Der IKEA in der Hosentasche

Claudio Winkler kennen viele als Gründer und Geschäftsführer von DocFinder. Nach 10 Jahren Unternehmertum hat er 2019 bei IKEA als Country Digital Manager angedockt, wo er für digitale Projekte und die digitale Transformation verantwortlich ist. Im Interview erzählt er über die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens und wie sich auch Kunden weiterentwickeln. [...]

Claudio Winkler ist Country Digital Manager & Mitglied der Geschäftsführung bei IKEA Österreich. (c) IKEA

Das Möbelhaus IKEA lebt zu einem Großteil vom Einkaufserlebnis im Geschäft. Wie hat Sie die Krise getroffen und haben Sie wie viele andere Unternehmen auch während der Pandemie Digitalisierungsmaßnahmen ergriffen?

IKEA befindet sich nicht erst seit der Pandemie in einer großen digitalen Transformation, wir haben schon davor in diese Richtung gesteuert. Aber die Pandemie hat das natürlich beschleunigt und unsere Kunden nutzen immer stärker die digitalen Kanäle. Wir haben deshalb zum Beispiel einen starken Fokus auf die Webseite gelegt und sie international abgestimmt, um Sy-nergien nutzen zu können. IKEA ist ein Unternehmen, das über einen langen Zeitraum gewachsen ist und daher bestehen auch die Systemlandschaften schon länger. Hier gab es Einiges zu tun zum Beispiel in Richtung agiles Entwickeln, Minimal Viable Products und um Kundenfeedback schneller zu erhalten, um darauf rasch reagieren zu können.

Wir wollen das beste und einfachste Kundenerlebnis über alle digitalen Touchpoints liefern. Das kann man natürlich nur, wenn man es einerseits messen kann und von den Kunden weiß, was sie wirklich wollen. Hier ist es sehr wichtig in schnellen kleinen Schritten vorwärts zu gehen. Bei unserer neuen App haben wir etwa Release-Zyklen von 2 bis 3 Wochen. Während der Pandemie hat uns natürlich sehr geholfen, dass wir schon tief in der Transformation waren. Das hat es einfacher gemacht, die Schritte, die wir schon vorher gemacht haben zu skalieren, die Systeme noch größer aufzusetzen, weil die Nutzung massiv angestiegen ist.

Können Sie das genauer erklären?

Wir haben zum Beispiel aufgrund des erhöhten Kundenaufkommens viele Prozesse, die im Hintergrund laufen, automatisiert. So können Kunden auf der Webseite noch viel mehr tun wie etwa den Bestellstatus einsehen oder Lieferungen ändern. Ein starker Fokus lag in der Pandemie auch im gesamten Online-Bereich und bei den Liefer- bzw. den Abholmöglichkeiten. Da haben wir unterschiedliche Angebote geschaffen. Es gibt mit dem Einkauf im Store den klassischen Weg, dann bieten wir an, die Sachen online zu bestellen und sich liefern zu lassen oder man bestellt etwas und holt es mittels kontaktlosem Click&Collect selber ab. Hier haben wir viel in die Logistik-Systeme, die dahinter stehen, investiert und auch eine Kooperation mit Rewe geschlossen.

Wie sehr ist der Online-Anteil des Geschäfts gewachsen?

Wir haben im Online-Geschäft derzeit eine Steigerung um 50 bis 60 Prozent. Es ist aber nicht nur die Webseite oder die App. Das betrifft auch andere Kanäle. Wir bieten zum Beispiel die Möglichkeit zur Online-Beratungen an, wenn man etwa seine Küche oder sein Schlafzimmer plant, also Bereiche bei denen man oft Experten hinzuzieht. Wir haben ein paar neue Kanäle geschaffen, die darauf abzielen, dass man flexibel bei uns einkaufen kann. Wir wollen ein Omnichannel-Erlebnis schaffen also die Verknüpfung von Online und Offline bieten. Wir wissen, dass 80 Prozent unserer Kunden ihr IKEA-Erlebnis online starten. Sie informieren sich im Internet, nutzen vielleicht die Webseite oder die App auch als Kanal zum Einkaufen aber viele gehen in den Store. Wir versuchen in der digitalen Welt dieses Shopping-Erlebnis bestmöglich abzubilden.

Hier kommt unsere neu App ins Spiel. Sie bietet etwa Suchmöglichkeiten und eine Einkaufsliste, die man teilen kann, um sich vielleicht in der Familie abzustimmen. Dann gehe ich in den Store und schaue mir das Sofa oder den Tisch noch vor Ort an und kaufe ein. In der App ist auch die Kundenkarte Ikea Familycard integriert. Wir versuchen mit der App das Omnichannel-Erlebnis so einfach wie möglich zu gestalten. Ich habe damit ein Tool, mit dem ich alles machen kann und es nutzt mir sowohl im Store als auch beim Online-Shoppen.

Eine App ist aber nichts Besonderes …

Wir hatten natürlich auch schon vorher eine App beziehungsweise hatten wir verschiedene Apps. Die neue App vereint alles. Das Smartphone ist das Nummer-Eins-Gerät wenn es um Screentime geht. Die App soll ein zusätzlicher Kanal sein und zusätzlich zur Webseite genutzt werden. Wir nennen die App auch den kleinsten Ikea, den du immer in der Hosentasche dabei hast. Es ist vor allem der Weg wie immer mehr Kunden einkaufen. Die App ist ein wichtiger Teil der Digitalstrategie. Unser Fokus liegt stark auf den Kunden und die App ist der direkte Berührungspunkt mit ihnen. Dazu braucht man aber eine digitale Basis, die aus vielen Systemen besteht. Wir gehen hier in Richtung Microservices. Das bedeutet, wir haben nicht ein monolithisches System, das alles kann sondern wir haben einzelne Teile und kombinieren diese Services.

Wir sind zudem ein Data Driven Business. Wir haben als großes Unternehmen viele Bereiche wo Daten liegen. Es muss das Ziel sein, dass jeder im Rahmen der Richtlinien darauf zugreifen kann, um sie zu nutzen. Da geht es nicht nur um Kundendaten sondern auch um Daten zum Beispiel über die Möbelstücke. Das vereinen wir, um für die Kunden den besten Service anbieten zu können. Datenschutz steht hier natürlich ganz weit oben. IKEA hat sich auch dazu bekannt, ethisch mit Daten umzugehen also ganz klar zu kommunizieren wofür die Daten verwendet werden, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, dass auch wenn sie die Daten nicht mit uns teilen möchten, sie die Services trotzdem nutzen können. Auch die Mitarbeiter spielen bei der Digitalisierung eine große Rolle. Die Infrastruktur ist die eine Sache, aber du musst auch die Mitarbeiter mit Tools ausstatten und trainieren. IKEA hat während der Pandemie keine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und keine Staatshilfen in Anspruch genommen. Jeder Lockdown tut natürlich weh und wir haben als IKEA auch eine soziale Verantwortung.

Wie wird sich das Kundenverhalten nach der Pandemie entwickeln?

Es wird sicher nicht wie vor der Pandemie. Sowohl Kunden als auch Unternehmen haben während der Pandemie neue Möglichkeiten entdeckt und es haben sich viele Vorteile daraus entwickelt. Das Einkaufen im Store ist immer ein ganz besonderes Erlebnis, es wird aber neue Touchpoints wie etwa den IKEA am Westbahnhof in Wien geben, wo wir mit einem neuen Konzept mitten in der Stadt sind. Die digitalen Kanäle werden dabei eine immer stärker unterstützende Rolle einnehmen. Der Kunde wird flexibler werden und durch die digitalen Möglichkeiten auch informierter.


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