„Die Liebe zum Problem entdeckt“

Hannes Ruess, Head of Global IT bei der Lenzing AG, hat aus der einst sehr lokal orientierten IT eine globale Organisation geschaffen – trotz hartem, konzernweitem Sparkurs. Die Motivation der Mitarbeiter stand dabei sehr weit oben. [...]

Was waren die Meilensteine Ihrer bisherigen Arbeit bei Lenzing?

Ich habe seit meinem Antritt als CIO vor fünf Jahren die IT von einem sehr lokalen Umfeld hin zu einer globalen Organisation umgebaut – mit Standardisierung, Zentralisierung und Harmonisierung aller Prozesse und Systeme. Der jüngste Erfolg des Umbaus: Wir werden als Prozess-Architekten des Konzerns wahrgenommen. Das war schon davor stark ausgeprägt, aber falsch positioniert.

Was waren die größten Herausforderungen des Umbaus?

Die größte Challenge der letzten Jahre war der atemraubende Verfall des Marktpreises und daraus resultierend ein sehr einschränkender Sparkurs. Trotzdem ist es uns gelungen, die Mitarbeiter durchzumotivieren und durchzucoachen, damit der Change-Prozess stattfinden konnte. Die IT war der erste Bereich, der den schmerzenden Sparkurs sehr schnell überwinden konnte und die Chance gesehen hat, daraus etwas zu machen.

Sparkurs und grundlegende Änderungen – das klingt nicht sehr motivierend.

Motiviert haben wir im Wesentlichen dadurch, dass wir gemeinsam an der Zieldefinition gearbeitet haben. Es ist nie der Eindruck entstanden, dass die IT als Oberlehrer neue Prozesse einführen will. Wir haben die Liebe zum Problem entdeckt. Ich habe die Organisation dorthin geführt, ein Problem nicht als solches zu sehen, sondern als Chance. Damit ist so viel Energie auf der Fachseite und unserer Seite entstanden, um Lösungen und Wege zu entwickeln und daraus Vorteile zu erzielen. Es war natürlich nicht immer ein Honiglecken, es hat sehr viele konstruktive Diskussionen erfordert, positiven Streit. Aber jeder ist immer mit dem Gefühl aus den Meetings gegangen, dass wir uns ein Stück nach vorne bewegt haben. Was sehr geholfen hat, war, dass wir auf Basis vieler Standards ein sehr einfach zu verstehendes Konzept für die Projektabwicklung entworfen haben – mit einer Garantie, dass das Projekt auch fertig werden und Erfolg haben wird. Das hat schon beim Start sehr viel Sicherheit gegeben.

Wie haben Sie die Position des CIO im Top-Management verankern können?

Bedingung bei meiner Einstellung war, dass ich dem Vorstand berichten kann. Davor war die IT einem Finanzleiter zugeordnet, eine klassische IT-Subfunktion. Der heutige Vorstand ist mit dem Bewusstsein angetreten, dass IT ein Wertbeitragselement ist. Damit wurde die Position der IT gestärkt – dies auch durch Marketing meinerseits –, damit die IT auch als Prozesswissende wahrgenommen wird. Ich habe sehr viel Energie in das Business-Alignement gesteckt, indem ich unter anderem Prozessverantwortliche in der Organisation etabliert habe. Das ist wahrscheinlich die markanteste Veränderung, die geschaffen wurde.

Sie greifen also aktiv in die Prozessmodellierung ein?

Das ist genau der Punkt. Das war auch meine Intention bei Antritt: vom Request-Erfüller zum Treiber, indem wir uns aktiv in die Prozessgestaltung einmischen und aktiv Input bringen. Wir haben Lösungen durchgesetzt, von denen wir in Diskussion mit dem Business dermaßen überzeugt waren, dass wir auch die Treiber in vielen Bereichen sind.

Sehen Sie den Prozess des Umbaus einmal abgeschlossen?

Change findet meiner Meinung nach jeden Tag statt. Change Management gehört heute zum Skillset jeder Führungskraft. Das hat nichts mit Projekten zu tun. Dazu gehört unter anderem die Fähigkeit, die Stärken und Schwächen von Mitarbeitern zu erkennen und sie richtig einzusetzen.

Was sind die weiteren Fähigkeiten eines modernen CIO?

Er muss authentisch bleiben, er muss zuhören können, er muss im Business sein. Ich verbringe mit Sicherheit mehr Zeit mit den Entscheidungsträgern als mit der IT selbst. Last but not least fürchtet sich ein moderner CIO nicht vor Change. Dazu braucht es eine gute Portion Mut. Und Mut bringt Standvermögen, Überzeugungskraft und die Fähigkeit zu motivieren.

Laut Jury sehen Sie Technologie-Hypes kritisch.

Natürlich muss man die Trends im Auge behalten. Es geht darum, neue Methoden erst dann einzusetzen, wenn sie wirklich einen Wert für das Unternehmen schaffen. Ich fühle mich durchaus wohl in der Rolle eines Fast Followers. Das Geschick, Trends kritisch zu bewerten, schafft Wert für das Unternehmen. Als CIO muss ich wissen, was das Kern-Knowhow des Unternehmens ist. Wo liegt das größte Gefahrenpotenzial, den Wettbewerbsvorteil zu verlieren? Das kann ganz einfach durch die IT passieren, wenn man die falschen Informationen an der falschen Stelle hält und damit die Gefahr vergrößert, dass der Mitbewerb die Distanz zu uns verringert. Daher bin ich lieber sehr kritisch als leichtgläubig. (wf)

Hannes Ruess
Hannes Ruess, Head of Global IT bei der Lenzing AG, hat sich die Auszeichnung zum Top-CIO 2016 global verdient. Imponiert haben der Jury unter anderem sein „exzellentes internationales IT-Management“ sowie sein „erfolgreiches Vorgehen bei der kritischen Prüfung von IT-Hypes und deren Umsetzung in Unternehmensinnovation“.


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