ERP gilt als das Nervensystem eines Unternehmens. In einer zunehmend kundzentrierten Welt hat auch das CRM-System diesen Titel verdient. Der COMPUTERWELT Roundtable diskutierte die aktuellen Herausforderungen in beiden Bereichen und den Trend, dass IT-Dienstleister sich in Richtung Unternehmensberatung entwickeln. [...]
ERP- und CRM-Systeme bilden bei der Digitalisierung eine zentrale Rolle, da von hier aus etwa die Geschäftsprozesse gesteuert werden. Diese müssen sich angesichts verändernder Rahmenbedingungen weiterentwickeln. Wo Unternehmen bei diesem Thema stehen, wurde in der ersten Runde des COMPUTERWELT Roundtables erörtert, der Anfang Mai über die Bühne ging. Oliver Witvoet, Geschäftsführer der easyconsult GmbH und Gastgeber des der Diskussionsrunde, weist in seinem Eingangsstatement auf die Verbindung zwischen Digitalisierungsbestrebungen und wirtschaftlichem Druck hin: »In der Vergangenheit hatten Unternehmen ein Spitzenprodukt, waren nicht selten weltweite Marktführer in ihrer Nische, das Produkt hat sich verkauft.
Wenn die Auftragsbücher voll sind und das Geschäft gut läuft, dann ist der Bedarf für Veränderung wie etwa Digitalisierung zwar da, aber man sieht diesen nicht so stark. Doch langsam fängt man an, Konkurrenz zu spüren. Man erkennt, dass die Digitalisierung in den Bereichen Vertrieb und Marketing vorangetrieben werden muss. Es kommen zudem junge Vertriebsleiter in die Unternehmen, bei denen das Thema Digitalisierung wesentlich präsenter ist als bei älteren Mitarbeitern.«
Wolfgang Theiner, Geschäftsführer der COSMO CONSULT GmbH, bestätigt: »Viele Mittelstandsunternehmen müssen neue Business-Modelle finden, weil sie zum Beispiel unter Margendruck gekommen sind. Auf den produzierenden Mittelstand kommen derzeit massive Anforderungen zu.« Und auf die Applikationslandschaft gemünzt: »›Never change a running system‹ ist der falsche Zugang. Wenn ein System 20 Jahre sehr gut funktioniert hat, ist das keine Garantie dafür, dass es in den kommenden 20 Jahren ebenfalls gut läuft.«
»Es werden keine Glühbirnen mehr produziert, sondern Licht in Raten verkauft«, sagt Thorsten Menslin, COO und Prokurist der Kreuzbauer IT GmbH. »Services bringen eine Welle an Effizienzmöglichkeiten, die ich mit Hilfe von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Prozessoptimierung vorantreiben kann. Da macht ein Reengineering mit der Agenda Digitalisierung weitestgehend Sinn.« Digitalisierung sei Thorsten Menslin zufolge besonders dort ein Thema, »wo es um operative Effizienz geht – Home Office, vernetztes und vielfältiges Arbeiten – und dort, wo die Prozesse komplex sind – vom Mittelstand bis zu internationalen Enterprises – sowie im Umfeld des zusätzlichen Werteschaffens.«
Eigene Transformation
Die Teilnehmer des Roundtables waren sich einig, dass die Digitalisierung auch große Auswirkungen auf das eigene Unternehmen hat. COSMO CONSULT als hundertprozentiger Microsoft-Partner reagiert unter anderem auf sich ändernde Ansprüche seitens der Kunden. »Wir machen nicht bei allem mit, was Microsoft entwickelt, aber bei vielem: ERP, CRM, Business Analytics, Data Analytics, Modern Workplace, IoT etc. Wenn ein Kunde auf uns zugeht und ganz gezielte Wünsche äußert, was die Produkte betrifft: Hier lernen wir gerade, wie man das besser realisieren kann. Unser Ziel ist es, bis zu 30 Prozent einer Projektarbeit zu digitalisieren und zu automatisieren. Das ist auch angesichts des herrschenden Fachkräftemangels sehr wichtig. Wir sind genauso wir unsere Kunden gefordert, zu lernen und flexibler zu werden. Der Projektzugang, der noch vor fünf Jahren aktuell war, mit dem wird man heute nicht erfolgreich sein, weil auch die Kunden sich weiterentwickeln und andere Ansprüche haben als in der Vergangenheit«, so Wolfgang Theiner.
Thorsten Menslin: »Wir sind als Kreuzbauer IT ein klassischer ERP-Dienstleister und Berater im Industrie-Umfeld. Wir haben uns vor zwölf Jahren entschieden, exklusiv für IFS zu arbeiten – einen weltweit agierenden Hersteller, angesiedelt zwischen SAP und Microsoft, könnte man sagen. Das in Schweden gegründete Unternehmen hat modular aufgebaute Lösungen in vielen Bereichen. Diesen Ansatz haben wir uns zu eigen gemacht, indem unsere Organisation modular mitgewachsen ist.« Das Unternehmen gehe nun stärker in den Bereich Services, »weil wir sehen, dass unter dem Begriff ›Werteerweiterung‹ – Value-Adding – das Thema ›Servitization‹ ein ganz wesentlicher Aspekt ist, der sich bei allen Industrien durchzieht, um neue Geschäftsmodelle nachhaltig aufzubauen und damit zusätzlichen Wert zu schaffen. Damit sind wir heute viel mehr Service-orientiert, als wir es noch vor einigen Jahren waren. Und gleichzeitig sind wir stark digitalisiert und flexibel unterwegs.«
Oliver Witvoet weist unter anderem auf die rasche Entwicklung des CRM-Spezialisten und Micosoft-Partners easyconsult hin: »Wir sind in den letzten Jahren sukzessive gewachsen. 2015 waren wir vier Personen, heute 21. Das heißt, wir haben einen Wandel durchgemacht und haben darauf geachtet, dass wir die Dinge, die wir bei unseren Kunden predigen, selbst auch richtig machen. Dazu gehört etwa, dass wir uns nicht gleich auf eine neue Software stürzen. Wir sehen uns zunächst genau an, was wir erreichen wollen. Wir müssen auf dem Papier den Prozess niedergeschrieben und diskutiert haben, erst dann beschäftigen wir uns mit der Digitalisierung.«
Die Sache mit den Hausaufgaben
»Ein Kunde hat einmal gesagt: ›CRM ist kein Rettungsboot‹«, führt Oliver Witvoet weiter aus. »Wenn etwas im Argen liegt, reicht es nicht, einfach CRM einzuführen mit dem Glauben, dass dann alles gut wird.« Und: »Wenn ein Projekt scheitert, dann liegt es meistens nicht an der Software. Die Software ist zwar wichtig, sie ist aber nur ein kleiner Teil des Ganzen. Es gibt sehr viel Aspekte, die ein Projekt – drastisch formuliert – an die Wand fahren oder zum Erfolg bringen können.«
Genau diese Aspekte – gerne »Hausaufgaben« bezeichnet – nehmen einen großen Teil der Diskussion ein. »Viele übersehen das Thema Datenqualität«, sagt etwa Wolfgang Theiner. »Was wir beobachten, ist, dass Kunden sehr gerne das Thema intelligentes ERP angehen würden, aber das Projekt schnell stoppen, weil sie merken, dass die Datenqualität nicht passt. Wenn ich schlechte Daten habe, funktioniert auch das ERP-System nicht wunschgemäß. Hier findet aber ein Wandel statt, die Awareness ändert sich. Wir bieten zu diesem Zweck ein Data Strategy Assessment an – Stichwort Hausaufgaben.«
»Das Thema Datenmanagement wird in den meisten Fällen unterschätzt. Doch mindestens ein Drittel eines Projektbudgets betrifft genau dieses Thema«, ergänzt Thorsten Menslin. »Im Zeitalter der Digitalisierung und internationalen Vernetzung gilt es nicht nur, interne Daten zu verknüpfen. Man muss auch die externe digitale Welt anbinden. Ich rede von B2B-Shops, wo sich Kunden und Lieferanten anmelden können, von Angebots- und Sharing-Plattformen, die im Internet laufen. Dafür brauche ich Plattformen, die diese externen, webbasierten Systeme bedienen können.«
Oliver Witvoet unterstreicht wieder die Wichtigkeit des richtigen Procederes, easyconsult nennt es »ZPS – Ziele, Prozesse, Software«: »Zunächst gilt es, die Ziele zu definieren. Ziele sind oft: Wir wollen effizienter sein, wir wollen näher zum Kunden, wir wollen ihn bestmöglich in allen Kanälen servicieren usw. Das sind Vorhaben, die man umsetzen kann. Mit diesen Zielen im Hinterkopf sieht man sich die Datenlandschaft, die Datenqualität und die Prozesslandschaft an. Und erst dann kommt die Software ins Spiel.«
Künstliche Intelligenz
Datenmanagement ist auch dann essentiell, wenn es um neue Technologien im ERP- und CRM-Umfeld geht, Beispiel KI. Thorsten Menslin von Kreuzbauer IT: »Bei einer ERP-Migration oder beim Thema KI wird oft als Basis das konsistente Datenmanagement vergessen. Bei einer Migration muss ich immer zuerst die Datenkonsistenz prüfen. Dann ist es möglich, auf ein neues System zu migrieren und darüber KI-Funktionalitäten zu legen, die mir wertvolle Informationen liefern können. Ein Beispiel ist Predictive Maintenance. Auch im Service-Bereich ist viel Kosteneinsparungspotenzial vorhanden. Dazu braucht es Datenkonsistenz und entsprechende Netze, um die Informationen an jene Stellen zu bringen, die die Prozesse anstoßen. Das ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern läuft bereits.«
Oliver Witvoet von easyconsult bringt eine Analogie: »Es gibt Laufschuhe mit Carbon-Einlage. KI steht für diese Carbon-Einlage. Wenn ich diese Laufschuhe kaufe, heißt das noch lange nicht, dass ich den nächsten Marathon gewinne. Der Hebel ist anderswo – ohne KI kleinreden zu wollen. Man muss sich erst einmal auf das Lauftraining konzentrieren und die Basis schaffen.«
Wolfgang Theiner von COSMO CONSULT berichtet, dass auch große Konzerne oft nicht wissen, wie sie Wertschöpfung mit Daten generieren können, die durch KI entstehen. »Es gibt sehr viele gute Ideen, zum Beispiel die Lagerinventur mit Hilfe einer Drohne. Das ist natürlich grundsätzlich möglich, aber nicht mit einem ERP-System, das 15 Jahre alt ist.«
Neusystem ante portas
Thorsten Menslin sieht zwei Richtungen bei jenen Unternehmen, die ein neues ERP-System planen. »Die einen kommen aus dem Bereich, wo sie sich besser um die Kernprozesse kümmern wollen – und zwar dort, wo sie wirklich Werte schaffen und sich auch flexibler für die Zukunft aufstellen. Sie sehen ERP als zusätzlichen Faktor für das Erreichen der Ziele. Die anderen Unternehmen sind jene, die ihre Altsysteme sehr lange gehalten haben. AS400 ist noch immer keine Seltenheit. Aufgrund der Rasanz in der IT-Entwicklung ist es nicht mehr möglich, diese Systeme ohne unverhältnismäßig hohen Aufwand zu betreiben. Vor diesem Hintergrund wollen die Unternehmen entweder in die Cloud gehen oder auf ein neues System wechseln, das entsprechend modern ist und Effizienz, Digitalisierung und Wertschöpfung unterstützt.«
Für Oliver Witvoet geht die Reise eindeutig in Richtung Cloud: »Es ist so, als würde man fragen: Schaffe ich mir heute ein Auto oder ein Pferd an? Es ist jedoch so, dass viele Unternehmen noch nicht in der Cloud sind. Sie fühlen die Nachteile und auch den Druck der Hersteller, die in Richtung Cloud gehen.«
»Das volle Potenzial – und das wird in den kommenden Jahren noch deutlicher werden – kann ich nur mit der Cloud realisieren«, bestätigt Wolfgang Theiner. »Man braucht sich nur die Entwicklung von Microsoft ansehen und die neuen Services und Produkte. Man hört von Microsoft, dass on-prem, langfristig gesehen, eine Sackgasse ist. CRM in der Cloud ist bereits Business as usual. Bei ERP ist es noch nicht so weit.«
Usability & Co
Ein weiterer Aspekt ist Automatisierung. Wolfgang Theiner: »Die Software muss den Arbeitsablauf vereinfachen. Dinge, die den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die Nerven gehen, sollten automatisiert ablaufen. Der User muss sich um Dinge kümmern können, die Nachdenkarbeit fordern, wo etwa ein komplexes Problem zu lösen ist.« »Je repetitiver die Arbeit und die Prozesse im Unternehmen sind, desto weniger sollte der User oder die Userin eingreifen müssen«, bringt es Thorsten Menslin auf den Punkt.
Was Usability und Intuitivität der Software betrifft, so fährt Oliver Witvoet einen pragmatischen Ansatz: »Ich würde so herunterbrechen: Wenn der User sieht, dass der Nutzen aus der Software höher ist als der Aufwand, wird er sie gerne nutzen – egal, wie intuitiv sie ist. Das erreiche ich einerseits durch die Arbeit an der Software, andererseits durch die Kommunikation, indem ich den Nutzen herausstreiche.«
Consulting gefragter denn je
Wie bereits erwähnt, ist die Technologie nur ein kleiner Teil, wenn es darum geht, das Unternehmen mittels Digitalisierung voranzubringen. Immer wichtiger wird das Beratungsgeschäft. »Oft kommen Kunden zu uns mit dem Wunsch, Microsoft Dynamics einzuführen und ein Angebot zu schicken«, sagt Oliver Witvoet. »Das ist nicht unsere Vorgehensweise. Zunächst müssen die genannten Fragen bezüglich der Ziele und Prozesse beantwortet werden, sonst fällt es dem Kunden später auf den Kopf – und uns auch. Das heißt, wir gehen den beratenden Ansatz. Wir wissen, wie es funktioniert, weil wir seit über 20 Jahren darauf spezialisiert sind.«
Vor diesem Hintergrund ist die Branchenexpertise und eine entsprechende Spezialisierung essentiell. Thorsten Menslin: »Das geht bei uns so weit, dass wir uns auf fünf Branchen spezialisieren wollen. Großhandel bieten gar nicht mehr an, obwohl wir es von der Software-Seite könnten. Wir haben für jede Branche, die wir bedienen, eine eigene Stabsstelle, die mit ihren Abteilungen branchenspezifisch arbeitet. Gemeinsam mit universitären Stellen untersuchen wir, was in Zukunft branchenspezifisch sein wird. Wohin geht die Reise? Was sind die Chancen, die Risiken? Welche Kriterien sind besonders interessant? Da geht es viel mehr um die Detailberatung als um reine Software-Beratung.«
Für Wolfgang Theiner verschwimmen die Grenzen zwischen IT-Dienstleister und Unternehmensberater. »Das merken wir, wenn wir mit dem Kunden sprechen. Er spricht nicht nur über das System selber, sondern auch über Geschäftsmodelle. Dadurch entsteht ein Druck, damit wir uns selbst transformieren. Wir sind gefordert, frühzeitig Trends zu erkennen, um Kunden auch in Zukunft servicieren zu können. Wir haben in Deutschland zum Beispiel eine eigene Unit gegründet, die sich nur um Change Management kümmert. Es gibt Projektbudgets, die in die Millionen gehen. 30, 40 Tage Change-Management-Begleitung, die notwendig wäre, wird aber herausgestrichen. Hier besteht aus unserer Sicht noch viel Lernbedarf. Ich sage immer: ERP führt niemand freiwillig ein, man macht es nicht aus Jux und Tollerei. Es gibt immer einen massiven Schmerzpunkt. Daher sollte man das Projekt so angehen, dass das volle Potenzial genutzt werden kann.«
Empfehlungen
Die Schlussrunde des COMPUTERWELT Roundtables bestand unter anderem in Ratschlägen an Unternehmen, die etwa ein Neusystem einführen wollen. »Es gibt unendlich viele Gründe für den Schmerz oder möglichen Schmerz, etwa der Vertrieb ist nicht effizient genug oder die Nähe zum Kunden fehlt«, sagt Oliver Witvoet. »Genau das muss ich verschriftlichen. Ich empfehle auch, jemanden extern zu konsultieren, der die Außensicht hat, damit das Unternehmen auf einer höheren Abstraktionsebene bleibt und nicht zu schnell in die Lösungsfindung geht. Denn es geht in einem ersten Schritt um die High-Level-Ziele. Im zweiten Schritt geht es um die Prozesse. Da ist es ebenfalls hilfreich, wenn man eine externe Sicht hat. Man kann sich natürlich einen klassischen Unternehmensberater ins Haus holen, der von der Technik weniger Ahnung hat. Ich empfehle aber, jemanden zu konsultieren, der einerseits auf Augenhöhe mit dem Kunden sprechen kann, andererseits aber schon Technik-Knowhow mitbringt – im Sinne von: Er weiß, wie ein Prozess in der Standard-Lösung gedacht ist und kann den Workshop mit dem Kunden entsprechend führen. Wir empfehlen immer, zunächst den Standard anzusehen, sonst könnte das Projekt angesichts maßgeschneiderter Prozesse sehr teuer werden.«
Thorsten Menslin: »Wir empfehlen den Kunden ganz klar, die Beratung in der Branche zu holen. Es gibt beispielsweise Industrieverbände, die wissen, wohin die Reise geht. Die IST-Analyse ist bei jenen Kunden sehr wichtig, die umsteigen wollen. Sie kommt in den meisten Fällen zu kurz. Nach Erledigung der Hausaufgaben mache ich mich innerhalb der Branche schlau, tausche mich mit Mitbewerb, Partner und Lieferanten aus – und bemühe eventuell einen Branchenberater. Dann kommt die IFS oder ein IFS-Partner wie Kreuzbauer IT ins Spiel.«
Wolfgang Theiner weist abschließend darauf hin, dass der Erfolg eines Projekts oft vom beratenden Team abhängt, meist weniger von der Software. »Ein Digitalisierungsprojekt ist keine 10-Tage-Aktion, sondern mit einer Ehe vergleichbar. Es ist eine Vertrauenssache, die lange läuft und bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir können noch so schöne Softwaresysteme bauen – im Endeffekt ist es immer der Mensch, der damit arbeiten muss.«
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