Daten mögen die neue Währung der Digitalisierung sein, aber damit dieser Schatz gehoben werden kann, bedarf es der Unterstützung von Künstlicher Intelligenz. Das wirtschaftliche Potenzial dieser Technologie ist riesig. [...]
Smartphones, Waschmaschinen, Kühlschränke, Leuchtkörper – nichts geht scheinbar mehr ohne Unterstützung durch künstliche Intelligenz. Kein Wunder, dass die diesjährige IFA in Berlin unter dem Motto „IFA NEXT“ KI als wesentliches Thema für die Unterhaltungselektronik und Heimgeräte herausstellt. Es scheint, das KI endlich den Massenmarkt erreicht hat. Komisch nur, dass jeder eine andere Vorstellung davon hat, was künstliche Intelligenz wirklich bedeutet. Besonders krass ist die Diskrepanz nach wie vor zwischen normalen Konsumenten und IT-Experten. Da auch die Ansichten von Geschäftsführern und CEOs – je nach Techniknähe beziehungsweise Technikferne der Branche, in der sie sich befinden – zwischen diesen Polen oszillieren, ist es zunächst ratsam zu klären, was denn genau unter künstlicher Intelligenz zu verstehen ist. Tatsächlich gibt es keine Definition von künstlicher Intelligenz, vielmehr handelt es sich um einen Oberbegriff verschiedener Technologien oder wie es die Unternehmensberater von Accenture formulieren, um „eine Sammlung verschiedener Technologien, die so zusammengeführt werden können, dass sie in der Lage sind, Maschinen mit menschenähnlicher Intelligenz auszustatten.“
Beschreibung statt Definition
Mangels einer griffigen Definition bleibt selbst KI-Experten nichts anderes übrig, als auf Beschreibungen von KI zurückzugreifen. Einer, der täglich mit KI zu tun hat, ist Markus Noga, Senior Vice President Leonardo Machine Learning bei SAP. Auch er konstatiert, dass es bezüglich KI viele schwammige Erklärungen gibt. Noga: „Eine sehr saloppe Erklärung ist, dass KI eine künstliche Nachbildung dessen ist, was der Mensch mit seiner Intelligenz leistet. Eine Erklärung, die ich sehr mag, ist die Aussage, dass KI immer das ist, was in drei bis fünf Jahren kommt, während Machine Learning das ist, was wir heute können – und in dem Moment, in dem wir es können, wird es auch wieder Machine Learning sein.“ In anderen Worten: KI bezeichnet mehr die Vision der Möglichkeiten dieser Technologie und Machine Learning bezeichnet konkrete Umsetzungen in der Gegenwart. Bezüglich Machine Learning erklärt Noga, dass es dabei im Wesentlichen darum geht, „dass Maschinen aus Daten lernen sollen, ohne dass man sie explizit programmiert.“ Das habe viele Vorteile, weiß der KI-Experte: „Das Datenvolumen sowie auch die Rechenleistung, mit der ich die Daten bearbeiten kann, wachsen exponentiell, nicht jedoch die Anzahl menschlicher Programmierer, die Regeln schreiben können.“ Das wiederum bedeute, dass alle wesentlichen Entwicklungen in letzter Zeit aus dem maschinellen Lernen kommen, so Noga, der hier speziell auf ein Verfahren namens Deep Learning verweist. Dabei sei die Architektur dieser Lernalgorithmen grob der Funktionsweise des menschlichen Gehirns nachempfunden, wo man sehr viele Neuronen hat, die man miteinander verschaltet. Deep Learning bedeute, dass neuronale Netze zum Einsatz kämen, in denen mehrere Schichten künstlicher Neuronen – 20, 50, 100, 150 solcher Schichten sind gegenwärtig üblich – miteinander verbunden sind. Mit solchen Verfahren habe man in den letzten vier bis fünf Jahren im Bereich Bildverarbeitung, Objekterkennung, Sprach-transkription und vielen andere Disziplinen riesige Durchbrüche erzielt, weiß Noga.
Als Faustregel dafür, was KI heute schon leisten kann, sagt Noga, dass etwas, das ein Mensch durch einmal hinschauen schnell erfassen kann, im Englischen spricht man von Blink-Reaction, mit hoher Wahrscheinlichkeit heute auch mit einem KI-Modell ähnlich gut umgesetzt werden kann. All jene Tätigkeiten aber, über die ein Mensch eine halbe Stunde reflektiert, nachdenkt, abwägt und weitere Informationsquellen zu Hilfe zieht, das sei für Deep-Learning-Algorithmen momentan noch eher außer Reichweite, so Noga.
Zu den Technologien, die auf Machine Learning aufbauen, sich selbsttätig verbessern und die im Zusammenhang mit KI oft genannt werden, gehören Natural Language Processing und virtuelle Assistenten, kognitive robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA), Unique-Identity-Technologie, Video Analytics und vieles mehr.
Im Unternehmenszusammenhang geht es dabei letztlich immer um Automatisierung, um die benötigte Zeit für Tasks (etwa Kundenanfragen, Unternehmensprozesse, Projektabwicklungen) zu senken, die Präzision zu erhöhen und schließlich die Produktivittät zu steigern. (Was das für Auswirkungen auf Arbeitsplätze und die Arbeitswelt hat, lesen Sie ab Seite 62).
Höheres Wirtschaftswachstum dank Einsatz von KI
Die Wirtschaftsforscher sind sich einig: Für Unternehmen erhöht sich durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Wettbewerbsfähigkeit dramatisch. Dabei stellt sich die Frage nach dem Für und Wider KI nicht mehr, denn durch die fortschreitende Digitalisierung werden die von Unternehmen zu verarbeitenden Datenmengen weiter stark anwachsen, sodass es für deren Bewältigung unbedingt die Hilfe von KI braucht.
So beziffern die Unternehmensberater von McKinsey die durch den Einsatz von KI mögliche weltweite Steigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2030 auf durchschnittlich zusätzliche 1,2 Prozentpunkte pro Jahr. Alleine in Deutschland beträgt das KI-Potenzial nach Schätzungen der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma PwC 430 Milliarden Euro für den gesamten Zeitraum bis 2030. Die Unternehmensberatung Accenture hat gemeinsam mit Frontier Economics für zwölf Volkswirtschaften berechnet, dass sich dank KI das jährliche Wirtschaftswachstum verdoppeln und die Arbeitsproduktivität bis 2035 um bis zu 40 Prozent steigen würde. Nach einer Studie des MGI (McKinsey Global Institute), des Think Tanks der Unternehmensberatung McKinsey, wären die durch KI verursachte Steigerung des Wirtschaftswachstums wesentlich größer als es die Einführung der Dampfmaschinen ab dem Jahr 1800 (0,3 Prozent Produktivitätsplus), der Industrieroboter ab 1990 (plus 0,4 Prozent) und die flächendeckende Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologie ab dem Jahr 2000 (plus 0,6 Prozent) war.
Für Österreich haben Accenture und Frontier Economics errechnet, dass die Bruttowertschöpfung der heimischen Wirtschaft durch den Einsatz von KI auf drei Prozent ansteigen kann – ohne KI würde das Wachstum bei nur 1,4 Prozent liegen. Dabei geht das von Accenture angenommene Szenario von einer Produktivitätssteigerung der Beschäftigten in Österreich um 30 Prozent aus. Die zusätzliche Bruttowertschöpfung daraus errechneten die Experten von Accenture auf 122 Milliarden Euro im Jahr 2035.
Fehlende Strategie
So sehr Unternehmer über die immense Bedeutung der KI wissen, fehlt es manchen Betrieben an einer Strategie und – das ist insbesondere bei kleineren Firmen der Fall – an Knowhow. Obgleich Österreich im Bereich künstlicher Intelligenz einige durchaus herzeigbare Ausbildungsstätten (Universitäten, Fachhoschulen etc.) hat, ist die Politik aufgerufen, hier nicht nicht lockerzulassen und weitere Ausbaumaßnahmen zu setzen. Zwar ist der Nutzen eines KI-Einsatzes in unterschiedlichen Branchen verschieden groß, doch ist er überall messbar und nützt sowohl kleinen als auch großen Unternehmen. Ein Beispiel: Accenture hat RPA (Robotic Process Automation) für die Rechnungsabwicklung eines Unternehmens aus der Fertigungsindustrie eingesetzt. Das Ergebnis ist beeindruckend: 70 Prozent Zeitersparnis, 30 Prozent Produktivitätsgewinn und 100 Prozent Genauigkeit.
In Sachen KI gibt es für Österreich noch Luft nach oben: Derzeit belegt das Land im Government AI Readiness Index von Oxford Insights nur Platz 16 unter den OECD-Ländern (Government AI Readiness Index, Oxford Insights, www.oxfordinsights.com/government-ai-readiness-index). Nur zum Vergleich und zur besseren Einordnung dieses Werts: Die ersten drei Plätze des Government AI Readiness Index belegen das UK, gefolgt von den USA und Kanada. Japan liegt auf Platz 7, Deutschland auf Platz 13.)
Massnahmen der Europäischen Union
Auch die EU-Kommission ist sich bewusst, dass es im KI-Bereich verstärkter Maßnahmen bedarf. Deswegen will die EU bis zu 50 Millionen Euro für den Aufbau eines KI-Netzwerks investieren. Dies soll zunächst mittels sogenannter Exzellenzzentren den europäischen Wirtschaftsraum in Sachen KI wieder einen Schritt weiterbringen, indem die Zusammenarbeit von Forschungsteams aus ganz Europa, aber auch der Industrie mit den Hochschulen gefördert und ausgebaut wird.
Zudem hat die EU mit einem bereits bewilligten weiteren 20 Millionen-Investment die im April 2019 gelaunchte Online-Plattform AI4EU (www.ai4eu.eu) geschaffen, mit der der Austausch von KI-Tools und -Ressourcen in der EU erleichtert werden soll.
Last but not least plant die Kommission das Bildungsangebot im Bereich KI auszubauen, zum Beispiel mit der Schaffung einschlägiger Doktoranden-Programme oder der Integration von KI in Lehrpläne, die nicht notwendigerweise aus dem IT-Bereich stammen müssen.
Forscher und Entwickler können sich hier einbringen, denn sie sind im Rahmen des bereits laufenden Horizon-2020-Projektes bis zum 13. November aufgerufen, Vorschläge für konkrete Initiativen für das geplante Netzwerk einzureichen. Mit diesen Maßnahmen will die EU letztlich den Abstand im Bereich KI zu den USA und China verringen.
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