Bahn frei für neue Wege bei ERP und CRM, für eine Transformation sowie für Themen wie Cloud und künstliche Intelligenz. Durch die Krise waren Unternehmen gezwungen, rasch Veränderungen bei Organisation, Mitarbeitern und Prozessen durchzuführen – das hat auch ein Nachdenken inklusive Neuorientierung in punkto IT bis hin zum ERP-System ausgelöst. [...]
Das ERP-System (Enterprise Ressource Planning) ist das Core-IT-System jedes Unternehmens, das oft seit vielen Jahren unangetastet läuft. Never Change a running system, das gilt insbesondere für das ERP-System, weiß auch Michael Schober, der jahrzehntelange Erfahrung im ERP-Business mitbringt. Schober ist Vertreter des ERP- und CRM-Marktforschers Trovarit und bringt den bisherigen Umgang mit ERP auf den Punkt: »Wenn man heute ein ERP-System auswählt, hat das eine durchschnittliche Lebensdauer von ungefähr 18 Jahren im Unternehmen. Das ist ungefähr das Dreifache der Dauer einer österreichischen Ehe. Aber 18 Jahre dieselbe Software heißt natürlich nicht denselben Release-Stand. Wir empfehlen allen Unternehmen, immer am aktuellen Release-Stand zu bleiben, egal welches System sie nutzen.« Schober kommentiert auch Rolle und Nutzen von ERP-Systemen: »Am wichtigsten ist es, Prozesse schneller und einfacher zu machen. Das ist und bleibt Kernaufgabe eines ERP-Systems. ERP ist der Lebensnerv eines Unternehmens, dort dockt alles letztendlich an.«
Als meistgenannte Herausforderung im ERP-Betrieb wurde in der letzten ERP-Zufriedenheitsstudie 2020 Reaktionszeit und Support genannt: »Ich glaube, dieses Ergebnis ist ein Spiegel des Themas Usability. Wir haben im ERP-Bereich enorm komplexe Geschäftsprozesse und der Wunsch der Benutzer ist eine einfache, auch mobile Nutzung des ERP-Systems wie bei einem Navigationssystem im Auto.« Weitere Herausforderungen sind laufende Kosten, Performance, der Aufwand bei der Datenpflege, Funktionalität sowie die firmenübergreifende Integration. Trovarit erstellt übrigens seit knapp 20 Jahren die ERP Zufriedenheitsstudie, zudem werden mittelständische Unternehmen dabei begleitet, bestehende ERP-Lösungen zu optimieren oder neue Lösungen auszuwählen und zu implementieren.
Eine weitere Studie zum Thema ERP hat der Bitkom in Kooperation mit Trovarit unlängst mit dem »ERP Trend Check 2021« präsentiert, dabei werden elf Technologie-Trends von Cloud über über KI und Internet of Things bis zu No- bzw. Low-Code, Process Mining und Blockchain genannt, die künftig die Möglichkeiten von ERP-Systemen verändern und erweitern.
Rückblick auf Corona-Jahr
Ebenso ein langjähriger ERP-Profi ist Dietmar Winterleitner, seit 2014 Geschäftsführer von COSMO CONSULT in Österreich. Die Zentrale ist in Berlin, beschäftigt werden insgesamt rund 1.200 Mitarbeiter. »Wir sind heute nicht nur ERP-Anbieter und -Implementierer, sondern zusätzlich CRM-, BI- und KI-Implementierer. Das zeigt, wie sich unsere Rolle verändert hat. Wir bieten heute die Unterstützung von Geschäftsprozessen an – und das geht über ERP hinaus. Das heißt, wir verstehen uns heute als Unternehmen das End-to-End-Prozesse bei den Kunden mit verschiedenen Technologien unterstützt.« Er blickt zunächst ein wenig zurück auf das letzte Jahr: »Am Anfang war es sicher für alle Beteiligten schwierig, mittlerweile ist es so, dass wir die Projekte zu rund 90 Prozent via Microsoft Teams machen. Ich denke, auch in Zukunft werden wir drei Viertel der Zeit remote arbeiten.«
Zum Kunden fährt man in zwei Fällen: »Ganz zu Beginn, um den Kunden einmal kennenzulernen und dann bei Eskalationen. Auch die Kunden schätzen inzwischen die Remote-Zusammenarbeit – und sparen so Reisekosten« , berichtet Winterleitner. Zu den Herausforderungen bei den Kunden befragt, meint der COSMO-CONSULT-Geschäftsführer: »Zu den wichtigsten Fragen gehört Cloud oder nicht Cloud, das ist ein ganz zentrales Thema. Österreich war da ja nicht gerade Cloud-Vorreiter, aber jetzt geht es immer mehr in Richtung Cloud. Das zweite Thema, das sehr viele beschäftigt, ist: Wie kann man nahe am Standard bleiben, weil Microsoft und auch andere ERP-Anbieter sogenannte One-Versions haben. Hier wird davon ausgegangen, dass man dann immer automatisch das neueste Release bekommt. Und daher wird man auch gezwungen, nahe am Standard zu bleiben oder andere Wege zu suchen, um geschäftskritische Prozesse abzubilden.« Winterleitner kritisiert ein wenig die Bitkom-Studie, »wo das Low-Code, No-Code Thema als wenig oder nicht vorhanden klassifiziert wird. Dieses Thema ist aber tatsächlich bei unseren Kunden sehr wichtig, denn der Kunde will nicht immer vom Anbieter abhängig sein, sondern will selbst seine kritischen Geschäftsprozesse im ERP System oder außerhalb abbilden.«
Fokussiert auf KMU
Den Cloud-Trend will Uniconta für sich nutzen. Uniconta ist ein rein Cloud-basiertes ERP-System und wurde in Dänemark von Erik Damgaard 2014 gestartet, dem Entwickler von Axapta und Gründer von Damgaard Data, welches später mit Navision fusionierte. Seit 2017 ist Thomas Zeller Geschäftsführer bei Uniconta in Deutschland. Er verweist auf die Historie: »Die klassischen Systeme sind im Lauf der Zeit immer komplexer und mächtiger geworden, sie sind aber für KMU damit auch relativ schwer zu managen. Mit Uniconta bieten wir KMU eine flexible und schlanke ERP-Plattform. Wir sind der Meinung, es braucht ein System, das in der Funktionalität atmen kann. Bei kleineren Unternehmen stehen die Basis-Funktionalitäten deutlich im Vordergrund, bei größeren geht es um die Prozesse. Wir wollen in den benötigten Kernbereichen Module anbieten. 2020 konnte Uniconta seine Userzahlen verdreifachen, das wollen wir auch 2021 erreichen.«
Zur Zielgruppe meint Zeller: »Wir adressieren seit drei Jahren Unternehmen mit fünf bis rund 30 Usern. Wenn man da über ERP spricht, ist damit das Kernsystem gemeint. Es besteht auch eine gewisse Angst vor einem Riesen-Projekt bei einem Wechsel. Kleine Unternehmen, die vielleicht auch ein schwieriges Jahr hatten, überlegen sich da sehr genau, ob sie in ein neues System einsteigen sollen, oder warten jetzt lieber ab, bis die Pandemie vorbei ist.« Gründe für einen Wechsel sind ein teures Alt-System oder keine Wartung mehr für das bestehende System. Zeller sagt, er habe »einige Buyouts gesehen, wo Geschäftsbereiche aus größeren Unternehmen herausgelöst wurden, die dann eine kleinere smarte ERP-Lösung suchen – und dann einige Unternehmen, die umstellen wollten, aber kein Riesen-Projekt starten wollten, sondern sie waren interessiert, mit einem Teil anzufangen oder auch remote rasch etwas umzusetzen.«
Größter Trend: Cloud
»Was das Cloud Thema betrifft, habe ich die Diskussion ›Ist die Cloud sicher oder nicht?‹ schon lange nicht mehr gehört. Viel schwerer wiegt das Problem der Abhängigkeit vom Internet Provider, vom Provider des Hosting Centers und vom Hersteller« , so Zeller oder anders gesagt: »Viele sind davon überzeugt, dass die Daten im Rechenzentrum des Cloud-Anbieters sicher sind – aber bei Datenverfügbarkeit und Datenhoheit sind die Leute skeptisch. Ein Geschäftsführer hat das letztlich auch zu verantworten und kann schlecht sagen: Tut mir leid, wir haben jetzt keinen Zugriff auf unsere Daten.«
Die All for One Group agiert mit rund 1.800 Mitarbeitern im DACH Raum – davon rund 100 in Österreich – als SAP-Komplettdienstleister und deckt dabei die komplette Angebotsbandbreite ab, wie Host Lambauer, Senior Director Cloud und bei der All for One Austria in Graz angesiedelt, betont: »Wir bieten Lösungen von Public Cloud bis hin zu On-Premise, wir decken inzwischen sehr viele Bereiche ab, etwa auch das Thema Customer und Employee Experience.« Auch Lambauer stellt fest: »Ich sehe große Tendenzen in Richtung Cloud, aber wir merken auch einen sehr starken Move in Richtung Erneuerung von SAP-Systemen, das heißt, wir können Unternehmen in jedem Fall unterstützen, egal ob die Entscheidung zu Native-Cloud-only ausfällt oder Unternehmen sagen, sie müssen modernisieren. Die Entscheidung hat nichts mit Cloud oder nicht-Cloud zu tun, sondern hängt davon ab, wie der Kern des Unternehmens gebaut ist. Und natürlich gibt es unterschiedliche Abstufungen von Cloud. Infrastructure as a Service, das ist nichts andres als Hosting, macht man ja schon seit vielen Jahren. Wenn man sich aber in Richtung Public Cloud orientieren will, geht es darum, dass man modernste Technologien nützen kann, und die Nutzung der Lösung etwa auch mobil ganz einfach möglich ist. Unternehmen sollten sich dann dafür entscheiden, wenn sie großen Änderungszyklen ausgesetzt sind. Wenn man das Geschäftsmodell alle zwei Jahre erneuern muss, dann brauche ich ein System, das sehr schnell flexibel konfiguriert werden kann.«
Low-Code, No-Code wichtig
Auch Lambauer sieht dabei ähnlich wie Winterleitner die hohe Bedeutung von Low-Code und No-Code. Unternehmen, die eine stabilere Geschäftsentwicklung und längerfristig haltende Business-Modelle haben, sieht Lambauer eher im Private-Cloud-Umfeld gut aufgehoben: »Hier kann man sich bewusst und zum gewünschten Zeitpunkt für Anpassungen oder neue Releases entscheiden. Das heißt, je stabiler oder größer Organisationen sind, desto mehr geht es in Richtung Private Cloud oder sogar On-Premise, wenn es notwendig ist.« Rückblickend auf die vergangenen Monate sagt Lambauer: »Im letzten Jahr haben wir einen sehr starken Run in Richtung Public Cloud erlebt, weil Corona die Zeiten unsicherer gemacht hat und die Unternehmen sich transformieren mussten. Die Unternehmen haben erkannt, dass sie hier investieren müssen. Wir haben jetzt sehr viele Anfragen, wo es um eine Erneuerung des Kerns geht. Ein Vorteil von Cloud-Lösungen und Web-Clients ist sicher: Meinen Browser habe ich überall. Ich benutze ja auch Online Banking über den Browser.«
Allerdings haben maximal zehn Prozent der Unternehmen im DACH-Raum Public Cloud ERP-Systeme im Einsatz, Tendenz sehr stark wachsend, schätzen alle vier Experten. »Ich glaube, wir kommen mit Ende nächsten Jahres in Richtung 15 Prozent, was die historische Gesamtanzahl an Kunden betrifft«, prognostiziert Lambauer vorsichtig. »Im Neuprojektbereich sehen wir eine starke Tendenz in Richtung Public Cloud. Mehr als die Hälfte der Projekte gehen in diese Richtung.«
Skepsis bei Datenverfügbarkeit
Michael Schober hakt zum Thema Cloud-Sicherheit ein: »Ich glaube, wir diskutieren zu viel über das Wort Cloud, auch in der Bitkom-Studie heißt es SaaS/Cloud. Wir sollten mehr über Software as a Service und nicht über Hosting reden.« Dietmar Winterleitner ergänzt: »Sicherheitsdiskussionen haben wir beim Cloud-Thema gar nicht mehr. Jeder IT-Leiter sieht heute, dass die Daten in der Cloud sicherer sind als in seinem Unternehmen. Das einzige Thema, das wirklich oft kommt, ist die Datenverfügbarkeit.« Aber auch dieses Argument lässt sich entkräften, betont Horst Lambauer: »Bei allen größeren Anbietern, sei es jetzt SAP oder Microsoft, gibt es so genaue SLAs und Qualitätsstandards, die kann ein Unternehmen selbst nie so leisten. Wir waren 2012 einer der Vorreiter, wie wir mit einer SAP SaaS-Lösung gestartet sind, da gab es noch viele solcher Security-Diskussionen. Das ist ja auch ein massives Vertrauensthema und damit war es eines unserer ersten Kernthemen, das wir angegangen sind.«
Thomas Zeller sieht schon noch Einwände, etwa: »Das Zentrallager muss angebunden und verfügbar sein oder wie kann der Außendienst dann mobil arbeiten?« Dafür ist den Unternehmen der technische Hyperscale-Partner gar nicht so wichtig: »Ob jetzt Microsoft Azure, AWS oder Google zum Einsatz kommt, ist den Unternehmen egal«, behauptet Michael Schober, »der große Treiber in Richtung Cloud ist, dass sich unsere Arbeitswelten massiv verändern und viele eine einheitliche Plattform und simple Benutzeroberfläche wollen, so einfach wie bei einer App.« Dietmar Winterleitner fasst zusammen: »Es geht ganz klar in Richtung Cloud, aber man muss die Ängste der Unternehmen auch verstehen. Und wenn sich jemand mit On-Premise wohler fühlt, bieten wir ihm das an.«
Zum neuen Arbeiten empfiehlt Thomas Zeller eine neue Denkweise: »Vielleicht muss die Auftragsbearbeitung ja gar nicht direkt im ERP-System stattfinden, vielleicht geht das unterwegs via App, oder der Kunde will die Aufträge über EDI übermitteln. Das heißt, man kann Business-Module bereitstellen und ist damit unabhängiger von irgendwelchen Funktionalitäten und kann dort, wo die Daten erfasst werden, das optimale Werkzeug dafür bereitstellen.«
Winterleitner unterstreicht nochmals: »Eine ERP-Einführung hört nicht bei ERP auf, sondern ist eine Unterstützung von Prozessen. Die Mitarbeiter müssen sich in vielen Systemen bewegen, da ist die Usability entscheidend. Mein Appell an die Unternehmen ist: Hört nicht auf bei ERP, sondern denkt über die Prozesse nach! Der reine Fokus auf ERP ist old school.«
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