Die dritte Auflage des KSÖ-Sicherheitskongresses hat sich der Zukunft verschrieben. Einer der Schwerpunkte: Big Data und die gesellschaftlichen Auswirkungen. Viktor Mayer-Schönberg verspricht eine Revolution. Die COMPUTERWELT war vor Ort. [...]
Während sich die ersten beiden Ausgaben des „Sicherheitskongresses“, durchgeführt vom Kuratorium sicheres Österreich (KSÖ), mit den Cyber-Gefahren und den Gegenstrategien beschäftigten, ging es heuer in erster Linie um die Zukunft. Das Motto „Cyberlife 2030“ stammt von der gleichnamigen Studie, die Karl Rose, Geschäftsführer und Gründer von Strategy Lab, zu Beginn der Veranstaltung im Congress Center Messe Wien präsentierte (siehe auch Kasten).
Ein bemerkenswerter Teil der Studie ist eine sogenannte Heatmap, die veranschaulichen soll, welche Bereiche des Lebens künftig in welchem Maß durch die neuen Technologien gefährdet werden. Als Entwicklungen mit der höchsten Herausforderung für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft haben die Studienautoren das „Internet of Things“ sowie Machine-to-Machine-Kommunikation identifiziert, Aspekte, die in den kommenden Jahrzehnten stark an Bedeutung gewinnen werden. Für Cyber-Kriminelle bieten sich damit neue Betätigungsfelder, und auch der Terrorismus wird nach den neuen Möglichkeiten der Sabotage schielen. Nummer Drei auf der Rose-Skala nimmt „Cloud Computing“ ein, gefolgt von „Digitale Identität“ und „Biometrics“. Karl Rose wies in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Verhaltensänderung hin, die fast alle neuen Technologien voraussetzen – „3D-Drucker“ und „Quantencomputer“ ausgenommen, die sich am Ende der Risikoeinschätzung wiederfinden. „In diesem Bereich gibt es noch sehr wenig Initiativen, das heißt, wir leben unser Leben teilweise noch mit den Routinen, die wir gewohnt sind aus einer Zeit ohne diese neue Technologien. Das wird sich bis 2030 entscheidend ändern müssen.“
Nicht nur eine Verhaltensänderung, sondern sogar einen Paradigmenwechsel im Denken verspricht das Thema Big Data, dem sich Viktor Mayer-Schönberger in seiner Keynote widmete. „Ich möchte Sie ersuchen, alles zu vergessen, was Sie bisher über Big Data gehört haben“, begann er seinen Vortrag vor vollbesetztem Plenum. „Big Data verändert, wie wir wirtschaften, wie wir handeln und wie wir denken.“
Mayer-Schönberger, der am Oxford Internet Institute lehrt und forscht, illustrierte seine These mit Beispielen, die von der Öffentlichkeit noch nicht unter dem Begriff Big Data wahrgenommen worden waren. Grippeepidemie 2009: Um die wahrscheinliche Ausbreitung der Krankheit in den USA vorhersagen zu können, brauchte es zwei Wochen und ein großes Team, das die Informationen der Allgemeinärzte zusammentrug und analysierte.
Dann kam Google, das täglich die drei Milliarden Suchanfragen, die alleine aus den Staaten kommen, verarbeitet und speichert. Die Idee war, aus den Daten, die ohnehin verfügbar waren, ein Modell mit 45 spezifischen Suchanfragen, etwa nach bestimmten Symptomen, zu entwickeln. Das Ergebnis: „Google konnte die Verbreitung der Grippe nahezu perfekt voraussagen – und das in Echtzeit“, so Mayer-Schönberger.
Dass Big Data ein Mehr an Daten bedeutet, liegt auf der Hand. Viel entscheidender ist, wie diese Menge der Daten unsere Wahrnehmung und Denken beeinflusst – Stichwort Erkennen von Korrelationen. Forscher an der Universitätsklinik in Toronto wollten das Problem, dass die Behandlung von Infektionen bei Frühgeborenen oft nichts mehr retten kann, mit Hilfe einer Big-Data-Analyse lösen. Nach dem Messen der Vitalfunktionen mit Hunderten Sensoren kam ein überraschendes Muster zum Vorschein, das die Schulmeinung auf den Kopf stellt: Kritisch wird es, wenn die Vitalfunktionen plötzlich stabil werden. Mit dieser Information können Ärzte Infektionen 24 Stunden vor Ausbruch mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen und rechtzeitig reagieren. Warum das so ist, wissen sie nicht, dass es so ist, ist das Entscheidende. „Das führt uns weg von dem uralten Bedürfnis, Kausalitäten zu erkennen. Mit Big Data können wir anstatt nach dem Warum zu fragen, Antworten auf Fragen nach dem Was geben – und das ist oftmals gut genug“, formuliert Mayer-Schönberger die Kernaussage seines Vortrags.
Was das alles mit Sicherheit zu tun hat? „Der zentrale Mechanismus des Datenschutzes ist die Zweckbindung. Im Zeitalter von Big Data mit der Wiederverwendung von Daten für andere Zwecke als ursprünglich geplant ist dies nahezu sinnlos.“ Noch gefährlicher sei die Möglichkeit, menschliches Verhalten vorherzusagen. Jemanden zu stoppen, bevor er eine strafbare Handlung setzt, sei durchaus wünschenswert. „Trotzdem wäre grundfalsch, Menschen zu bestrafen, lediglich weil die Analyse vermeint, vorhersagen zu können, welches Verhalten jemand setzt. Es wäre so, als würden wir den Menschen die Fähigkeit nehmen, sich im letzten Moment anders zu entscheiden. Wir nehmen den Menschen den freien Willen und schaffen keinerlei Anreize mehr, sich gesetzeskonform zu verhalten“, so Mayer-Schönberger. Bestraft wird man, wenn die Analytiker es so wollen. Der Minority Report lässt grüßen. (su)
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