„Die Digitalisierung ist der Impfstoff“

Er berät seit vielen Jahren Unternehmen und Organisationen rund um Digitalisierung. Jetzt hat Accenture Chef Michael Zettel mit dem Buch „Das digitale Wirtschaftswunder“ ein glühendes Plädoyer für Digitalisierung geschrieben – als Ausweg aus der Corona-Krise. Im Gespräch mit der Computerwelt geht Zettel auf Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung ganz konkret ein. [...]

Accenture-Österreich Chef Michael Zettel zeigt im Buch "Das Digitale Wirtschaftswunder." Wege aus der Krise. (c) Accenture
Accenture-Österreich Chef Michael Zettel zeigt im Buch "Das Digitale Wirtschaftswunder." Wege aus der Krise. (c) Accenture

Gegen Corona hilft nur Impfen. Aber auch für die Wirtschaftskrise wird dringend ein Gegenmittel benötigt. »Die Digitalisierung ist der Impfstoff gegen die Corona-Wirtschaftskrise« schreibt Michael Zettel in seinem Buch. Obwohl ganz klar pro Digitalisierung geht der Accenture Chef aber auch auf Kritik und Skepsis im Buch ein – um freilich dann über »Digitalisierung als Konjunkturmotor« und die Zukunftschancen via »digitaler Transformation« eingehend allen Lesern und Unternehmern klar vor Augen zu führen, dass an der Digitalisierung kein Weg mehr vorbeigeht.

Wie kam es denn zu dem Buch?

Wir waren am Anfang der Pandemie tatsächlich der Meinung, mit der Stopp-Corona-App die Krise bekämpfen zu können. Da ist mir auf einmal eine ungeheure Wucht von Technologie-Skepsis entgegengestoßen. Die nachfolgenden Diskussionen rund um die App haben mir dann die Augen geöffnet, wie selbstverständlich für mich der Nutzen von Technologie ist – aber wie wenig verbreitet das eigentlich noch ist. Dabei bin ich der Meinung, dass die Technologie unseren Wohlstand fördert. In der aktuellen Situation steht für mich eindeutig fest: Die Krise hat uns ganz klar gezeigt, dass wir ohne Technologie völlig „aufgeschmissen“ wären. Wir müssen in der jetzigen Situation noch viel mehr auf Digitalisierung und Technologie setzen – nur dann wird es uns gelinge, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Dieses Mindset in den Köpfen der Unternehmer und Entscheidungsträger zu verankern – das ist mein größter Wunsch. 

Die Krisenbewältigung hat ja auch ganz viel mit Daten und Statistiken zu tun, und da gab es auch viel Kritik. Wie sehen Sie die aktuelle Situation rund um Daten?

Ganz sicher würde auch ich mir wünschen, dass die Datenlage bei den wesentlichen Faktoren der Krankheit transparenter wird. Das liegt sicher auch am Mangel an Digitalisierung der Vergangenheit, der jetzt etwa auch im Gesundheitsbereich evident wird.

Was müsste denn aus Ihrer Sicht passieren, dass es Verbesserungen gibt?

Wir wissen, dass jene Unternehmen die Krise bislang besser bewältigt haben, die konsequent digitalisiert haben. Das gilt auch für Verwaltungen und Länder. Wir sehen einen signifikanten Unterschied von Österreich zu Ländern, die die digitale Transformation stark vorangetrieben haben, wie etwa Dänemark. Da hatte jeder Däne schon im Februar einen Impftermin. Im föderalistischen Österreich haben wir neun verschiedene Lösungen für die Anmeldung zur Corona-Impfung. In punkto Digitalisierung wurde im Gesundheitswesen in der Vergangenheit leider einiges verabsäumt. Wir sind zwar in der Medizin in manchen Bereichen Weltspitze, es wurde mit der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) auch ein wichtiger Meilenstein gesetzt, aber umso wichtiger wäre es, jetzt diesen Weg fortzusetzen, damit wir auch im Digitalen Weltspitze werden.

Versäumnisse gab es da etwa beim eImpfpass, von dem schon seit vielen Jahren die Rede ist …

Ja und zwar aufgrund des mangelnden Willens, in die Umsetzung zu investieren, denn da fallen natürlich Kosten an. Digitalisierungsprojekte kosten Geld, und der Nutzen war für die Politik noch nicht so offensichtlich. Dieses Versäumnis sehen wir heute.

Die Frage ist: inwiefern können wir in Österreich es überhaupt schaffen, in Sachen Digitalisierung Weltspitze werden?

Da ist die Rolle des Staates ganz entscheidend, darauf gehe ich im Buch auch ein. Mit relativ niedrigen Investitionen kann man da bereits sehr viel bewirken. Andere Länder machen das schon, etwa Dänemark, Norwegen, Frankreich oder Deutschland. Da könnte auch Österreich herausragend werden, wenn entsprechend investiert wird. Bei ELGA hat es sehr lange gedauert, die gesamte ELGA-Diskussion war sehr datenschutz- und nicht nutzenorientiert. Wir brauchen eine Politik, die das will, und wir brauchen  auch eine positive Kommunikation und Aufklärung in der Bevölkerung.

Kommen wir zu den Unternehmen, wo sind sie in der digitalen Transformation?

Das letzte Jahrzehnt war das Jahrzehnt der Digitalisierung im Konsumbereich. Die digitale Transformation der Industrie hingegen steht eigentlich erst ganz am Anfang. Die Digitalisierung der Produktion ist das vorherrschende Thema der nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Deutschland und Österreich sind Industrie-Weltmeister, diesen Vorsprung müssen wir nutzen. Was die Digitalisierung angeht, da fehlt es noch am Mindset, da haben wir einen gehörigen Aufholbedarf. Wir sehen aber jetzt bei österreichischen Industriekonzernen mutige Schritte in die richtige Richtung, das heißt, das Rennen hat jetzt erst begonnen. Insofern ist das Buch auch ein Weckruf in diese Richtung. 

»Die Digitalisierung der Produktion ist das vorherrschende Thema der nächsten zehn bis zwanzig Jahre«

Michael Zettel, Geschäftsführer Accenture

Und was wären die richtigen Schritte aus Ihrer Sicht?

Es geht darum, mutig in die digitale Transformation zu schreiten und zu verstehen, welchen Nutzen Technologie bringen kann. Erstens geht es um die Digitalisierung des Kerngschäfts, im zweiten Schritt sollten dann neue Geschäftsmodelle hinsichtlich „Smart Services“ im Fokus stehen. Es geht vom Produkt weg hin zum Leistungsversprechen.

Inwiefern stehen da auch die Businessprozesse heute am Prüfstand oder müssen verändert werden?

Selbstverständlich beraten wir in diese Richtung. Früher war die Sicht: Passen wir die Software an die Prozesse an, aber heute geht es nicht um den Prozess-Optimierungsfokus, sondern um neue Wertschöpfungsversprechen durch neue Geschäftsmodelle. Allerdings kämpfen viele Unternehmen noch damit, dass sie veraltete Software oder Legacy Systeme haben, die die Prozesse nicht mehr so gestalten können, wie sie das wollen. 

Wie sehen Sie die Cloud-Entwicklung in diesem Zusammenhang? 

Wir haben bei der Cloud in Österreich und im gesamten deutschsprachigen Raum generell einen hohen Aufholbedarf. Die Cloud bietet den Weg zu Flexibilität und rasche Anpassungsmöglichkeit an neue Prozesse. Letztendlich bringt die Cloud Geschwindigkeit fürs Geschäft. Die Cloud ist heute kein Kostenthema mehr, es geht um Flexibilität und Anpassung. Corona hat da die letzten Zweifler überzeugt, wir sehen einen starken Zug in Richtung Cloud. Die Unternehmen, die das jetzt versäumen, werden in kürzester Zeit signifikante Probleme bekommen, weil sie nicht mehr in der Lage sein werden, mit dem Wettbewerb mitzuhalten. Alle großen Konzerne wie SAP, Oracle oder Microsoft drängen zudem ihre Kunden massiv in die Cloud.

Was wird Sie denn bei Accenture heuer beschäftigen und wo liegen da die Schwerpunkte auf dieser Reise in die digitale Transformation?

Die große Überschrift ist sicher der digitale Core, das digitale Herz des Unternehmens. Ein wesentlicher Aspekt ist das Thema Customer Experience. Der digitale Kern muss ein durchgängiges Kundenerlebnis über alle Kanäle und eine datengetriebene Unternehmenssteuerung, mithilfe von Applied Intelligence bzw. KI, ermöglichen. Es geht um Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette und eine Dashboard-orientierte Unternehmenssteuerung. Ganz wesentlich ist das Thema Agilität in der Umsetzung, mit Cloud als technologischer Basis.

Buchtipp: Michael Zettel: Das digitale Wirtschaftswunder. Österreichs Weg aus der Krise. Wien 2021. Molden Verlag. 192 Seiten.


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