Die Schritte zu einer fairen Lieferkette

Nach wie vor werden Menschenrechte und Umweltschutz in weiten Teilen der Welt nicht beachtet. Welche Gesetze die EU diesbezüglich plant und was das für Unternehmen bedeutet, erklärt Marianne Schulze, Social Sustainability Expertin bei PwC Österreich, im Interview. [...]

Seit März 2022 ist Marianne Schulze Social Sustainability Expertin bei PwC Österreich. Dort berät sie Kunden und Kundinnen u.a. bei der Risiko-Analyse ihrer globalen Lieferketten und der damit verbundenen Sorgfaltspflichten. (c) Marlene Rahmann
Seit März 2022 ist Marianne Schulze Social Sustainability Expertin bei PwC Österreich. Dort berät sie Kunden und Kundinnen u.a. bei der Risiko-Analyse ihrer globalen Lieferketten und der damit verbundenen Sorgfaltspflichten. (c) Marlene Rahmann

Sie sind Menschenrechtsexpertin, haben Rechtswissenschaften studiert und arbeiten bei PwC. Was können Sie für Unternehmen tun, was herkömmliche Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer nicht können?

Eine international erprobte Sicherheit in der Erklärung, was Menschenrechte sind und was sie im Einzelnen bedeuten. Einen großen Erfahrungsschatz, Menschen in Führungspositionen sowie quer durch alle Unternehmensebenen für Menschenrechte zu sensibilisieren und einen Umgang mit den Fragestellungen zu finden, die aus menschenrechtlichen Verpflichtungen oft entstehen.

Auch hat PwC ein formidables multi-disziplinäres Team zu ESG (Environment, Social, Governance), das nicht nur fachlich jeden Aspekt des Themas von Energie bis Kreislaufwirtschaft, von Governance bis Human Resources und eben auch die soziale Nachhaltigkeit abdeckt. Es gibt viel fachlichen Austausch im Team und darüber hinaus die direkte Anbindung an das Accounting-Team, um die Prüffestigkeit zu gewährleisten.

Was schreiben das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und die geplante CSDD-Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Proposal)der EU vor und worin unterscheiden sie sich? Wie sehen die Zeitpläne hinsichtlich des Inkrafttretens aus?

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) tritt mit erstem Jänner nächsten Jahres für in Deutschland ansässige Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kraft und legt einen Fokus auf Kinderrechte, Arbeitsschutz und einige spezifische Umweltabkommen, darunter jenes über die Verwendung von Quecksilber. Es muss klare unternehmensinterne Vorgaben zur Berücksichtigung des Verbots von Kinderarbeit und anderen menschenrechtlichen Aspekten geben. Neben einer firmeneigenen Menschenrechtserklärung braucht es da auch spezifisch zuständige Personen. Menschenrechtliche Fragestellungen müssen unter anderem ins Risk Management integriert werden. Es braucht auch Anpassungen in der Beschaffung und es gibt weitreichende Berichtspflichten.
Das deutsche LkSG wird neben den Regelungen, die in Frankreich und den Niederlanden bereits in Kraft sind, als beispielgebend für die flächendeckende EU-Richtlinie gesehen. Die Strafbestimmungen im LkSG sind recht deutlich, mit bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes. Es bleibt abzuwarten, was die EU hier vorschreibt. Der Richtlinienentwurf harrt noch des EU-Parlamentsbeschlusses, der vermutlich im ersten Quartal 2023 kommen wird. Danach haben die Nationalstaaten zwei Jahre für eine gesetzliche Regelung in den Mitgliedsländern.

Was fehlt Ihnen noch in den oben genannten Gesetzen, um das ideale Lieferkettengesetz zu verwirklichen?

Ich bin nicht sicher, dass man bei gesetzlichen Regelungen Perfektionismus anstreben kann beziehungsweise soll. Das kippt meines Erachtens schnell in eine Überregulierung. Es sind Grundlagen geschaffen, um für alle Beteiligten die Spielregeln klarzumachen und – wichtiger Weise – verbindlich zu stellen. Letzteres scheint mir wichtig, weil es bis dato viele unverbindliche Bemühungen gab und nicht ausreichend Anreize, von „nice to have“ auf „must have“ zu wechseln. Dass es dann noch Möglichkeiten zur Verbesserung geben wird, ist klar.

Wie sieht es mit der Umsetzung des LkSG in Deutschland aus und wie schätzen Sie den diesbezüglichen Handlungsbedarf österreichischer Unternehmen ein?

Wir haben über PwC Deutschland Einblicke und das scheint mir ein bisschen von allem zu sein: die Meinung, dass das alles nicht so eng gesehen wird, genauso wie Feuereifer alles umzusetzen. Wir sehen viel Einsatz von Tool-basierten Lösungen, die in der Generierung von Daten sicher hilfreich sind, in der Umsetzung der Anforderungen als Ganzes jedoch zu kurz greifen. Ich vermute, dass der Druck der Zivilgesellschaft „dieses Unternehmen hat noch keine Human Rights Policy!“ ein Scherflein beitragen wird und sich 2023 einiges an Dynamik bilden wird – auch weil die öffentliche Sensibilität viel höher geworden ist.

Was ist für Unternehmen in Österreich jetzt zu tun?

Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, Menschenrechte werden vom „nice to have“ zu einer gesetzlichen und unternehmerischen Grundvoraussetzung. Damit rückt die Einsicht, dass Prävention in jedem Fall günstiger ist, als das Aufräumen nach einem Vorfall, in den Mittelpunkt.
Österreichische Unternehmen beschäftigen sich ja vielfach bereits mit Nachhaltigkeit und den Auswirkungen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die Regulatorik zur Lieferkette – und auch zur sozialen Taxonomie – werden hier ergänzen und verstärken. Wichtig ist, das Bewusstsein zu gewinnen, dass die Lieferkette beim Arbeitsschreibtisch beginnt und sich nicht nur auf weit entfernte Orte bezieht.

Benötigen Unternehmen künftig ebenfalls Menschenrechtsexpertinnen und -experten?

Um das juristisch zu beantworten: „das kommt darauf an“, was man unter Experten und Expertinnen versteht. Aber im Ernst: es braucht eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit dem sehr abstrakten Begriff „Menschenrechte“ und den Implikationen von sozialer Nachhaltigkeit, ähnlich wie das für Umweltthemen bereits Standard geworden ist.

Gibt es Vorreiterunternehmen in Sachen faire Lieferkette und falls ja, welche sind das?

Es gibt gute Praxis für die verschiedenen Aspekte. Die größeren Studien verweisen darauf, dass es einen Perspektivenwechsel braucht. Ich würde meinen, dass es eine Blickwinkelerweiterung ist: man sieht nicht nur potenzielle Risiken für das Unternehmen, sondern auch für Mitarbeitende, deren Familien, die Gesellschaft und die Zukunft der Umwelt. Ein weiterer großer Faktor ist das Zugehen auf Stakeholder und die Intensivierung des Dialogs. Da gibt es Beispiele von Unternehmen, die nun selbstverständlichen jeden Tag mit Vertreterinnen und Vertretern der Gewerkschaft im Austausch sind. Ein Ansatz, der durchaus einen Paradigmenwechsel darstellt.

Bringen die Lieferkettengesetze Unternehmen auch wirtschaftliche Nachteile im globalen Wettbewerb? Welche Risiken sehen Sie für Unternehmen?

Es ist ein Klischee: Veränderungen bergen Risiken, aber auch Chancen. Und ja, die Nachhaltigkeitsregulatorik fordert Veränderung. Die gute Nachricht: es betrifft auch die Peers und daher ist eine große Chance die Kooperation und der Austausch. Risiken sehe ich vor allem in der Duplikation von Prozessen: in dem Bemühen, Greenwashing effektiv zu verhindern, scheinen mir viele Süppchen parallel gebraut zu werden, da wird es wohl noch eine Konsolidierung brauchen. Und dann die Grenzen der Transparenz: was passiert, wenn die Konkurrenz draufkommt, wo man – nachhaltig – produzieren lassen kann? Zahlt man da drauf, weil man früh investiert hat?

Welche Rolle spielen Umweltaspekte in Ihrer Tätigkeit?

Eine mehrfache: zum einen wollen wir in der Beratung sicherstellen, dass unsere Kunden und Kundinnen davon profitieren, dass wir die Synergien zwischen dem „E“ und dem „S“ von ESG nutzen. Das heißt dass jene, die bereits viel zum Umweltthema gemacht haben, die Brücke zu Fragen der sozialen Nachhaltigkeit leicht schlagen können. Zum anderen ist im letzten Jahr auf internationaler Ebene ein Konsens entstanden, um das „Recht auf Zugang zu einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt“ als universelles Menschenrecht anzuerkennen. Die Umsetzung sicherzustellen, bedarf eines Zusammenspiels vieler Faktoren. Man sagt ja auch, dass Menschenrechte nicht wirklich separat betrachtet und umgesetzt werden können, sondern wechselseitig bedingt sind. Man kann das Recht auf Arbeit zum Beispiel nicht ohne das Recht auf Bildung erreichen.

Die USA verlagert derzeit sehr viel ihrer Produktion wieder in das eigene Land (insourcing). Auch Deutschland plant, wieder mehr im eigenen Land zu produzieren. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Die Produktion zu regionalisieren, ist eine der formulierten Hauptziele der EU-Kommission. Der Auftrag lautet Nearshoring. Er ist Ausdruck eines ganzheitlichen Verständnisses von Nachhaltigkeit: es soll ökologisch, sozial und damit auch ökonomisch mehr Balance angestrebt werden.

Blick in die Zukunft: Allerorten ist von Transformation die Rede. Sind die Lieferkettengesetze der Anfang eines Transformationsprozesses unseres Wirtschaftssystems? Falls ja, wohin geht die Reise?

Die Reise hat bereits begonnen, es haben sich schon viele auf den Weg gemacht. Es geht definitiv in eine Richtung, in der es mehr Bewusstsein für die Konsequenzen unseres Handelns gibt.


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