»Fundamentals« war das Motto des Europäischen Forums Alpbachs (EFA), das heuer von 23. August bis 3. September völlig anders, fundamental anders, ablief. Bestimmende Themen waren natürlich die Corona-Krise, ihre Auswirkungen und die Digitalisierung. [...]
Einfahrt nach Alpbach: Wenig Autos, keine Meschentrauben beim Jakober oder beim Böglerhof. Gähnende Leere vor und im Kongresszentrum. Mund-Nasen-Schutz, Desinfektionsmittel und Fiebermessen. Das 75. Forum Alpbach, das festlich begangen werden sollte, war in jeder Hinsicht anders. EFA-Präsident Franz Fischler brachte es bei der Eröffnung der Technologiegespräche auf den Punkt: »Heuer können viel mehr Teilnehmer online am Programm teilnehmen – wir haben das Programm auf über 300 Sessions ausgeweitet. Aber es hat einen großen Nachteil: es gibt keinen realen Kontakt. Wir vermissen heuer die Alpbach Community.«
Das Online-Ticket kostete tatsächlich heuer für das gesamte Forum Alpbach nur 90 Euro. Zum Vergleich: Allein für 2,5 Tage Technologiegespräche werden normalerweise 800 Euro an Teilnahmegebühren verrechnet. Kein Wunder, dass das Forum Alpbach heuer ein Umsatz-Minus von rund einer Million Euro eingefahren hat. Aber auch die Sprecher nahmen zu einem großen Anteil virtuell teil – oder die Sessions wurden für die Öffentlichkeit nicht zugänglich vor Ort aufgezeichnet. Manche wurden live gestreamt, andere wurden später zum Programmzeitpunkt zugänglich gemacht. Damit hat sich das Forum Alpbach schon jetzt nachhaltig verändert, wie Franz Fischler festhielt: »Die Digital Online Sessions werden uns in Zukunft erhalten bleiben.«
Thematisch standen bei den Gesundheitsgesprächen neben Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise und ihrer Auswirkungen die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit im Mittelpunkt. Hier gab es etwa Panels mit dem Titel »Leistungskraft regionaler Gesundheitssysteme und COVID-19« mit Andreas Huss, (Österr. Gesundheitskasse), Epidemiologin Eva Scherhammer (Meduni Wien), Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher sowie Clemens Martin Auer, Präsident des European Healthforums Gastein oder eine virtuelle Session mit Melanie Ott, Director des Gladstone Instituts für Virologie aus San Francisco zum Thema »COVID-19 Diagnostic Directions: Time vs Sensitivity«.
Spannend und mehr IT-lastig war die Diskussion rund um die Personalisierung im Gesundheitswesen. »Personalisierte Medizin – Pret-a-porter or Haute Couture«?«, fragten sich dabei Roche-Vorstand Severin Schwan und Bart de Witte, Branchen-Experte für die digitale Transformation im Gesundheitswesen. Damit personalisierte Medizin erfolgreich ist, braucht es immer mehr »auch digitalisierte Gesundheitsdaten«, meinte dazu Roche-Vorstandsvorsitzernder Severin Schwan. Wäre es möglich, die extrem teuren klinischen Studien durch die Auswertung von Patientendaten aus der realen Welt zu ersetzen, wäre das ein wesentlicher Fortschritt, betonte Schwan. »Es gibt ein enormes Potenzial für Kostenreduktionen. Derzeit bilden wir Hypothesen und testen in klinischen Studien an Patienten, ob etwas wirkt oder nicht. Es ist keine Frage, dass wir mit Big Data aus der realen Welt schneller und besser werden könnten«, erklärte der Roche-Vorstandsvorsitzende.
Der Belgier Bart de Witte, der acht Jahre den Bereich Digital Health bei IBM im DACH-Raum geleitet hatte, bevor er im März 2019 mit der HIPPO AI Foundation mit Sitz in Berlin das erste globale NGO für Open-Source basierte KI in der Medizin gründete, sieht es als eine Mission an, »das Potential von KI so einzusetzen, dass allen Patienten der Zugang zu Präzisions- und personalisierter Medizin offensteht. Gleichzeitig müssen wir Anreize schaffen, damit Unternehmen innovative Technologien entwickeln und vermarkten können«, räumte er ein. Er betonte zudem den Wert solidarischer Systeme: »Was man in der derzeitigen Krise sieht? Systeme mit einem relativ gleichen Zugang zum Gesundheitswesen kommen besser aus der Krise heraus.« Der gemeinsame Feind SARS-CoV-2 bringe sogar die größten Machtblöcke der Erde zu einer Zusammenarbeit.
Beispiel für eine der vielen virtuellen bzw. hybriden Sessions (einige Teilnehmer vor Ort, einige virtuell) war das Panel »Resilienz und digitale Zukunft – Synergie oder Diskrepanz?«. Einzig Prof. Manfred Tscheligi, Professor für Human Computer Interaction der Uni Salzburg, saß nahezu allein (umgeben von Kameraleuten und Aufnahmetechnikern) in einem der kleinen Räume im Kongresszentrum Alpbach. Seine Diskutanten sah er allesamt nur auf einem großen Schirm. Das Gespräch fokussierte sich dabei vor allem auf die spezifischen Bedürfnissen der Menschen und darauf, wie sie ihr Lebensumfeld in einer Synergie aus real und digital gut und nachhaltig resilient gestalten können.
Zukunftsforscher Matthias Horx warnte davor, jetzt zu viel ins »Digitale« zu verlagern: »Je mehr wir Tools wie Zoom nutzen, desto mehr erkennen wir, dass wir damit nicht alles lösen können. Es zeigen sich auch die Grenzen der Technologien. Wir haben ein tiefes Bedürfnis nach persönlichem Kontakt und nach »realen« Konferenzen«. Und weiter: »AI kann derzeit nicht menschliche Intelligenz ersetzen. AI half uns in der Krise nicht, resilient zu sein, es war menschliches Verhalten.«
Interdisziplinär und aus völlig unterschiedlichen Perspektiven behandelten Informatik-Professorin Gabriele Kotsis von der Uni Linz, Gerald Bast, Rektor der Universität für Angewandte Kunst und Anab Jain, Professorin für Industrielles Design ebenda, unter dem Titel »Living with AI – Möglichkeiten und Herausforderungen für die Gesellschaft«, die Frage, inwiefern und inwieweit unser Leben künftig durch KI bestimmt wird. »Es braucht »Mensch-Maschine-Teams«. Wir sollten zusammenarbeiten, um eine bessere Welt zu erreichen«, fasste Kotsis zusammen.
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