Martin Hinz, Co-CEO von ConVista Faktor Zehn, erzählt im COMPUTERWELT-Interview wie die Digitalisierung die Versicherungsbranche verändert, was Journey Analytics kann und wie eine Core Transformation der IT-Systeme Unternehmen in die Zukunft führt. [...]
Lassen Sie uns allgemein beginnen: Wie hat in den letzten Jahren aus Ihrer Sicht die Digitalisierung die Versicherungsbranche und das Softwarebusiness verändert?
Aus meiner Sicht geht es um drei Bereiche. Spannende Entwicklungen gibt es in Sachen Customer Engagment und Verbesserung der Customer Experience. Die Digitalisierung bringt die Kundenkommunikation und das Kundenerlebnis auf den nächsten Level. Der zweite Bereich betrifft die digitale Transformation der IT-Systeme in Unternehmen, die Core Transformation. Viele Unternehmen nutzen sogenannte Legacy-Anwendungen, die vor 20 Jahren entwickelt wurden, deren Lebenszyklus nun aber dem Ende zugeht. Heute braucht es Systeme mit höherer Flexibilität und niedrigen Betriebs- und Wartungskosten. Teil drei betrifft die Entwicklung neuer Produkte und Ideen. Ein Beispiel wären die „Pay as you drive“-KFZ-Versicherungen, die auf Echtdaten des Autofahrers basieren. Ähnliches entsteht aktuell bei Haushaltsversicherungen, die das Internet of Things nutzen, auf Sensoren in Wohnungen setzen. Da gibt es eine große Spielwiese für Trends. Das Volumen ist überschaubar, aber immer mehr Unternehmen bringen sich in Position.
Ein weitere Entwicklung ist, dass Konsumenten sich informieren, besser Bescheid wissen und unabhängiger agieren. Da sind wir auch gleich beim Thema Customer Journey. Wie begegnen Versicherungen dieser Entwicklung?
Ja, der Markt ist heute kompetitiver, die Menschen sind besser informiert und eher geneigt ihren Anbieter zu challengen oder gar zu wechseln. Ein zukunftsweisender Bereich ist daher die Verbesserung der Customer Journey durch Analytics-Methoden. Sehen Sie, wir als Software-Dienstleister haben uns in den letzten 20 Berufsjahren darauf fokussiert Prozesse aus der Sicht des Versicherungsunternehmens effizienter zu gestalten. Dabei ging es um die Optimierung der Antrags- und Schadensbearbeitung, aber auch darum den schnellsten Weg zum Jahresabschluss zu finden. Heute geht es um einen sehr kundenzentrierten Ansatz.
Also um positive Kundenerlebnisse, die diesen an das Unternehmen binden.
Und das egal ob in der Kommunikation mit dem Außendienstmitarbeiter, beim Anruf im Servicecenter, bei der Zustellung der Rechnung oder bei der Nutzung der Website. Journey Analytics sind jetzt der Werkzeugkasten, der alle Touchpoints auf der Customer Journey unter die Lupe nimmt. Ein Messinstrument, das Kundenerlebnisse verbessert. Ein Beispiel: viele Kunden starten einen Prozess im Internet, kommen dann aber nicht weiter und rufen im Callcenter an, das sie wieder weitervermittelt an den persönlichen Vertriebsmitarbeiter. Der Kunde ist unzufrieden, weil im Grunde wollte er seine Anfrage online erledigen. Genau da schauen Journey Analytics hin – durch die Analyse der Daten, es geht hier immer um Big Data-Lösungen, wird klar, an welcher Stelle im System der Kunde gescheitert ist. Das geht soweit, dass die Analyse zeigt, hoppla, da will ein Kunde seine Versicherung stornieren, vielleicht wollen wir da aktiv eingreifen und eine Lösung anbieten.
Sind diese Anwendungen in Österreich schon in der Realität angekommen?
Sie finden punktuell statt. Journey Analytics sind ein starker Trend in den USA, wo wir auch eine Tochter haben und daher ganz nah an den Entwicklungen dran sind. Wir sammeln erste Erfahrungen. Journey Analytics und auch die Software für die Umsetzung kommt aus der Luftverkehrs- und Telekommunikationsbranche. Anfangs lag der Fokus sehr stark auf der reinen Analyse der Website. Wir empfehlen unseren Kunden jedoch alle Touchpoints kanalübergreifend zu integrieren und zu beobachten.
In welcher Form wird die DSGVO Big Data-Anwendungen wie Journey Analytics beeinflussen oder auch verhindern?
Datenschutz ist seit jeher ein Thema und natürlich müssen sich Unternehmen an Bestimmungen halten. Bei Journey Analytics wird man auf die Art der Cloudlösungen achten müssen. Aber Journey Analytics arbeiten mit anonymisierten Daten – da der Versicherer ja allgemeine Verhaltensweisen erkennen will. Das heißt hier wird für Datensicherheit gesorgt. Aber trivial sind diese Prozesse natürlich nicht. Relevant ist, dass Identitäten nicht zurückverfolgt werden können.
Für die »Pay as you drive«-Produkte ist das wohl schwieriger.
Da ist natürlich Vorsicht geboten. Auch wenn zum Beispiel erkannt wird, dass der Kunde ein Produkt stornieren will und der Außendienstmitarbeiter meldet sich bei ihm und fragt nach. Natürlich sind die Kunden sensibel, vor allem, wenn sie bemerken, dass sie getrackt und beobachtet werden. Unsere Berater sind zu diesen Themen geschult und wir sind in stetiger Kommunikation und Diskussion mit den Kunden. Das Ziel bleibt es die Kundenzufriedenheit und so die Kundenbindung zu erhöhen.
Wie groß ist die Gefahr, dass etablierte Versicherer durch Insurtechs ausgebootet werden?
Diese setzen meist nur auf digitale Kanäle, machen valide Angebote und arbeiten rein mit Apps und Websites. Etablierte Versicherer hingegen haben neben einer starken Marke auch die persönliche Beratung zu bieten. Die Loyalität zu den bekannten Unternehmen und zum eigenen Vertriebsberater ist hoch – auch in Österreich. Das wissen wir. Außerdem sind Versicherungen oft komplizierte Produkte und sehr beratungsintensiv – denken Sie an Krankenversicherungen, Versicherungen für Kleingewerbe oder Privatschutzbündelprodukte. Dafür braucht es Menschen.
Die ConVista Faktor Zehn bedient in erster Linie die Versicherungsbranche?
Da besitzen wir jahrelanges Knowhow – wir sind Spezialisten auf der technischen und der Systemebene und in der Methodik. Aber natürlich finden unsere Software-Programme und IT-Systeme auch Eingang in andere Branchen. Journey Analytics sind ein schöner Mehrwert für unsere Kunden. Es ist sehr einfach erste Usecases aufzusetzen, selbst mit den aktuellen Systemen für Callcenter, CRM, den Außendienst. Gemeinsam mit dem Kunden definieren wir relevante Ziele, lassen die Daten über eine Cloudlösung laufen und nach drei Monaten kann man bereits zählen, messen, wiegen und hat erste Ansätze für Verbesserungen.
Braucht es für diese neuen Anwendungen neue Fähigkeiten in den Unternehmen, um die Ergebnisse zu verstehen und zu deuten?
Die Unternehmen sollten wissen, was sie analysieren wollen. Aber im Grunde kennen Versicherer die Praxis der Datenanalyse sehr genau, sie haben seit jeher sehr versierte Mathematiker.
Wenn Sie nun die drei erwähnten drei Bereiche betrachten, wo liegt ihr Schwerpunkt?
Den überwiegende Teil unseres Geschäftes macht die Core Transformation und die Erneuerung der alten Systemwelten aus. Das sind umsatzmäßig die dicken Projekte – schließlich laufen diese über viele Jahre, sind sehr beratungsintensiv und verlangen nach spezialisiertem Know-how für Software- und SAP-Produkte. Die Erneuerung der Core-Systeme ist auch Enabler für neue Produkte, die Umsetzung von Journey Analytics, den Einsatz erster Jetbots und mobiler Anwendungen. Die Systeme im Hintergrund haben großen Einfluss auf den Kontakt zu den Customern und damit auf positive Kundenerlebnisse, die heute im Zentrum unserer Arbeit stehen.
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