ERP neu gedacht

Welche ERP-Erfolgsmodelle gibt es im Zeitalter von Cloud und KI und wie können sich Unternehmen mit den neuen Möglichkeiten gut für die Zukunft rüsten? Darüber hat die COMPUTERWELT mit zehn Experten eingehend diskutiert. [...]

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An der Diskussion nahmen teil: Josef Höckner, Sabine Pfriemer-Zenz, Bernd Lessmann, Christian Leopoldseder, Markus Neumayr, Christine Wahlmüller-Schiller, Oliver Krizek, Michael Sander, Thomas Schenk, Alexander Müllner-Gilli und Markus Hauswirth. (c) timeline – Rudi Handl

Im Zuge der Digitalisierung müssen auch ERP-Systeme angepasst werden. Die Frage ist nur, wie das erfolgreich passieren kann und welche Lösungen es dafür am Markt gibt? In der letzten Trovarit Studie“ERP in der Praxis“ etwa werden 460 am Markt verfügbare ERP-Systeme genannt. Wer sich allerdings einmal für ein System entschieden hat, bleibt oft sehr lange dabei. Laut Studie werden vor allem traditionelle Ziele wie rascher Zugriff auf mehr Informationen, gute Usability, Optimierung, Automatisierung und Integration von Prozessen von den Unternehmen genannt. Gefragt nach der Relevanz aktueller Themen und Trends steht unangefochten Daten- und Informationssicherheit auf Platz eins, gefolgt von Data Management, rechtlichen Vorgaben/Compliance, Usability, Mobiler Einsatz von ERP-Systemen und Cloud Computing. Immerhin wollen nahezu die Hälfte der befragten 2.200 Unternehmen in ihr ERP-System investieren. Aber der Wechselwille ist nach wie vor gering: Es geht dabei nicht um ein neues System, sondern meist um die Erweiterung oder Modernisierung der bestehenden ERP-Lösung.

„Ich denke aber, dass die Begriffe ERP und CRM a la longue in Vergessenheit geraten werden, weil die Systeme sämtliche Funktionalitäten abdecken. Das moderne System muss Cloud-fähig sein, es muss flexibel sein. Es muss die Fähigkeit haben, auch Apps und neue Technologien anzubinden, es muss schlanker werden. In Zukunft werden wir daher von einer Geschäftslösung sprechen“, zählt Oliver Krizek, Geschäftsführer der NAVAX Unternehmensgruppe, auf. Das Systemhaus mit Zentrale in Wien ist einer der größten Microsoft Dynamics Partner Österreichs und beschäftigt derzeit 230 Mitarbeiter.

„Weniger Schlagworte, sondern mehr den Kunden in den Fokus rücken – das sei das Gebot der Stunde.“ Wenn es um ERP-Erfolgsmodelle geht, müsse man bei den Kunden-Anforderungen und Wünschen beginnen, meint Sabine Pfriemer-Zenz, Head of Sales Mittelstandskunden & Partnergeschäft beim ERP-Marktführer SAP in Österreich, und nennt drei Punkte:“Der Kunde will eine erhöhte Wertschöpfung erzielen, er will Transparenz in seinen Geschäftsprozessen haben, und er möchte eine erhöhte Flexibilität hinsichtlich seiner bestehenden Systeme um eben Technologien wie künstliche Intelligenz besser nutzen zu können – vollkommen unabhängig davon, welche Größe das Unternehmen hat.“

SAP forciert in diesem Zusammenhang das Schlagwort der Transformation zum“Intelligent Enterprise“: „Ein intelligentes Unternehmen verbindet menschliche und maschinelle Intelligenz über alle Geschäftsfunktionen und schafft so durchgängig Mehrwert, vor dem Hintergrund routinemäßige Tätigkeiten zu automatisieren“, erklärt Pfriemer-Zenz. „Jeder Kunde hat natürlich ein anderes Tempo und einen anderen Reifegrad. Man muss daher schauen: Wo steht der Kunde heute? Alles nur auf ein Erfolgskonzept herunter zu brechen, wäre nicht zielführend. Es gibt viele ERP-Erfolgsmodelle. Wir geben unseren Kunden Zugang zu den Vorteilen integrierter Cloud-Technologien und helfen damit Unternehmen, digital, intelligent und wettbewerbsfähiger zu werden.“

Innovationsdruck steigt

Thomas Schenk, bei Tieto für den SAP-Bereich verantwortlich und seit 20 Jahren im SAP-Consulting-Bereich tätig, ergänzt drei weitere Punkte: „Das ERP muss die Möglichkeit haben, eine hybride Architektur aufzubauen. Zweitens: Das System muss offen sein, es muss einfach Schnittstellen geben, um auch mit anderen Systemen sprechen zu können. Drittens: Auch der Anbieter des ERP-Systems muss Innovationskraft haben. Das heißt, er muss schnell neue Themen und neue Technologien in sein ERP-System mit hineinbringen. Die Zyklen werden immer kürzer, es reicht nicht mehr aus, wenn ein Update nur einmal im Jahr stattfindet. Darüber hinaus ist Internationalisierung zunehmend von Bedeutung, immer mehr Unternehmen sind international tätig.“

Christian Leopoldseder, Geschäftsführer des ERP-Herstellers Asseco, betont: „Es fallen in den Prozessen und Systemen immer mehr Daten an. Diese Daten zu handeln, zu verarbeiten, zu verstehen und damit entsprechende Analysen zu fahren – Stichwort Predictive Analytics oder Anomalie-Erkennung – das sind Themen, die aktuell spannend und Basis für weitere Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz sind. Ich glaube generell, dass der Bereich KI im Industrieumfeld ein Bereich ist, der von den Chinesen und Amerikanern noch nicht besetzt ist – da haben wir in Europa große Chancen. Die Datenmengen aus den Töpfen Industrie 4.0, aber auch aus dem ERP-Datenbestand sind da – aber jetzt müssen wir den nächsten Schritt gehen“, fasst der Asseco-Chef zusammen. Asseco betreut heute rund 150 Kunden in Österreich.

„ERP braucht heute noch nicht das Thema künstliche Intelligenz, es braucht nicht unbedingt die Cloud. Es kann auch anders erfolgreich sein. Das heißt nicht, dass man es negieren soll, im Gegenteil, man sollte es sehr ernst nehmen. Aber man muss auch sehen, wie wenig von den ERP-Funktionalitäten eigentlich manche Kunden nutzen“, ist Michael Sander, Geschäftsführer von proALPHA in Österreich und Ungarn, andrer Meinung. Er rät dazu, „am Boden zu bleiben und das vorhandene System mehr und besser zu nutzen. Um ein modernes ERP-System zu haben, auf das man aufbauen kann, ist es wichtig, dass das System sowohl die branchenüblichen Prozesse schlank und effizient abbilden kann, als auch die Kopplung an Fremdsysteme ermöglicht. Wir agieren nicht als Breitband-Antibiotikum am Markt, sondern sehr spezifisch in Branchen, die wir gut kennen und gut beraten können und von denen wir wissen, dass unser Produkt für diese Branche gut geschaffen ist.“ Das sind in proALPHAs Fall vor allem mittelständische Fertigungsbetriebe.

An den Usern orientieren

Josef Höckner, CTO bei Fujitsu, verweist zunächst auf die interne Erfahrung: „Wir machen gerade eine globale ERP-Konsolidierung und -Umstellung. Was viele nicht wissen: Wir haben mit Glovia eine eigene ERP-Lösung für den Manufacturing-Bereich, womit wir auch unsere eigenen Werke abbilden, verbunden mit dem globalen ERP-System.“ Wie Sander hält auch Höckner Modularität und Verbundenheit der Systeme für sehr wichtig, „und vor allem, dass die Lösungen nach dem Bedürfnis der Kunden und der einzelnen User gestaltbar sind, damit sich im Optimalfall jeder seine eigene Arbeitsweise abbilden kann – Schlagwort Microservice-Architektur.“

Markus Hauswirth, bei T-Systems Österreich für den SAP-Bereich verantwortlich, sieht Handlungsbedarf: „Der Begriff ERP wird wohl nicht sterben, aber die Systeme müssen sich ändern: Wir brauchen eine Vereinfachung in der Architektur, wir müssen dafür sorgen, dass wir die Daten zwischen den einzelnen Systemen gut und einfach austauschen können und den Kundenfokus stärker in Betracht ziehen.“ Laut Hauswirth müsse auch der einzelne User mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, denn“er muss mit dem System rasch und gut zu Recht kommen, um auch der Firma den Mehrwert zu bringen. Wenn man sein System umstrukturiert, umbaut oder ein neues System aufsetzt, sollte man jedenfalls seine Mitarbeiter hier gut mitnehmen und ihnen die Möglichkeit geben, die Funktionalitäten voll auszuschöpfen.“ Eine Äußerung, der sich alle Teilnehmer anschließen: Wer seine Mitarbeiter von Anfang erfolgreich mit ins Boot holt, wenn es um Veränderungen oder gar ein neues System geht, hat schon viel erreicht.

Eigene Prozesse überdenken

„Modularität ist wohl eines der Schlagwörter, das wir suchen, wo man besser auf den User zugehen kann. Es sollte ja möglichst ein No-Learning-System sein, wo der Benutzer selbst das System verwenden kann, ohne ein großartiges Training zu absolvieren. Aber gleichzeitig muss nachgedacht werden, welche Prozesse in Zukunft noch sinnvoll sind. Die meisten Unternehmen, die ich kenne, die tatsächlich Schwierigkeiten hatten, ein ERP-System einzuführen, waren die, die auf ihre Prozesse bestanden haben und in wenigen Fällen die Prozesse sogar an das ERP-System angepasst haben“, schildert Alexander Müllner-Gilli, Geschäftsführer bei Sycor in Österreich, einem globalen Unternehmen, das sowohl Microsoft als auch SAP-Business-Lösungen anbietet. Standardisierte und Branchenlösungen seien sicher empfehlenswert, „trotzdem muss man aber dem eigenen Unternehmen die Möglichkeit geben, sich am Markt zu differenzieren, speziell im Bereich der Automatisierung und Semi-Automatisierung, das wird noch so gut wie gar nicht verwendet. Da wird noch viel zu viel manuell gemacht.“ Zur Cloud-Thematik meint der langjährige ERP-Experte: „Vor zehn Jahren haben wir gehört: Aus Sicherheitsgründen gehen wir nicht in die Cloud. Mittlerweile gibt es sehr viele Unternehmen, die sagen: Aus Sicherheitsgründen gehe ich in die Cloud – da hat es einen echten Mind Change gegeben.“ Gerade bei großen Anbietern wie etwa Microsoft oder SAP werde in punkto Cloud ein hohes Maß an Sicherheit garantiert.

Dem widerspricht Markus Neumayr, Geschäftsführer des österreichischen ERP-Herstellers Ramsauer & Stürmer (R&S) aus Salzburg: „Die Cloud ist nicht das Allheilmittel, sondern die Cloud ist heute für den Großhersteller der Weg, seine Komplexität in den Griff zu bekommen. Wir haben heute Lösungen, die Release-fähig sind, die an den User anpassbar sind und die die Komplexität nicht mehr in der ERP-Oberfläche erscheinen lassen. Wesentlich ist: Was kann das Produkt in der Komplexität reduzierend für den User machen, um entsprechend Automatisierung gewährleisten zu können.“ Wichtig sei das Ziel, eine Gesamtplattform für das Unternehmen zu schaffen. „Hier sollte der Prozess der Datenhaltung, der Kommunikation, der Unterstützung auch in den Abläufen der Mitarbeiter im Vordergrund stehen. Aber wir haben alle ein riesiges Problem: Wir haben eine hohe Komplexität im Alltag unserer Anwendungen. Genau darum geht es: Komplexität herausnehmen, reduzieren – und ein ERP System sollte wirklich komfortabel sein.“

Für Bernd Lessmann von ams.erp Solution, einem ERP-Spezialisten, der seit mittlerweile 32 Jahren am Markt ist, zählt gute Beratung ganz klar zu den Erfolgsfaktoren: „ams steht für Auftragsmanagement-System mit einer ganz gezielten Fokussierung auf die Einzel-Auftrags- und Varianten-Fertigung. Wir sehen das ERP-System als zentrale Datendrehscheibe im Unternehmen. Das heißt, es muss offen sein, um schnell andere Systeme anbinden zu können. Was aber oft vergessen wird, ist, dass zu einem erfolgreichen Projekt immer die Themen Beratung und Implementierung gehören. Ein Projekt wird in erster Linie von Menschen für Menschen gemacht, weshalb wir uns auch sehr stark darauf konzentriert haben, einen zentralen Beratungsansatz zu entwickeln.“

Alle Teilnehmernamen auf einen Blick

  • Oliver Krizek, CEO NAVAX
  • Sabine Pfriemer-Zenz, Head of Sales M & P, SAP
  • Thomas Schenk, Lead Business Dev. SAP, Tieto Austria
  • Markus Hauswirth, Head of PU SAP AT, T-Systems
  • Markus Neumayr, CEO Ramsauer & Stürmer
  • Michael T. Sander, CEO proALPHA (Österreich, Ungarn)
  • Josef Höckner, CTO Fujitsu
  • Christian Leopoldseder, Managing Director Austria, Asseco Solutions
  • Bernd Lessmann, Vertriebsleiter ams.erp Solution
  • Alexander Müllner-Gilli, CEO SYCOR Österreic

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