Dürfen Mitarbeiter überwacht werden?

Neue Softwareprodukte ermöglichen es immer besser, die Arbeitsleistungen der Mitarbeiter detailliert zu erfassen. Doch ob "People Analytics" überhaupt erlaubt ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. [...]

Johannes Thönneßen, Geschäftsführer und Chefredakteur von Managementwissen online
Johannes Thönneßen, Geschäftsführer und Chefredakteur von Managementwissen online (c) Managementwissen online

Dass sich Tastaturanschläge speichern und E-Mails auslesen lassen, ist kein Geheimnis. Doch inzwischen geht viel mehr. Die englische Einzelhandelskette Tesco etwa stattet ihre Mitarbeiter mit Datenarmbändern aus, um ihre Wege zu kontrollieren. Auch Amazon hat in einem Logistikzentrum die Arbeitsschritte der Beschäftigten erfasst. Die Talent-Management-Firma Crossover fotografiert ihre Mitarbeiter sogar im Zehn-Minuten-Rhythmus.
Technisch wäre noch viel mehr möglich. Eine Software von Teramind ermittelt beispielsweise, wie oft Mitarbeiter zwischen Programmen hin und her wechseln. Und eine Firma namens Soma Analytics entwickelt Apps, die das Stressniveau von Mitarbeitern messen. Neben diesen speziellen Tools gibt es Programme für die Personaleinsatzplanung, die vielfältigste Daten zusammenführen: wer woran arbeitet, wie lange er mit den Aufgaben beschäftigt ist, wie oft er freinimmt etc. Personalern gefällt das, können sie doch nun genau erkennen, wie effizient jemand arbeitet und wo besondere Kosten anfallen.
In Europa sind die meisten dieser Aufzeichnungen nicht erlaubt. Selbst wenn die Mitarbeiter entsprechende Vereinbarungen unterschreiben, sind die Verträge ungültig, weil die Mitarbeiter in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Experten vermuten aber, dass die Programme dennoch weit verbreitet sind und niemand sie kontrolliert. Diese Funktionen sind nämlich oft Bestandteile mächtiger Softwarepakete, und es ist gar nicht so einfach, Verbotenes zu deaktivieren. Das ist ungefähr so, als verkaufe ein Unternehmen Fahrräder mit Elektromotor, die 70 Stundenkilometer fahren, und man müsste diese Leistung drosseln, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

Mitarbeitergespräche statt Spionage

Fakt ist aber wohl auch, dass die Reizschwelle gesunken ist und sich niemand mehr für solche Details interessiert. So wird ja auch bereitwillig akzeptiert, dass das eigene Smartphone Nutzungsdaten an diverse Hersteller sendet. Auch haben die meisten Menschen kein Problem damit, Informationen über ihren Alltag, ihre Beziehungen und ihre Befindlichkeiten ins Netz zu stellen.
Die Vertreter von People Analytics argumentieren mit den Chancen. Wenn mein Chef auf dem Bildschirm erkennen kann, dass ich gestresst bin und mir Unterstützung anbietet: was soll dagegen sprechen? Wenn der Kollege, der am Arbeitsplatz Netflix-Serien schaut, von der Spionagesoftware erwischt wird, geschieht ihm das doch recht, oder?

Aufklärung als Lösung

Ethisch orientierte Chefs, die einen Nutzen in solchen Programmen sehen, könnten nach Ansicht von managementwissenonline.de wie folgt handeln: Sie klären die Mitarbeiter auf, welche Software sie nutzen oder einsetzen wollen, und ermöglichen es jedem Einzelnen, die Funktionen abzuschalten, die ihm nicht passen.
Die Alternative: Man verzichtet von vornherein darauf. Anstatt beispielsweise durch Analysesoftware herausfinden zu wollen, ob sich ein Mitarbeiter mit Abwanderungsgedanken trägt, könnte man regelmäßig mit ihm über seine Entwicklungswünsche reden. Dann wäre Spionage nicht nötig. Ähnliches beim Messen von Stress. Würde man sich einfach mit Mitarbeitern unterhalten, erführe man, wie es ihnen geht. Vermutlich aber glauben wir inzwischen Fitness-Armbändern eher als dem, was Menschen sagen.

Johannes Thönneßen, Geschäftsführer von managementwissenonline.de


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