Das Potenzial von Big Data in der Logistik

Die Transportlogistik steht vor dem Umbruch. Was heute mit der immer stärkeren Vernetzung aller an der Transportkette beteiligten Objekte beginnt, wird sich schon bald zur vollautomatischen Logistik weiterentwickeln. Hinter diesem Wandel steckt Big Data. [...]

Die Logistikbranche ist seit 2013 mit 230 Milliarden Umsatz und mehr als 2,8 Millionen Beschäftigten der drittgrößte Wirtschaftsbereich Deutschlands. Laut Definition der Bundesvereinigung Logistik (BVL) ist die Logistik oder auch das Supply Chain Management (SCM) „die Sicherung der Verfügbarkeit des richtigen Gutes, in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, für den richtigen Kunden und zu den richtigen Kosten“.

Der Bedarf an Logistikleistungen steigt doppelt so stark wie die Gesamtwirtschaft. In dieser Wachstumsbranche wird zwischen Produktions-, Beschaffungs-, Verkehrs-, Dienstleistungs- und Handelslogistik und einer Reihe weiterer Fachdisziplinen, wie beispielsweise der Entsorgungslogistik, unterschieden. Allen gemeinsam ist der Umbruch, den diese Branche aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen und technologischer Innovationen gerade durchläuft. Genaue Zahlen für Österreich gibt es nicht, die Tendenz dürfte jedoch ähnlich sein.

Bereits im Jahr 2007 schlug die EU-Kommission in ihrem „Freight Transport Logistics Action Plan“ Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastrukturnutzung und des länderübergreifenden Warenflusses sowie zur Reduktion der Friktionskosten bei Transportübergängen aller Art vor.

Hintergrund dieses Aktionsplanes war die Tatsache, dass ein Widerspruch zwischen der steigenden wirtschaftlichen Bedeutung und der Ertragskraft der Branche vorliegt. Die steigende Nachfrage wurde durch Globalisierung von Handel und Produktion, einer zunehmenden Produktindividualisierung sowie der Verringerung von Lagerbeständen durch „On Demand“-Anforderungen beeinflusst.

HERAUSFORDERUNG
Weitere Einflussfaktoren waren ein wachsendes Risiko- und Umweltbewusstsein. Bereits damals spielten Maßnahmen wie beispielsweise die Umsetzung eines „Internet for cargo“, die Standardisierung der Frachtbeschreibungen oder auch die Interoperabilität der elektronischen Gebührenerhebung in den Bereichen e-Freight und intelligente Transportsysteme eine wichtige Rolle. Es ist zu erwarten, dass die aktuell stattfindende Revision des Aktionsplanes weitere IT-gestützte Maßnahmen vorsehen wird.

Mit der Umfrage „17th Annual Global CEO Survey“ hat das Beratungshaus Price Waterhouse Coopers (PWC) die Herausforderungen der Transport- und Logistikindustrie aus Sicht von über 100 CEO aus 43 Ländern erfasst. Neben der Überregulierung und der Steuerlast (je 68 Prozent) bereiten den Führungskräften vor allem die mangelnde Qualität der Basis-Infrastruktur (56 Prozent) sowie die Energiekosten (75 Prozent) die größten Sorgen. Gleichzeitig sind 79 Prozent der Befragten der Meinung, dass Big Data, soziale Medien, mobile Geräte und die Digitale Wirtschaft das Geschäft am stärksten verändern werden.

Die Digitalisierung und Industrie 4.0 ist eine der vier größten Chancen, den Umsatz in Jahr 2015 signifikant zu steigern und/oder Kosten zu senken. Dies ist das Ergebnis der im vierten Quartal des Jahres 2014 durchgeführten Expertenbefragung des Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel.

Industrie 4.0 stellt höchste Ansprüche an die Liefergenauigkeit und -flexibilität von Rohmaterial, Zwischenprodukte, Fertigteile und andere Waren. Dabei werden Transportmittel und Lagermöglichkeiten selbst zum integralen Bestandteil der Wertschöpfungskette. Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, müssen sie über dieselben Möglichkeiten verfügen, die für Fertigungsmaschinen der Zukunft vorgesehen sind: Sie müssen mit Geräten wie Werkzeugmaschinen, Industrierobotern oder Verlesestationen – und natürlich dem intelligenten Produkt selbst – kommunizieren können.

Bereits heute ist eine Reihe von Big-Data-Anwendungen in der Logistik im Einsatz. Dazu zählt etwa die seit 15 Jahren existierende Flottenmanagement-Plattform TomTom WebFleet der Firma TomTom Telematics. Pro Tag verarbeitete das System Mitte 2014 mehr als 500 Millionen Nachrichten. Diese wurden von 400.000 Fahrzeugen, die mehr als 65 Millionen Kilometer zurückgelegt haben, generiert. Die sehr schnelle und einfache Auswertung von Statusinformationen, Positionsangaben, Tachostand und Verbrauchswerte soll laut Managing Director Thomas Schmidt 80 Millionen Euro Treibstoff pro Monat einsparen. Dabei werden beispielsweise Fahrzeiten und Ankunftsinformationen sowie eine Vielzahl von Statistiken errechnet.

GROSSES SPARPOTENZIAL
Ein weiteres klassisches Beispiel ist die Anwendung „No Data Left Behind“ von US Xpress. Bereits 2010 hat der CTO von US Xpress, Tim Leonard, in der Onlinezeitschrift ComputerWeekly die Anwendung beschrieben: Etwa 900 unterschiedliche Parameter von rund 10.000 Zugfahrzeugen sowie 22.000 Anhängern werden in Echtzeit verwertet und mit Fahrer-Feedback aus sozialen Netzen kombiniert und laufend analysiert.

Dies dient dem Ziel, sämtliche Fahrzeuge in Bewegung zu halten und Wartungszeiten zu minimieren. Der Ansatz funktioniert: Tatsächlich konnten durch die Analyse und die Korrektur der Leerzeiten beispielsweise 20 Millionen Dollar Kraftstoff eingespart werden. Andere Big-Data-Anwendungen für die Logistik reichen vom Verkehrsmanagement, wie das Beispiel das System von Trustway Technology in der Chinesischen Stadt Hangzhou, dem „Venedig des Ostens“, bis hin zum integrierten Risikomanagement von Lieferketten wie durch Resilience360 von DHL.

ROUTENOPTIMIERUNG IN ECHTZEIT
Einen umfassenden Ausblick auf mögliche Einsatzszenarien in der Logistikbranche gibt die Studie „Big Data in Logistics“ des DHL Konzerns, die Ende 2013 erschienen ist. Darin werden elf Anwendungsfälle beschrieben, wie die rasche und sinnvolle Auswertung großer Datenmengen gewinnbringend eingesetzt werden kann. Die skizzierten Beispiele reichen von der Routenoptimierung in Echtzeit über Crowd-basierte Abholung und Anlieferung über prognostische Netzwerk- und Kapazitäts-Planung bis hin zu strategischer Netzwerkplanung und operativer Kapazitätsplanung.

Darüber hinaus werden Möglichkeiten zur Optimierung von Angeboten und Produktinnovation sowie Risikoabschätzung und Belastbarkeitsplanung vorgestellt. Auch Nachfrage- und Angebotsplanung, Maßnahmen zur Kundebindung oder die gezielte Bereitstellung von Marketinginformationen für kleine und mittlere Unternehmen gehören zu den skizzierten Anwendungsfällen von Big Data. Selbst eine Analyse des Finanzierungsbedarfs für Nachfrage und Angebote lassen sich mit modernen Big-Data-Systemen realisieren.

Die Logistik ist das zentrale Element jeder Lieferkette. Dank Big-Data-Technologien sind aktuelle und vollständige Informationen über Fahrzeuge, Sendungen und Lieferaufträge jederzeit und überall verfügbar. Die Lieferkette wird dadurch auch sehr viel besser steuerbar.

Für die Logistik als Branche bedeuten diese Technologien weit mehr als nur die reine Optimierung der beiden großen Kostenfaktoren Personal und Energie. Sie kann ihre Angebote noch viel stärker und genauer auf die Bedürfnisse ihrer Kunden ausrichten. Und beispielsweise zum integrierten Bestandteil einer weitgehend automatisierten und hochflexiblen Industrieproduktion werden. Es gilt die bereits heute verfügbaren Angebote zu nutzen und Innovationen im Auge zu behalten.

* Der Autor Daniel Liebhart ist Dozent für Informatik an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.


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