Hochwasser, Waldbrände, Hitze: Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer spürbarer. Die EU will mit einem sogenannten European Green Deal und dem »Fit for 55«-Programm gegensteuern. Welchen Beitrag kann die IT-Branche leisten? [...]
Es sind keine schönen Bilder, die wir so gut wie täglich in diversen Nachrichtenquellen zu sehen bekommen: seien es die Waldbrände in Griechenland und Italien, die Hochwasser in Deutschland oder Belgien, die Hitzerekorde in der Türkei und Kanada, um nur einige Beispiele zu nennen. Darüberhinaus machen die Auswirkungen des Klimawandels auch vor Österreich nicht Halt: Überflutete Keller aufgrund von Starkregen, Murenabgänge und umgestürzte Bäume, Ernteausfälle betreffen auch hierzulande immer öfter immer mehr Bürger und Bauern. Es ist höchste Zeit gegenzusteuern, denn die Zeit drängt. Nicht von ungefähr lautet die aktuelle Titelgeschichte der Wochenzeitschrift Profil »Klimarettung: Schafffen wir das noch?« Nach Ansicht der meisten Klimaforscher kann der Klimawandel nicht mehr zurückgedrängt werden, sehr wohl aber ein weiteres Fortschreiten verhindert werden. Deswegen hat die Europäische Kommission das Programm »Fit for 55« ins Leben gerufen.
Fit for 55
Unter dem Namen »Fit for 55« hat die EU-Kommission am 14. Juli 2021 ein Maßnahmenpaket aus unterschiedlichen Gesetzen vorgestellt, mit denen die Netto-Treibhausemissionen der EU-Staaten um zumindest 55 Prozent gegenüber den Werten von 1990 gesenkt werden sollen. Bis 2050 soll es dann überhaupt keine CO2-Emissionen mehr geben. Diese Gesetzesvorhaben müssen jedoch noch von den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament beschlossen werden, was laut Expertenmeinung bis zu zwei Jahren dauern kann.
Spät, aber nicht zu spät
Dass etwas gegen den Klimawandel getan werden muss, wird immer mehr Menschen klar, was jedoch getan werden kann, ist umstritten, wobei es hier jedenfalls nicht nur auf die »richtige« Lebensführung der Bürgerinnen und Bürger ankommt, sondern auch Unternehmen und Staaten in der Pflicht sind. Der deutsche Soziologe Sighard Neckel von der Universität Hamburg vertritt sogar die Ansicht, dass eine Lebensumstellung und Verzicht des Einzelnen mittlerweile nicht mehr ausreiche, um den Klimawandel zu verlangsamen. Selbst ein vegan lebender, radfahrender und auf ein Auto verzichtender deutscher Student, der in einer Wohngemeinschaft lebe, habe bereits einen zu großen CO2-Fußabdruck, um Klimaneutralität erreichen zu können. Es bedürfe vielmehr eines Systemwandels, so Neckel, der gleichzeitig auch das Leben der Bürgerinnen und Bürger ergreife und solcherart den Klimawandel positiv beeinflusse. Der Green Deal der EU mit dem erwähnten »Fit for 55«-Programm umfasst jedenfalls so unterschiedliche Bereiche wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Landnutzung, (CO2-)Steuern und Klimamaßnahmen.
Emissionen durch IT und Digitalisierung
Laut der Ende Mai 2021 veröffentlichten Studie »Sustainable IT: Why its time for a Green revolution for your organizations IT« von Capgemini hinterlässt die IT-Branche gegenwärtig einerseits einen hohen CO2-Fußabdruck, andererseits kann moderne Computertechnik bei der Bekämpfung der Klimakrise helfen. »Durch die beschleunigte Digitalisierung im Zuge der Pandemie nehmen die Emissionen unserer digitalen Welt rasant zu«, beschreibt Bernd Bugelnig, CEO von Capgemini in Österreich, die gegenwärtige Lage. Deswegen müssten Unternehmen, so Bugelnig, den CO2-Fußabdruck ihrer IT messen und durch nachhaltige Praktiken minimieren.« Der Begriff der Stunde ist »nachhaltige IT« mitunter auch Green IT genannt. Dabei handelt es sich laut Capgemini um »einen Sammelbegriff, der einen umweltorientierten Ansatz bei der Entwicklung, Nutzung und Entsorgung von Computerhardware und Software-Anwendungen sowie bei der Gestaltung damit verbundener Geschäftsprozesse umfasst«. Das beinhaltet beispielsweise einen verantwortungsvollen Abbau seltener, zur Entwicklung von IT-Hardware benötigter Metalle, den Schutz von Gewässern sowie die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft für den gesamten Lebenszyklus von Technologien.
Während sich Unternehmen der Klimabilanz ihrer IT kaum bewusst sind – 57 Prozent der Befragten wissen nicht, wie groß der CO2-Fußabdruck ihrer Unternehmens-IT ist – so verzeichnen Betriebe mit einer nachhaltigen IT laut Studie bessere ESG-Ratings (61 Prozent), eine höhere Kundenzufriedenheit (56 Prozent) und realisieren Steuervorteile (44 Prozent). ESG steht dabei für Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance), also die Unternehmensbereiche die bei ESG-Ratings auf nachhaltige Geschäftspraktiken bewertet werden. Nachhaltigkeit im Unternehmen lohne sich auf jeden Fall, ist Bugelnig überzeugt: »Abgesehen von der ökologischen Notwendigkeit überzeugen auch die wirtschaftlichen Vorteile nachhaltiger IT – sowohl was das Geschäftsergebnis angeht als auch mit Blick auf die gesellschaftliche Reputation und Kundenzufriedenheit.«
TIPP: Am 29.3.2022 findet die größte virtuelle Konferenz zu Nachhaltigkeit in der IT unter sustain-it.at statt. Jetzt anmelden!
Private Initiativen
Es sind solche Erkenntnisse, die große Technologieunternehmen veranlassen die Dekarbonisierung von IT- Betrieb, -Dienstleistungen und -Produkten mit Nachdruck voranzutreiben und damit – neben staatlichen Initiativen – hinsichtlich der Bewältigung der Klimakrise Mut machen. So verfolgt nicht nur die EU das im weltweiten Vergleich übrigens wohl ambitionierteste Ziel der CO2-Reduktion, sondern auch Microsoft hat sich diesbezüglich sehr ehrgeizige Ziele gesetzt und will bis 2030 CO2-negativ sein und bis 2050 den gesamten CO2-Ausstoß aus der Atmosphäre zurückholen, den es seit seiner Gründung 1975 verursacht hat! Um das zu erreichen, setzt das Unternehmen auf mehr CO2-freien Strom und eine nachhaltige Cloud. So sollen mit der »Cloud for Sustainability« CO2-Emissionen der Unternehmens-IT transparent gemacht werden – nicht nur jener von Microsoft, sondern auch der von Kunden. Weiters will Mictosoft die Dekarbonisierung der Stromnetze voranbringen und bis 2025 sämtliche Aktivitäten auf eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbarer Energie umstellen. Damit würde man zu einem der größten Abnehmer von regenerativem Strom weltweit.
Auch andere Big-Tech-Player wie IBM und Google sind sich der Problematik bewusst und setzen zunehmend auf nachhaltige IT. Dass Unternehmen gefordert sind, zeigt sich auch daran, dass nur 100 große Konzerne für 70 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich sind. Allerdings handelt es sich hier bei vor allem um Erdöl verarbeitende oder Kohle fördernde Unternehmen und nicht IT-Firmen.
Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft
Laut Capgemini-Studie sind sich branchenübergreifend 34 Prozent der Befragten bewusst, dass bei der Produktion eines Handys oder Laptops mehr CO2-Emissionen entstehen, als über deren gesamten Nutzungszeitraum hinweg. Eine nachhaltige Lösung stellen hier generalüberholte Handys und Laptops dar, wie sie das österreichische Unternehmen Refurbed (www.refurbed.at) auf dem gleichnamigen Online-Marktplatz für »refurbished« (englisch für generalüberholt) Elektronikprodukte anbietet. Durch das Refurbishment wird 70 Prozent weniger CO2 als bei der Herstellung eines Neugeräts ausgestoßen. Dadurch ist Refurbed CO2-negativ, weil es mehr CO2 kompensiert als durch das Refurbishment verursacht wird.
Zudem wird für jedes verkaufte Produkt ein Baum gepflanzt. Seit Mitte Juli dieses Jahres ist Refurbed zudem Mitglied des europäischen Verbands für Refurbishment (EUREFAS). Doch Refurbed ist nicht der einzige Anbieter von generalüberholten Elektronikgeräten. Weltweite führend ist hier das 2014 gegründete Unternehmen Back Market (www.backmarket.at). Im Sinne der Nachhaltigkeit wird es auch für Unternehmen immer interessanter, ihren Gerätepool mit refurbished Ware zu erneuern beziehungsweise gleich solche Geräte zu beziehen. Darüberhinaus basteln auch Hersteller an ressourcenschonenden Geräten. So hat Carbon Mobile angekündigt dank biobasierter Karbonfaser-Alternative nächstes Jahr das weltweit erste plastikneutrale Smartphone der Welt zu bringen.
Be the first to comment