Die ERP-Systeme in Unternehmen müssen sich massiv verändern, um mit neuen Anforderungen hinsichtlich der Digitalisierung Schritt halten zu können. Die monolithische Suite ist ein Auslaufmodell, die Zukunft gehört flexiblen Anwendungssystemen. [...]
Vielen Firmenverantwortlichen wächst die Komplexität rund um ERP derzeit über den Kopf. In aller Regel treibt das ERP-System als Herz die gesamte Enterprise-Software-Infrastruktur an. Doch an diesem für die Unternehmen lebenswichtigen Kreislauf hängen mittlerweile immer mehr flankierende Systeme. Nachdem sich in den vergangenen Jahren zunehmend Systeme wie CRM, ECM und Business Intelligence, aber auch E-Commerce- und Webshop-Anwendungen im Umfeld von ERP etabliert haben, erweitern sich die Software-Infrastrukturen derzeit um eine völlig neue Dimension mit neuen Herausforderungen.
Neue Techniken und Lösungen aus den Bereichen des Internet of Things (IoT) sowie Industrie 4.0 sorgen dafür, dass immer mehr Geräte, Produkte, Maschinen und Produktionsanlagen vernetzt werden. Das bedeutet allerdings auch, dass diese Systeme mit in die bestehenden IT-Infrastrukturen eingebettet werden müssen. Schließlich geht es darum, mit den neu hinzugewonnenen Informationen und entsprechenden Analysen einen Mehrwert für das eigene Business zu schaffen: Sei es durch einen effizienteren Produktionsprozess, besseren Service oder zusätzliche Erkenntnisse für die Entwicklung.
Für viele Unternehmen wird das Internet der Dinge 2016 Alltag, haben die Analysten von Gartner jüngst im Rahmen einer Studie herausgefunden. Zwar nutzt derzeit mit 29 Prozent noch weniger als ein Drittel der Unternehmen das IoT, doch deren Zahl wird in nächster Zukunft deutlich zulegen, so die Prognose. Wie aus den Antworten von 465 befragten IT- und Business-Managern hervorging, soll die Zahl der Organisationen, die IoT nutzen, in diesem Jahr um die Hälfte auf 43 Prozent wachsen, zusätzliche 21 Prozent planen die Einführung nach 2016.
Dabei liegt der Fokus der IoT-Projekte Gartner zufolge bei den bereits umgesetzten IoT-Vorhaben primär (52 Prozent) darauf, interne operative Prozesse zu verbessern, mehr Effizienz zu erzielen, Kosten einzusparen und die eigenen Anlagen besser auszulasten. Doch diese Ziele auch tatsächlich zu erreichen, ist alles andere als trivial. Anwender müssen sich im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge auch einer Reihe von Herausforderungen stellen. Teilnehmer, die bereits ein IoT-Projekt umgesetzt haben, sehen Cybersecurity, Integration und die Verwaltung von Geschäftsanforderungen als größte Probleme, während IoT-Neulinge die Orchestrierung der Workflows und Prozesse als größte Herausforderung nannten.
Die Ergebnisse der Gartner-Umfrage machen deutlich, dass die Unternehmen derzeit vor allem damit beschäftigt sind, IoT und Industrie 4.0 richtig in ihre bestehenden Prozesse und Infrastrukturen zu verankern. Bei dieser Aufgabe geht es aus Sicht der Analysten jedoch nicht allein darum, neue Technik an alte Technik anzuflanschen. Vielmehr müssten auch die bestehenden Systeme auf den Prüfstand und gegebenenfalls modernisiert werden, postulieren die Gartner-Analysten. Die steigende Komplexität erfordert eine moderne Integrationsstrategie, so das Credo der Analysten.
Gelingt es den Unternehmen nicht, die anstehenden Integrationsaufgaben strategisch anzupacken und in den Griff zu bekommen, drohen Komplexität und damit auch die Kosten aus dem Ruder zu laufen, warnen die Experten. All die Vorteile, die IoT und Industrie 4.0 versprechen, könnten damit zunichte gemacht werden. Ein solches Szenario ist aus Gartner-Sicht gar nicht so unwahrscheinlich. Die Analysten gehen davon aus, dass bis 2018 in neun von zehn Unternehmen eine Integrationsstrategie für die eigene Applikationslandschaft fehlen wird. Resultat: Unordnung, höhere Komplexität und höhere Kosten.
FLEXIBILITÄT VERSUS KOMPLEXITÄT
Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, sind Renovierungs- und Umbaumaßnahmen erforderlich. „Postmodernes ERP steht für einen fundamentalen Systemwandel“, sagt Gartner-Analystin Carol Hardcastle. Der Trend gehe weg von den monolithischen Mega-Suiten einzelner Anbieter hin zu lose gekoppelten und miteinander zu einem ERP-System verbundenen Funktionsbausteinen. „Eine solche Umgebung verspricht mehr Flexibilität und Agilität, aber eben nur, wenn es auch gelinge, die damit verbundene Komplexität in den Griff zu bekommen“, sagt Hardcastle.
Die Infrastruktur in den Unternehmen verändert sich also. Die Mehrheit der Organisationen operiert in hybriden Landschaften, die das Applikationsportfolio insgesamt komplexer machen. Gründe dafür sind neue Herausforderungen in Sachen Integration, Analytics und Governance. Die Verantwortlichen müssten sich darüber im Klaren sein, dass der Weg zu einem modernen ERP nicht einfach ist, mahnt die Gartner-Analystin. Den Organisationen mit ihren monolithischen ERP-Stacks fehle in aller Regel das notwendige Knowhow, agile ERP-Systeme aufzubauen und zu betreiben. Außerdem mangele es an einer Integrationsstrategie. Anzunehmen, dass die Softwarehersteller dafür sorgen, sei naiv, meint Hardcastle. Das tun die Anbieter nicht, und letzten Endes müssten sich die Anwenderunternehmen selbst darum kümmern.
Gefahren, sich bei der Modernisierung zu verzetteln, drohen aus Sicht Gartners auch noch an anderer Stelle. Derzeit würden etliche Unternehmen bimodale IT-Strukturen etablieren und die überwiegende Mehrheit der anderen würde in den kommenden drei Jahren folgen. Das heißt, ein Teil der IT kümmert sich möglichst effizient um den Legacy-Betrieb, wo sich wenig verändert. Der andere Teil agiert wendig und flexibel, um möglichst zügig neue Techniken in Betrieb zu nehmen, die auch schnell das Business unterstützen beziehungsweise neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.
BIMODALES RISIKO
Soweit zumindest die Theorie. In der Realität tauchen oft Probleme auf. Nicht weil es zu schnell geht, sondern weil die Unternehmen nicht genau wissen, welchen Modus sie welchem IT-Bereich zuweisen sollen. Die Risiken im Zuge einer schlampigen Bimodal-Zuweisung – gerade auch hinsichtlich der unternehmenskritischen Kernsysteme – dürfen Gartner zufolge nicht unterschätzt werden. Fehler und Fehlfunktionen organisatorischer, technischer oder prozessualer Natur im ERP-Backbone könnten die Folge sein und damit das gesamte Geschäft eines Unternehmens in Schieflage bringen.
Auch wenn es sicherlich nicht einfach wird: Alle Studien und Umfragen deuten darauf hin, dass die ERP-Systeme in den Unternehmen vor massiven Veränderungen stehen. Im Mittelpunkt aller Bemühungen dürfte die alles entscheidende Frage stehen: Wie wird das ERP-System fit für die anstehende Digitalisierung? Die Lösungen werden von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich aussehen. Der Grad der Digitalisierung in den eigenen Prozessen und Geschäftsmodellen dürfte großen Einfluss darauf haben, inwieweit die Kernsysteme angepackt und verändert werden müssen.
Genauso gilt es zu überlegen, wie weit verzweigt das ERP in die verschiedenen Unternehmensbereiche hineinreicht und welche Altlasten – technischer wie prozessualer Natur – daran hängen. Für die Verantwortlichen gilt abzuschätzen, ob sich eine Modernisierung des gesamten Systems lohnt oder ob nicht besser der Legacy-Teil abgekapselt und mit möglichst wenig Aufwand am Laufen gehalten wird. Modernisierungen könnten dann mit neuen Apps umgesetzt werden. Doch dafür braucht es eine Plattform, auf der sich diese Anwendungen schnell und flexibel entwickeln sowie mit dem bestehenden ERP-Kern verknüpfen lassen.
Martin Bayer|Computerwoche
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