Der Sondermaschinenbauer Sandvik in Zeltweg hat die S/4-Transformation erfolgreich abgeschlossen. Welche Vorteile dieser Digitalisierungsschritt für den Einkauf bringt, erläutern Harald Magerl, Procurement-Manager bei Sandvik und Robert Fessler, Head of SAP Procurement CEE. [...]
Wie war der Ausgangspunkt vor der Transformation zu SAP S/4HANA?
Magerl: Wir haben mit SAP R/3 bereits über eine digitale ERP-Plattform im Konzern verfügt. Da die Prozesse und Anwendungsfunktionalitäten komplexer geworden sind, mussten wir auf ein neues System umstellen. Dabei haben wir die vorhandene Prozessstruktur gründlich hinterfragt – denn zu glauben, dass Digitalisierung automatisch eine Verbesserung mit sich bringen wird, so naiv waren wir nicht. Wir haben erhoben, was vorhanden ist und in einem Lernprozess neue Möglichkeiten für die Sandvik Mining and Construction G.m.b.H. erarbeitet.
Welche Ziele wollen sie mit der Digitalisierung erreichen?
Magerl: Das Ziel war schneller eine effektivere und stimmigere Datenqualität zu generieren, um dann basierend auf diesen Erkenntnissen Entscheidungen in der Supply Chain treffen zu können. Die Datenwelt hat sich verändert: wir müssen heute viel mehr wissen als noch vor fünf oder zehn Jahren. Auch wegen der heutigen Anforderungen bezüglich CO2-Emission, Circularity und Sustainability müssen die Prozesse anders betrachtet und dargestellt und die Entscheidungen anders getroffen werden.
Stichwort Nachhaltigkeit: Inwiefern hat sich hier etwas verbessert?
Magerl: Vor zehn Jahren war einer der wichtigsten Aspekte, wo ich etwas produziere und erwirtschafte. Keiner fragte: Wie wird produziert? Wie wird geliefert? Wie wird transportiert? Und wohin? Heute sind diese Aspekte in den Vordergrund gerückt. Unser Sustainability-Programm, das voriges Jahr initiiert wurde, nennt sich das Programm »MAKE THE SH/FT«. Hier werden Aspekte in Bezug auf Klimawandel (CO2-Reduktion), Zirkularität, null Schaden für Menschen, als auch gesellschaftliches Engagement in der Entscheidung berücksichtigt. Das wird künftig im Einkauf eine ganz wichtige Rolle spielen. Dafür benötige ich rasch verfügbare stimmige Daten, die ich wiederum ausnahmslos über digitalisierte Systeme erhalte. Wir haben ein sehr gutes, internationales Netzwerk und die Daten sind leicht verfügbar, aber ich bekomme sie nicht in der Geschwindigkeit, in der ich sie für Entscheidungen brauche.
Fesserl: Das kann ich nur unterstreichen. Ich spreche in erster Linie mit Einkaufsabteilungen von Unternehmen und merke, dass dieses Thema, das früher maximal als Randnotiz betrachtet wurde, inzwischen in den Fokus der Unternehmen gerückt ist.
Vor Jahrzehnten noch hat ein Unternehmen die Größe seines CO2-Footprint selbst bestimmt. Heute hat darauf die Lieferkette einen enormen Einfluss und dementsprechend haben Einkaufsabteilungen und allen voran der Einkaufsleiter eine sehr große Verantwortung. Diese Verantwortung kann aber nur gewährleistet werden, wenn Transparenz vorherrscht: Was wird wann wo produziert? Und wohin transportiert? Digitalisierung ist da sicherlich eine Hilfe. Das Thema wird bei SAP unter dem Begriff »Climate 21« behandelt. SAP-CEO Christian Klein sieht es als eines unserer fünf Fokusthemen für die nächsten Jahre. Wir wollen dahin gehen, dass wir in Zukunft nicht mehr nur Gewinn und Verlust eines Unternehmens über SAP-Systeme ausgeben lassen, sondern auch nicht-finanzielle Aspekte, wie den CO2-Footprint.
Inwiefern ist diese Art der Digitalisierung im Procurement, die ja auch die Mitarbeiter im Einkaufsteam umfasst, mehr als ein reines IT-Projekt?
Magerl: Begonnen hat die Digitalisierung als Einkaufsprojekt und wurde sehr schnell zu einem viele Bereiche des Unternehmens umfassendes Projekt. Hier ist die IT natürlich sofort hinzugekommen und spielt eine sehr große Rolle – nicht nur in der Architektur des Ganzen, sondern auch in der Transformierung von papierbasierten Prozessen in lebende SAP-Strukturen. Das Erkennen der Sinnhaftigkeit einer Digitalisierung braucht beim Mitarbeiter immer eine gewisse Zeit – und zwar bis er erstmalig erkennt, dass die Transformation bei richtiger Verwendung ein Vorteil ist. In meinem weltweiten Team gibt es keinen einzigen Mitarbeiter mehr, der diese Digitalisierung ablehnt. Ganz im Gegenteil ist die Lust auf Neues und auf mehr Raum fürs Arbeiten mittlerweile größer als eine Ablehnung der Digitalisierung.
Die Digitalisierung kostet einerseits Geld, gleichzeitig soll Geld eingespart werden. Wie beurteilen Sie dieses Spannungsfeld der Digitalisierung zwischen Kostenverursacher und Kosteneinsparungshilfe, auch unter dem Aspekt, dass Digitalisierung ja nie abgeschlossen ist?
Magerl: Die Digitalisierung kann nur erfolgreich sein, wenn ich genau über die Prozesse Bescheid weiß, die ich digitalisieren will. Mit diesem Wissen wird jeder einen Cost-Breakdown in der Anschaffung der Digitalisierungssysteme errechnen und den Breakeven erkennen, bei dem sich die Maßnahmen rechnen – aber man muss sich auf das konzentrieren, was man braucht, nicht auf das, was man gerne hätte (Vision).
Fessler: Es gibt natürlich im Großkundenbereich Unternehmen, die ihr Einkaufssystem auf einmal end-to-end ablösen – beginnend von der Ausschreibung über die Rahmenverträgen bis hin zur bezahlten Rechnung. Es gibt aber auch viele mittlere Unternehmen, wie Sandvik Österreich, die die übliche Vorgehensweise wählen: Man wählt von einem modularen Angebot die Dinge, die sinnvoll sind. Dann trachtet man danach, dass man angemessen zu einem Breakeven kommt.
Wie sehr hat Sandvik die COVID-19-Pandemie getroffen?
Magerl: Die Digitalisierung unterstützt das Erreichen von Kosten Senkungen, die wir nachhaltig in Abläufen regulativ festgeschrieben haben, egal ob das Dienstzeiten, Angelegenheiten im Homeoffice oder anderes betrifft. Die Digitalisierung ist dort hoch ausgeprägt, wo der Wohlstand in einem Land hoch ist. Low-Cost-Countries können zwar zu niedrigen Kosten produzieren, hinken aber im Digitalisierungsprozess hinterher. In Europa funktioniert der Digitalisierungsprozess jedoch sehr gut. COVID hat uns gestreifte, aber nicht betroffen, wir konnten mit Unterstützung der Digitalisierung unsere Kennzahlen stabil halten. Warum? Weil jetzt auch unsere Partner digitalisiert haben, damit waren unsere Mitarbeiter durch die Digitalisierung – nicht nur unserer, sondern auch der unserer Partner – besser, effektiver und schneller informiert als zuvor.
Fessler: Die Lösung, die Sandvik einsetzt, ist das SAP Ariba-Netzwerk, in dem sämtliche Käufer und Lieferanten, die über die Ariba Plattform einkaufen, registriert sind. SAP hat während der Corona-Zeit den Zugang zu dem Netzwerk für alle kostenfrei zur Verfügung gestellt, damit man leichter neue Lieferanten finden kann. Viele unserer Käufer bzw. Kunden im Bereich Einkauf mussten sich kurzfristig nach anderen Lieferanten umsehen, weil die Supply Chain in Richtung Asien teilweise nicht funktionierte und bisherige Lieferanten nicht liefern konnten. Da war für europäische Kunden die Nachfrage vor allem nach europäischen Lieferanten sehr groß. In Ariba Discovery kann man nach alternativen Lieferanten suchen und nach Produktgruppen oder Geografien und dergleichen filtern. Der Anstieg des Traffics auf der Plattform in der Pandemiezeit war enorm. Viele unserer Kunden haben das genutzt, um kurzfristig Ausfälle kompensieren zu können.
Magerl: Wir kennen diese Plattform und haben keinen einzigen Ausfall in unserer Lieferkette gehabt.
Herr Fessler, bleibt Ariba Discovery nach der Pandemie weiter geöffnet?
Fessler: Wir haben das Netzwerk aufgemacht als Corona ausgebrochen und halten es – solange die Corona-Pandemie andauert – geöffnet. Normalerweise ist es so: wenn ein Kunde aus dem Einkauf heraus unsere Lösung – diese nennt sich Ariba Sourcing – im Bereich Ausschreibungen nutzt, hat er das Service automatisch dabei, um z.B. bei einer Ausschreibung zusätzliche Lieferanten einzuladen und entsprechend in die Ausschreibung einzubinden. Auf der Lieferantenseite ist es auch eine Vertriebsplattform.
Welche Trends sehen Sie im Einkauf auf Sie zukommen?
Magerl: Wir binden unsere Supply Chain so eng wie möglich an uns. Der Weg retour heißt: einfache, effiziente Prozesse und einfachste, verkürzte Lieferwege. Auch der Transportbereich wird künftig einer Digitalisierungsreform unterliegen, weil er bezüglich Sustainability und Umweltverträglichkeitsziele ein maßgeblicher Einflussfaktor auf das von mir erwähnte MAKE THE SH/FT Programm ist. Der zweite große Trend wird die Anbindung von Lieferanten an das B2B- und End-To-End-Business sein. Die Funktionalität wird massiv gesteigert werden. Der dritte große Punkt ist die Sicherheit. Die komplette Supply Chain ist ja eine Datenflut, die auch Business-Geheimnisse beinhaltet. Diese Sicherheit müssen wir drastisch erhöhen, insbesondere im Hinblick auf das Homeoffice.
Herr Fessler, welche Trends sehen Sie aus SAP-Sicht?
Fessler: Als SAP gegründet wurde, ging es darum innerhalb eines Unternehmens Transparenz zu schaffen, so dass die Finanz weiß, was die Produktion und was der Vertrieb macht. Das ist jetzt über die ganze Supply Chain zu verwirklichen, damit vom Kunden über den Vertriebspartner bis hin zum Supplier – eine Transparenz gegeben ist, bei der jeder weiß, was der andere in der Supply Chain tut bzw. wie die Lagerstände oder die Rohstoffsituation aussieht. Hier wird die Supply Chain enger zusammenrücken – man braucht immer mehr Transparenz in den Zeit-, in den Kosten-, in den Sustainability-Faktoren entlang dieser Kette.
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