Der schlafende Riese ist aufgewacht

Die Österreichische Startup-Szene vibriert und boomt wie nie zuvor. Nicht nur in Wien, wo rund die Hälfte aller Startups beheimatet sind, sondern auch in Graz und Linz. andere Regionen haben noch etwas Aufholbedarf. [...]

Österreichs Startupszene erwacht (c) red
Österreichs Startupszene erwacht (c) red

In den letzten Jahren hat sich viel getan. Laut Kennern der Szene hat sich durch ein solides Netzwerk an Coworking-Spaces und einschlägigen Events eine bunte und professionelle Schar an wachstumshungrigen Jungunternehmern in Österreich angesammelt. Sie wird gefüttert von Investoren wie startup300, einer Aktiengesellschaft mit rund 200 Business Angels. Oder dem Speedinvest Fonds III, der heuer die Rekordsumme von 175 Mio. für Startups aufbringen will. 2018 wurde ein halbes Dutzend Venture-Fonds gegründet, und auch eingesessene Unternehmen bemühen sich langsam finanziell um jene Startups, von denen sie sich innovative Schübe erwarten. Seitens der öffentlichen Hand soll ein Wachstums- und Digitalfonds eingerichtet werden. Der neue Gründerfonds wird 100 Mio. Euro Finanzierungsbasis haben, 50:50 zwischen Bund und Wirtschaft aufgeteilt. Die Ansiedelungsagentur Austrian Business Agency (ABA) soll dabei als „Standortagentur“ agieren.

Dazu kommen immer noch aktive, schon  “historische” Initiativen wie diverse Inkubatoren, das APlusB Programm der INiTS für Universitäre Spinoffs (seit 2002), Acceleratoren wie WeXelerate und Treibhaus, oder das Netzwerk AustrianStartups, die alle zusammen nun wie ein immer stärker werdender Magnet wirken. 

Auch Verbesserungen im Bereich von Förderungen und neue Medien mit entsprechendem Fokus wie trendingtopics oder der Brutkasten, und vor allem die Puls4 Show “2 Minuten 2 Millionen” haben sehr geholfen, den Hotspot Wien zu den führenden Europäischen Startup-Zentren zu machen, meint Martin Giesswein, selbst Investor und freiberuflicher Berater. Nicht vergleichbar zwar mit London oder Berlin, aber durchaus am Europäischen Puls. So hat sich das weltweit agierende Coworking Space Talent Garden unter seiner Initiative nicht für München oder Berlin, sondern für Wien als ersten deutschsprachigen Standort entschieden. Davide Datolli, CEO von Talent Garden sieht vor allem die Funktion Wiens als zentraler Hub für Osteuropa und den Balkan als Ausschlagsgrund.

Großen Anteil am Erfolg haben auch die Events der Szene, meint Giesswein. “Das Pioneers.io Festival war über Jahre hinweg mit hunderten Startups und Tausenden Besuchern das Zugpferd der Bewegung, selbst wenn es jetzt eingestellt wird. Ein zweites Zugpferd war Wearedevelopers, wo Developer und Unternehmen zusammenkommen können”. Auch das “Game Changers” Festival habe sich zu einer fixen Größe entwickelt. In Graz sei das “15 Seconds” Festival sehr erfolgreich, in Wien die “Digital Days”.

Landschaft unter der Lupe

Das Gesamtklima für Unternehmensgründungen ist ungebrochen positiv. Laut WKO wurden im ersten Halbjahr 2019 mit 17.297 um 5,3 Prozent mehr Unternehmen gegründet als im Vorjahreszeitraum.

Im Vorjahr 2018 wurde zudem die erste große quantitative Studie zu Startups in Österreich herausgegeben, der Austrian Startup Monitor. Startups sind per Definitionem der Autoren jung, also unter 10 Jahren alt, dynamisch auf Wachstum gerichtet und innovativ. Legt man dieses Korsett an, gab es in Wien seit 2004 rund 1.500 Startup Gründungen. Rund 50 Prozent der Startup Gründer bauten ihr jetztiges Unternehmen vor ihrem dreißigsten Geburtstag auf. Rund zwei Drittel davon sind männlich, ihre Crew besteht aus durchschnittlich 8 Leuten, und 87 Prozent planen Neueinstellungen innerhalb des nächsten Jahres. Zudem weisen die Mitarbeiter von Startups tatsächlich einen hohen Internationalisierungsgrad auf. Rund jedes zweite Startup (55%) beschäftigt Mitarbeiter aus dem Ausland. 95 Prozent der Startups erfuhren Umsatzsteigerungen, fast jedes zehnte Startup verdiente im Vorjahr schon mehr als eine Million Euro.

Startups sind generell ein Motor für strukturellen Wandel in der Wirtschaft, meint Studienautor Karl-Heinz Leitner. “Sie etablieren sehr früh neue Geschäftsmodelle, und sind Rollenvorbilder für etablierte Unternehmen”. Leitner sieht keine großen Unterschiede zur Startupszene in Deutschland – mit Ausnahme vielleicht des Hotspots Berlin. In den USA und Großbritannien hingegen hätte das Unternehmertum generell einen höheren Status und sei besser in der Gesellschaft verankert. “Österreich versteckt sich gerne in Nischen, aber häufig muss ein Startup von Beginn an einen großen Markt im Kopf haben”, so Leitner. Ein weiterer großer Unterschied ergäbe sich auch aus den deutlich besseren Bedingungen beim Risikokapital. In den USA und Großbritannien gebe es eine größere Verfügbarkeit von Fonds und Pensionsgesellschaften, die in Startups investieren. 

Wie man in der folgenden Tabelle aus einer Studie von 2016 sieht, ist das Verhältnis privater Investoren zu den Förderungen der öffentlichen Hand in den USA genau umgehrt. Während in Österreich nur 27,1 Prozent durch private Investoren (Angels und Venture Capital) finanziert wurden (EU-Schnitt: 30,9 Prozent), waren dies in den USA satte 84,7 Prozent. Dementsprechend zurückhaltend sind dort die öffentlichen Förderungen mit 28,2 Prozent – Gegenüber 80 Prozent in Österreich.


Aus der Studie: Die Rolle von Sozialkapital für den Erfolg von universitären Start-up-Unternehmen: Ein Vergleich zwischen Europa und den USA

Mittlerweile haben Unternehmen wie Startup 300 oder Venture Capital Fonds auch in Wien aufgeholt. Die erste Finanzierungsrunde ist oft einfach umzusetzen. Laut Business Angel Hansi Hansmann spielt sich das Problem mittlerweile aber vor allem im Bereich der sogenannten Anschlussfinanzierung ab. Also in Runde zwei, wo aus dem Startup ein internationaler Player gemacht werden soll. 

Probleme: Lohnnebenkosten, Bürokratie, fehlende Großinvestments

Dies bestätigt auch Markus Raunig, Geschäftsführer des NGO AustrianStartups, der mit Dutzenden Startups direkt im Gespräch ist. “In der Frühphase unter 100.000 Euro kann man Geld relativ gut aufstellen, wenn Startup- und Industrieerfahrung vorhanden sind”, meint er. Was es aber laut ihm nicht mehr gebe sei das Wachstumskapital so ab fünf Mio. Euro. “Das ist nur mehr international zu holen”, so Raunig. Startups würden in dieser Phase ins Ausland abwandern, Steuern und Arbeitsplätze gehen verloren.

Aus dem Austrian Startup Monitor (PDF)

Der Startup Monitor wirft ein genaues Bild auf die Schwächen des heimischen Ökosystems. Dauerbrenner bei den Wünschen der Startups sind laut Leitner die zu hohen Lohnnebenkosten, aber auch das mangelnde Verständnis für die besonderen Bedürfnisse der Startups. Man wünscht sich Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen für Risikokapital, und weniger regulative und bürokratische Hürden. Markus Raunig präzisiert das: “Eine Gründung dauert in Österreich mehrere Wochen, während man in Großbritannien oder den USA innerhalb von einem Tag gründen kann”. Für jede Änderung sei ein Notariatsakt erforderlich, was vor allem bei ausländischen Investoren mühsam sei. Zudem brächten die Regelungen bei der Arbeitszeiterfassung zusätzliche Hürden. “Bei Startups ist aber der Output das Kriterium, nicht die verbrachte Zeit”.

Das vom Trend zum Top Startup des Landes gekürte Unternehmen “TourRadar” würde zB nicht mehr in Österreich gründen, ginge es nach CMO Michael Pötscher. Grund dafür sei das viel zu kleine und international unbedeutende Ecosystem, und die bürokratischen Hürden: „Es dauert oft ein halbes Jahr, bis jemand bei uns anfangen darf. Wir haben einen Mitarbeiter alleine dafür abgestellt, die Formalitäten rund um die Rot-Weiß-Rot-Karte abzuwickeln”, so Pötscher gegenüber dem Trend. 

Die Ursache dafür sieht Markus Raunig bei der letzten rechtspopolistischen Regierung. “Jeglicher Zuzug wird kritisch gesehen, und damit werden auch innovative Fachleute so behandelt”. In vielen anderen Ländern sei es wesentlich einfacher, Top Fachkräfte ins Land zu holen, zB in Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland. “Wenn ein Startup in Berlin zB einen Mitarbeiter anstellen will, geht es nicht über die Migrationsbehörde, sondern über die Standortagentur, mit Feedback innerhalb von 5 Tagen. In Österreich dauert das zwischen zwei und sechs Monaten”. Oft kämen negative Bescheide, das verwendete Punktesystem sei absolut veraltet. Eine rasche Lösung könnte zB eine Interim-Karte sein, um ausländische Experten schneller nach Österreich zu bekommen.

Ebenso kritisch sieht dies auch Heinz Grottenegg, ehemaliger Country Manager von Talent Garden. In Österreich fehle ein politisches Verständnis für die echten Bedürfnisse von Startups. Es hätte zwar “zarte Ansätze der letzten Regierung” gegeben. “Die haben sich dann aber, wie so oft in der Vergangenheit, in Luft aufgelöst. Das schafft Frustration”, so Grottenegg. 
Austrian Startup Studienautor Karl-Heinz Leitner schlägt zudem die Schaffung von steuerlichen Anreizen vor, damit Pensionsfonds und andere Stftungen, sowie Business Angels und Konzerne mehr investieren. Auch eine stärkere Internationalisierung würde helfen, sowie weitere Standortverbesserungen für das Anziehen von Risikokapital.


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