Digitalisierung, aber klimaneutral

Mit Digitalisierung gegen den Klimawandel vorzugehen, ist ein zweischneidiges Schwert. So ist der CO2-Fußabdruck der IT nicht unbeträchtlich, aber ohne IT ist der Klimawandel auch nicht zu bewältigen. Jedoch kann der CO2-Fußabdruck der IT mit geeigneten Maßnahmen gesenkt werden. [...]

Auf dem Weg zur CO2-neutralen IT? (c) Klaus Lorbeer
Auf dem Weg zur CO2-neutralen IT? (c) Klaus Lorbeer

Nicht nur Flugreisen, Autoverkehr und Kreuzschiffe tragen in der westlichen Welt zu einem großen CO2-Fußabdruck bei, sondern auch die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ist längst nicht klimaneutral. Um geeignete Gegenmaßnahmen setzen zu können, muss zunächst der Ist-Zustand erhoben werden. So sind Führungskräfte laut der Lenovo-Studie »Data for Humanity« der Ansicht, dass Daten eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung des Klimawandels sowie anderer globaler Krisen spielen werden. Ist also IT als Produzent von CO2-Emissionen überhaupt ein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Klimawandel? Laut der  McKinsey-Studie »The green IT revolution: A blueprint for CIOs to combat climate change« ist die IT von Unternehmen für den Ausstoß von weltweit ungefähr 350 bis 400 Megatonnen an klimaschädlichen Gasen verantwortlich. Das entspricht rund einem Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und scheint auf den ersten Blick nicht viel. Jedoch entspricht das laut McKinsey der Hälfte des gesamten Flugverkehrs oder des gesamten CO2-Ausstoßes Großbritanniens. Betrachtet man die gesamte Nutzung von Internet und Computern weltweit, ergibt sich ein dramatischeres Bild, wie das Data-Science-Online-Journal Patterns in dem Artikel »The real climate and transformative impact of ICT: A critique of estimates, trends, and regulations« beschreibt. Demnach liegt der weltweite CO2-Ausstoß der IKT bei 1,8 bis 2,8 Prozent – unter Einbeziehung der Lieferketten könnte der Anteil nach Ansicht einiger Wissenschaftler gar bei 2,1 bis 3,9 Prozent betragen. Dann lägen die CO2-Emissionen der IKT mit jener des Flugverkehrs mehr oder minder gleichauf. Das deckt sich auch mit der McKinsey-Studie, nach der nicht die Rechenzentren für die höchsten Emissionen verantwortlich sind, sondern die Laptops, Tablets, Smartphones und Drucker der Enduser, deren Kohlendioxidausstoß 1,5 bis 2 mal höher ist als jener der Rechenzentren. Der größte CO2-Verursacher ist nämlich nach wie vor die Produktion der Endgeräte sowie deren Betrieb, die zusammen mit der Entsorgung etwa 75 Prozent der Emission des Endgeräts ausmachen. Zudem gibt es sehr viele Endgeräte und sie werden auch öfters ausgetauscht als beispielsweise die Server in einem Rechenzentrum. Smartphones werden durchschnittlich alle zwei Jahre ersetzt, Notebook-Computer alle vier und Drucker alle fünf Jahre. Demgegenüber werden Server frühestens alle fünf Jahre erneuert und ein Switch sollte jedenfalls sieben oder acht Jahre durchhalten.

Dennoch: Rechenzentren verbrauchen extrem viel Strom. Bereits vor zehn Jahren verbrauchten alle Rechenzentren der Welt das 30-fache des Stroms, den ein einzelnes Atomkraftwerk erzeugt. Den größten Strombedarf haben dabei die Server, konkret Prozessoren und Beschleunigerkarten sowie natürlich die Kühlung und der Betrieb von Datenträgern. Und aufgrund immer mehr zu verarbeitender und zu speichernder Daten ist auch keine Reduktion des Stromverbrauchs in Sicht. Laut einer Studie des Borderstep-Instituts im Auftrag des deutschen Digitalverbands Bitkom ist der Strombedarf der Rechenzentren von 2010 bis 2022 um 84 Prozent gestiegen, bis 2025 sollen es nochmal 30 Prozent mehr sein. Allerdings konnte auch die Effizienz enorm gesteigert werden. Laut der genannten Studie hat sich die Rechenkapazität pro verbrauchter Kilowattstunde Strom seit 2010 fast verfünffacht. 

Ein Update der Studie aus dem Jahr 2023 sieht eine große Spannbreite beim Energiebedarf bis 2030 – je nachdem, wie stark mögliche Energieeinsparungen genutzt werden. Werden alle Effizienzpotenziale bei Infrastruktur, Hard- und Software konsequent genutzt, kann der der Anstieg des Energiebedarfs der Rechenzentren weitaus geringer ausfallen.

Das Digitalisierungsparadox

Es ist und bleibt ein Widerspruch: Laut einer Bitkom-Umfrage war es dank der voranschreitenden Digitalisierung 77 Prozent der befragten Unternehmen möglich, ihren CO2-Ausstoß zu senken. IT und Digitalisierung werden als probates Mittel gesehen, um bis etwa 2030 klimaneutral zu sein. Das Rückgrat der Digitalisierung stellten die Rechenzentren dar, die für den Klimaschutz unabdingbar seien, wie Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder versichert. Rohledern ist überzeugt: »Die Klimaziele können ohne Digitalisierung und damit ohne Rechenzentren nicht erreicht werden.« 

Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer Bitkom: „Die Klimaziele
können ohne Digitalisierung und damit ohne Rechenzentren nicht erreicht werden.“ (c) Bitkom

Andererseits sind Hardware, Datenspeicherung und-verarbeitung sowie Clouddienste auch für einen nicht unwesentlichen CO2-Ausstoß verantwortlich, der wie bereits erwähnt noch dazu wächst, je mehr Daten erzeugt und weiterverarbeitet werden. Die Situation kann jedoch wesentlich verbessert werden, wenn immer mehr Rechenzentren regenerativ erzeugten Strom beziehen. Das passiert bereits. Rechenzentrumsanbieter wie Ionos oder Interxion versorgen ihre Data Center in Europa und weltweit mit Strom, der zu hundert Prozent aus Wind- und Wasserkraft gewonnen wird. Sie sind zudem ISO 14001 und ISO 50001 zertifiziert.

In diesem Zusammenhang ist auch oft von den Bezeichnungen Scope 2 und Scope 3 die Rede. Entwickelt von der Standardisierungsorganisation Greenhouse Gas Protocol (GHG) schaffen sie Klarheit und Transparenz bei der Begrifflichkeit hinsichtlich der Messung und des Vergleichs von CO2-Emissionen.  Mit  Scope 2 werden Emissionen aus dem Stromverbrauch für den eigenen Betrieb von beispielsweise Rechenzentren oder Endgeräten für Mitarbeiter bezeichnet, während bei Scope 3 alle Emissionen einer IT-Aktivität inklusive dazugehörige Dienstleistungen, Einkauf und Lieferkette mitbetrachtet werden. Das Ziel ist natürlich Rechenzentren sowohl in Bezug auf Scope 2 als auch auf Scope 3 klimaneutral zu machen.

Maßnahmen zur Erreichung von Klimaneutralität

Ist von Maßnahmen für den Umweltschutz oder der Umsetzung der ESG-Initiative der Vereinten Nationen (ESG = Environmental, social and corporate governance, auf deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) die Rede, sehen viele Unternehmer zunächst nur die Kosten, die komplexen technischen Herausforderungen bei der Umstellung und eine mögliche Abhängigkeit von Dritten wie Recyclingunternehmen oder auch Energieversorgern. Andererseits werden umweltfreundliche Produkte von den Kunden und Konsumenten verstärkt nachgefragt. Insofern bedeutet gelebter Umweltschutz auch einen Wettbewerbsvorteil und Imagegewinn. Zudem  ist der Einsatz energieeffizienter Technologien und die Verringerung von Abfall ein wesentlicher Hebel für Unternehmen Kosten einzusparen. Nicht umsonst bemühen sich große IT-Unternehmen um Klimaneutralität: SAP möchte bis 2025 klimaneutral sein, IBM bis 2030 und Microsoft will bis 2030 gar klimapositiv sein, also mehr CO2 abbauen als produzieren. Auch Apple will bis 2030 klimaneutral sein und all seine Smartphones und Computer völlig aus recycelten Materialien herstellen. Eine gute Maßnahme, denn die Produktion von Neugeräten ist enorm ressourcenintensiv. So haben Wissenschaftler der Technischen Unversität Berlin errechnet, dass die Produktion eines neuen PCs so viele Rohstoffe verbraucht, wie die Fertigung eines durchschnittlichen Sportwagens.

Was kann also getan werden? Bei der Beschaffung von Endgeräten können Unternehmen 50 bis 60 Prozent der Emissionen reduzieren, indem beispielsweise auf den umweltfreundlicheren Kauf von generalüberholten Geräten umgestellt wird oder Produkte von Unternehmen mit hohem Recyclinganteil bezogen und generell ein Fokus auf Geräte mit längerer Lebensdauer gelegt wird. Das Stichwort dazu lautet »Kreislaufwirtschaft«. 

In Bezug auf die IT-Rechenleistung eines Unternehmens, sprich die Optimierung des eigenen Rechenzentrums, ist oft die Nutzung von dritten Dienstleistern günstiger. Hier spielt der sogenannte PUE-Wert (Power Usage Effectiveness) eine Rolle. Dieser gibt an, wie effektiv die zugeführte Energie in Bezug auf die eigentliche Rechenleistung verbraucht wird – je niedriger der Wert, desto effizienter arbeitet das Rechenzentrum. Laut McKinsey bringt selbst eine Verdoppelung der Ausgaben zur Modernisierung des eigenen Rechenzentrums vor Ort, mit dem Ziel den PUE-Wert zu senken, nur eine Reduktion der Kohlenstoffemissionen um 15 bis 20 Prozent. Besser sei es, so die McKinsey-Experten, auf Cloud-Dienste zu setzen und zertifiziert umweltfreundliche Rechenzentren mit einem PUE-Wert von 1,10 oder weniger in Anspruch zu nehmen. Das sei wesentlich besser als der PUE-Wert eines Rechenzentrums on-premise, also am Unternehmensstandort, der durchschnittlich bei 1,57 liege. 

Mit diesen genannten Maßnahmen könnten Unternehmen, so die McKinsey-Studie,  die Kohlendioxidemissionen ihrer Rechenzentren weltweit um über 55 Prozent oder etwa 40 Millionen Tonnen CO2 reduzieren – das entspricht ungefähr dem CO2-Ausstoß der Schweiz.

Andererseits lassen andere wirtschaftliche Herausforderungen wie steigende Strompreise, Inflation und durch den Krieg in der Ukraine durchbrochene Lieferketten Umweltschutz und Klimaneutralität in den Hintergrund rücken. So sind laut einer Studie von Google Cloud ESG-Maßnahmen von Platz 1 der obersten Prioritäten eines Unternehmens auf den dritten Platz zurückgefallen. An dieser Stelle sei nochmals nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Aktivitäten hinsichtlich der Energieeffizienz die Kosten stark senken. Eine der wichtigsten, bisher noch nicht erwähnten Maßnahmen ist, die Mitarbeiter ins Boot zu holen und von der Sinnhaftigkeit der Ziele zu überzeugen.

Mitarbeiter mitnehmen

Wie bei allen IT-Projekten müssen auch auf dem Weg zur Klimaneutralität die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen informiert und vom Nutzen der Maßnahmen überzeugt werden. Während die Information, dass ein durchschnittlicher PC für eine einzige Google-Suchanfrage genau so viel Strom benötigt wie es braucht, um ein Zimmer mit einer 40-Watt-Energiesparlampe eine halbe Stunde zu beleuchten, noch etwas abstrakt ist, sind praxisbezogene Beipiele am einfachsten nachzuvollziehen.

Wenn zum Beispiel ein Desktop- oder Laptop-Computer nach 15 Minuten, in denen er nicht benutzt wird, autmatisch in den Ruhezustand versetzt wird, senkt sich der Stromverbrauch von etwa 135 Watt auf unter 2 Watt. Je nach Größe des Unternehmens können so in ein oder zwei Monaten ein paar tausend Stunden Leerlaufzeiten eingespart werden. Diese können wiederum direkt in CO2– Emissionen umgerechnet werden. Solcherart kann ein Unternehmen beispielsweise 6 Tonnen an CO2-Emission einsparen, für die es ansonsten 500 Bäume zur Kompenastion braucht, um das CO2 wieder aus der Luft zu filtern. Natürlich braucht das Aufwachen eines PCs aus dem Ruhezustand ein klein wenig länger als ohne, doch wenn die die Mitarbeiter um die positiven Auswirkungen ihres Handelns auf die Umwelt wissen, steigt das Verständnis und damit auch die Akzeptanz solcher Maßnahmen.


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