eines Shops und meldet sofort, ob dieser vertrauenswürdig ist oder nicht. Für jede besuchte Website berechnet der Fake-Shop Detector ein Risiko und gibt sofort Feedback. Rot heißt: Vorsicht, Fake-Shop, gelb: Achtung, überprüfen Sie, bevor Sie bestellen und grün: Kein Risiko. Die Benutzung des Fake-Shop Detectors wird für private Konsumentinnen und Konsumenten kostenlos sein, der Download des Fake-Shop Detectors steht laut Lindley in einer Beta-Testversion in Kürze unter www.fakeshop.at zur Verfügung.

„Generell kann KI sehr viel zur Cybercrime-Prävention beitragen. Aber genauso wichtig ist die Explainability. Man muss erklären können, wie und warum Entscheidungen von der KI getroffen worden sind und auch dokumentieren, wie Entscheidungen zustande gekommen sind“, betont Lindley.

Hier schließt sich Albert Moik an: „Wir haben eine globale Einheit, die sich Responsable AI nennt. Die Erklärbarkeit ist die eine Dimension, der andere Aspekt umfasst Ethik und Daten-Bias. Hier haben wir auch viele Partnerschaften mit Universitäten. Es ist ganz wesentlich, sich beim Einsatz von KI Gedanken zu machen: Welche Risiken bestehen und inwiefern ist die Lösung vertretbar? Explainability und Responsibility sind ganz wesentliche Aspekte.“ Es gehe auch um die interne Akzeptanz, fügt Moik hinzu: „Die Mitarbeiter müssen auch Vertrauen in diese neuen Lösungen und Modelle haben. Es ist nicht nur die Erklärbarkeit gegenüber der Öffentlichkeit und den Regulatoren, sondern man muss auch die Fachanwender abholen und ihnen erklären, was hier passiert. Das ist letztlich auch ein Erfolgskriterium für funktionierende KI-Projekte.“

img-6

„Wichtig beim Thema KI ist die Explainability: Man muss erklären können, wie und warum Entscheidungen von der KI getroffen worden sind und auch dokumentieren, wie Entscheidungen zustande gekommen sind.“

Andrew Lindley, AIT, Center for Digital Safety & Security

In der Forschung weltweit und auch an der TU Wien wird gerade zum Thema Explainable AI intensiv gearbeitet, ergänzt Nysret Musliu: „Es gibt auch einige Modelle, wie etwa Decision Trees und Bayesian Networks, wo man leichter erklären kann, wie es zu bestimmten Entscheidungen kommt. Viel Potential sehen die Wissenschaftler in der Verbindung von Machine Learning und Deep Learning mit Logik, das heißt mit Symbolischer AI. Denn Logik kann sehr helfen, das Verhalten der Algorithmen zu verstehen.“

Drei KI-Prinzipien bei IBM

Bei IBM gibt es in punkto KI-Projekte drei ganz klare Prinzipien, stellt Rassa Seyedi fest. „Das erste ist Eigentum, das heißt die Kundendaten bleiben Eigentum der Kunden. An zweiter Stelle steht Transparenz, das heißt, es muss immer nachvollziehbar sein, wie wir von den Daten zu der Empfehlung kommen. Und das dritte Prinzip ist der klar definierte Zweck. Wir setzen KI für einen klar definierten und nicht für jeden Zweck im Unternehmen ein. IBM hat sich daher aus dem Thema Gesichtserkennung zurückgezogen. Einerseits sollte man genau entscheiden, was man macht, aber es ist genauso wichtig, zu definieren, was man nicht macht. Wir setzen uns hier selbst klare Grenzen. Außerdem haben wir bei IBM ein „KI Fairness 360 Toolkit“ entwickelt, damit die KI Entwickler etwa systematische Fehler wie Biased-Decision Making ausschließen können. KI ist ein Werkzeug wie ein Hammer, ich kann damit ein schönes Bild an die Wand hängen oder einem Menschen wehtun. Damit muss man wirklich verantwortungsvoll umgehen.“

Sinan Tankaz schließt gleich an: „Im B2B Bereich ist aufgrund der Auftragssituation eine sehr hohe Explainability vorgeschrieben. Es geht dabei um weniger kritische, aber auch um sehr sensible Bereiche, wie etwa in der Medizin. Hier brauchen wir tatsächlich allerhöchste ethische Standards. Der Antrieb zu KI Projekten kommt aus unterschiedlichen Bereichen. Wenn es um neue Geschäftsfelder geht, ist es meist eine Vorstandsentscheidung. Manchmal ist es aber auch der Produktionsleiter, der sich die Frage stellt: Wäre es nicht möglich, dass wir mittels Sensorik unsere Güter analysieren, die Produktionsstraßen-Daten sammeln und eine KI entscheidet dann bzw. assistiert?“ Wie Unternehmen an das Themen herangehen sei sehr unterschiedlich, meint Tankaz: „Die exorbitante Erwartungshaltung ist jedenfalls vorbei. Man hat gelernt: Voice Bots im Callcenter funktionieren nicht, aber die automatisierte Abarbeitung von e-mails geht schon, entlastet die Callcenter-Mitarbeiter und senkt Kosten. Unsere Kunden sind offen, wenn es um Proof of Concepts geht, im Sinne von: Lasst es uns probieren, ob wir diese Usecases mit KI tatsächlich so realisieren können. Die positive Überraschung für mich ist, dass es diese Entwicklung auch im öffentlichen Bereich gibt.“ Und noch eine wichtige Feststellung kommt vom Kapsch-Experten: „KI Projekte passieren sehr iterativ und sehr verschränkt mit dem traditionellen Alltagsgeschäft.“

img-7

„Künstliche Intelligenz kann, wenn sie gut implementiert ist – Stichwort Explainable AI – zu einem sehr hohen Grad transparent, fair und nachvollziehbar funktionieren.“

Sinan Tankaz, Kapsch BusinessCom

Rassa Seyedi sieht es ähnlich: „Es ist wichtig, dass die Personen, die im Team zusammen arbeiten, das Wissen für die Prozesse mitbringen. Wir sind immer auf der Suche nach den Use Cases, wo es sich lohnt, KI einzusetzen. Die Nutzer selbst bringen sehr viel an Wissen mit, und hier kann man die Methode des Design Thinking gut zum Einsatz bringen. Gefragt wird dabei: Wie sieht der Arbeitsalltag aus, was kostet am meisten Zeit und wo liegen die Probleme? Daraus erarbeiten wir, wo KI am besten helfen kann. Die Erfahrungen aus dem Alltag sind wichtig. Zusätzlich braucht es Experten aus unterschiedlichen Disziplinen, die im Projektteam zusammen kommen. Multidisziplinarität und Kompetenzvielfalt sind gefragt.“

Prozesse ansehen und nicht auf Menschen vergessen

Albert Moik rät dazu, das eigene Business ganz genau zu analysieren: „Prozesse sind ein ganz großes Thema. Hier gibt es zwei typische Herangehensweisen. Die eine ist: Man versucht, bestehende Prozesse intelligent zu automatisieren, das ist die low-hanging fruit. Aber die Frage ist, ob man nicht auch die Prozesse neu designen kann. Oft wird diskutiert, welches KI-Projekt man machen könnte. Viel wesentlicher ist aber: Was ist das Geschäftsziel und was ist das richtige Werkzeug dafür? Die Werkzeugkiste ist wunderbar, aber der erste Hebel, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, ist, sich zu fragen: Was ist die Herausforderung und was will ich erreichen? KI kann heute in etlichen Bereichen bei speziellen Fragestellungen mehr als der Mensch, betont Moik: „Wir werden in Zukunft nicht mehr ohne KI auskommen. Gewisse Dinge lassen sich optimal mit Rechenleistung und KI lösen, wie das Beispiel Fake-Shop Detector zeigt.“

Andrew Lindley betont: „Ganz wichtig ist es, die Nutzerperspektive stets mitzudenken. Wir reden hier von Menschen und Support-Systemen in unterschiedlichsten Bereichen. Es geht daher einerseits um die Frage: Wie kalibriert man die Systeme, etwa über Schwellenwerte oder wo sind verstecke BIAS enthalten und was soll der Fokus der AI Anwendung sein.“ Ganz wichtig sei auch zu überlegen: bis zu welchem Punkt soll eine KI entscheiden und wo übernimmt wieder ein Mensch wie etwa beim selbstfahrenden Auto? meint Lindley. Das Gleiche gelte für Industrieanlagen, „übersetzt auf den Fake-Shop Detector heißt das: Wir sind absolut transparent und drücken Unsicherheiten der KI Bewertungen in der Art und Weise der Visualisierung aber auch in den Botschaften an die Nutzerinnen klar aus. Manchmal ist es nicht möglich zu einem Webshop eine eindeutige Einschätzung zu treffen, aber wir geben Userinnen als Alternative eine Checkliste mit, um selbst eine manuelle Überprüfung durchführen zu können.“ Lindley fügt zusammenfassend hinzu: „Wir brauchen noch viel mehr plakative Beispiele wie diese rund um den Einsatz der KI im Alltag, um Vorbehalte abzubauen und Vertrauen in KI gestützte Supportprozesse zu schaffen. Für den Wissenstransfer in Richtung KMUs steht mit dem FFG Innovationscheck ein ideales Förderinstrument zur Verfügung.“

Sinan Tankaz meint abschließend: „Man muss sich irgendwann entscheiden: Ist man pessimistisch oder optimistisch. Ich bin Optimist und sehe die Vorteile: Tatsächlich entwickeln wir im Moment Assistenzsysteme, die im Arbeitsalltag Unterstützung leisten und die Menschen bei mühevollen Tätigkeiten entlasten. Da gibt es noch viele Herausforderungen und berechtigte Befürchtungen, vor allem ethische und organisatorische Fragen, aber in Summe kommen wir mit KI weiter.“

img-8
Gruppenbild auf der Dachterrasse beim TUtheSky (von links): Sinan Tankaz, Nysret Musliu, Andrew Lindley, Christine Wahlmüller, Albert Moik und Rassa Seyedi

EU Bestrebungen zu KI

KI bedeutet ethisch eine Herausforderung. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine Ungleichbehandlung oder BIAS durch den Einsatz von KI stattfindet oder verstärkt wird. Eine zweite Frage ist der Grad an Autonomie, den wir KI-basierten Systemen zugestehen können und wollen. Der Themenbereich Ethik und KI darf daher keinesfalls vernachlässigt werden. Dieser Zugang wird auch von der Europäischen Union sehr ernstgenommen. Die EU hat im Juli 2020 eine Ethik Checkliste zum Thema KI veröffentlicht. Im April hat die EU-Kommission einen Gesetzentwurf zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz vorgestellt. Dabei geht es vor allem um die Regulierung von KI-Anwendungen, die mit Risiken für den Menschen verbunden sind. Dem Entwurf muss noch im EU-Parlament und im Rat der Mitgliedstaaten zugestimmt werden. Bis es tatsächlich ein EU weites KI-Gesetz gibt, wird es daher noch mindestens zwei Jahre dauern.

Alle Teilnehmer auf einen Blick (alphabetisch)

  • Andrew Lindley, AIT, Center for Digital Safety & Security
  • Albert Moik, Accenture Österreich, Leiter Applied Intelligence Team
  • Nysret Musliu, TU Wien, Leiter des Christian Doppler Labors für KI und Optimierung in Planung und Scheduling
  • Rassa Seyedi, IBM Österreich, Global Business Services Leader
  • Sinan Tankaz, Kapsch BusinessCom, Head of AI

Moderation & Redaktion: Christine Wahlmüller
Technik: Roland Kissling

KI-Roundtable zum Nachsehen

Den Überblick über alle bislang veranstalteten COMPUTERWELT Roundtables finden Sie hier:
www.itwelt.at/tag/roundtable

Die Expertenrunde zum Nachsehen finden Sie hier:
www.facebook.com/itwelt.at/videos
www.youtube.com/c/ComputerweltAt


Mehr Artikel

img-11
News

77 Prozent der Passwörter sind zu schwach

Der Großteil der genutzten Passwörter ist noch immer zu schwach, so das Ergebnis einer aktuellen Kaspersky-Analyse. Denn 45 Prozent aller Passwörter können innerhalb einer Minute geknackt werden. Nur jedes vierte (23 Prozent) Passwort ist ausreichend sicher – die Entschlüsselung würde über ein Jahr benötigen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*