Denken in neuen Ansätzen

Der digitale Wandel betrifft nicht nur die IT-Abteilung, sondern fordert das gesamte Unternehmen: beginnend beim Top-Management bis hin zum einzelnen Mitarbeiter. Die COMPUTERWELT sprach mit August-Wilhelm Scheer und Michael Bergmann, COO für Internationales Geschäft bei der Scheer Austria GmbH. [...]

Laut einer aktuellen Studie sehen so gut wie alle Unternehmen die Notwendigkeit der Digitalisierung und der Verankerung des Themas im Top-Management. Gleichzeitig liegt die digitale Kompetenz der Top-Manager im Argen. Können Sie das aus Ihrer Sicht bestätigen?
August-Wilhelm Scheer: Ja. Ein Grund dafür ist, dass man geneigt ist, das Bestehende zu verteidigen, womit man in der Vergangenheit erfolgreich gewesen ist und was die Karriere ermöglicht hat. Es ist schwer einzusehen, dass diese Kompetenzen nicht mehr so wichtig sind, wenn wie heute ein Bruch entsteht. Das erklärt das Beharrungsvermögen und das Herunterspielen der aktuellen Herausforderungen. Die Erkenntnis, dass diese Themen im Top-Management angesiedelt sein müssen, hatten wir schon vor 30 Jahren.

Michael Bergmann: Es ist oft erschreckend zu sehen, wie wenig weit das Bewusstsein besonders im Mittelstand ausgeprägt ist, dass die digitale Revolution große Veränderungen mit sich bringt. Obwohl jeder Beispiele wie Nokia oder Kodak kennt, ist jeder davon überzeugt, dass es ihn nicht trifft. Die IT allein kann den Wandel nicht vollziehen, weil sie zu weit weg ist von den Business-Anforderungen. Die Einführung einer digitalen Strategie muss immer eine gemeinsame Tätigkeit mit dem Management sein. Meistens bedarf es auch eines externen Beraters, der zwischen Business und der IT moderiert und die Erfahrung von anderen Firmen mit einbringt.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
Scheer: Es sind nicht nur die technischen Änderungen, sondern es werden auch Business-Modelle in Frage gestellt. Das bedeutet einmal, dass Produkte und Dienstleistungen viel stärker personalisiert werden können. Um es salopp zu sagen: Jeder hat sein eigenes Produkt. Das Zweite ist der Trend zur Selbststeuerung. Dinge, die sich selber steuern, ohne dass man darüber ein Steuerungssystem braucht. Das gilt für Dinge und für Personen, was ebenfalls zu neuen Business-Modellen führt. Beispiele sind selbstfahrende Autos wie bei Tesla oder das Thema Industrie 4.0. Bei Menschen sind es die Roboterunterstützung und intelligente Dienste. Dazu zählt auch, dass Mitarbeiter selber bestimmen wollen, wie lange und wo sie arbeiten. Eine weitere Herausforderung ist, dass sich die großen Plattform-Anbieter wie Amazon und eBay zwischen Herstellern bzw. Anbietern und Kunden drängen. Ohne Kundenbezug kann man nicht personalisieren, weil man den Kunden nicht mehr genau kennt. Viele Hersteller und Anbieter von Dienstleistungen werden damit zu Zulieferern derartiger Plattformen degradiert. In Zukunft könnte Facebook der größte Konkurrent von Versicherungsunternehmen sein, da es die Bedürfnisse der Kunden sehr genau kennt und auf Basis der Persönlichkeitsprofile künftig maßgeschneiderte Versicherungen anbieten kann.
Dazu kommt, dass viele Jobs wegfallen werden …
Scheer: Das bedeutet ja nicht, dass alle arbeitslos werden, es verschwinden Tätigkeiten und neue entstehen. Zudem existiert ja eine große Aufbaustimmung, etwa in der Startup-Szene, mit Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen. Von daher sehe ich es nicht schwarzweiß. Man muss allerdings zugeben, dass es auch bei der ersten industriellen Revolution große Verwerfungen mit großen Auswanderungswellen gegeben hat. Hinterher sind neue Arbeitsplätze entstanden, es waren aber andere, die diese besetzt haben und der Prozess hat 50 Jahre gedauert. Ich glaube aber nicht, dass die Auswirkungen in Mitteleuropa sehr stark sein werden, anders als in der Dritten Welt, was meiner Meinung nach das größere politische Thema ist. Durch Automatisierung wie Robotic Process Automation wird zum Beispiel ein Teil der outgesourcten Tätigkeiten etwa im administrativen Bereich zurückgeholt werden. 
Welche kulturellen Voraussetzungen braucht es, um den Wandel erfolgreich zu überstehen?
Scheer: Man muss erkennen, wo die eigenen Stärken der Zukunft liegen können. Man muss zudem bereit sein, von Jüngeren zu lernen und Strukturen schaffen, die das begünstigen. Organisationen dürfen keine Angst davor haben, in neuen Business-Modellen zu denken. Unternehmen müssen dort anfangen, wo sie die höchste digitale Kompetenz haben und sich fragen, ob diese angegriffen wird. Dafür ist es entscheidend, die richtigen Mitarbeiter zu haben. Wir müssen deshalb viel mehr gezielt in das gesamte Bildungssystem investieren – für mich der Schlüssel für alles. Hier geht es weniger darum, Programmieren zu lernen, sondern vor allem um das Denken in neuen Ansätzen.

Bergmann: In großen Organisationen entstehen wenig neue Ideen. Querdenken bei eingesessenen Managern, die Jahrzehnte im Unternehmen sind, kommt nur selten vor. Es hilft daher, Querdenker aus der Digital-Native-Generation hinzuzuholen oder sich Impulse bei Startups zu holen.


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