Martin Giesswein ist vom Topmanager in der Corporate World in die völlig andere Welt der Startups gewechselt. Heute kümmert er sich nur noch um jene Projekte, die ihm auch Spaß machen. Das Interview in voller Länge finden Sie auf Computerwelt.at. [...]
Im COMPUTERWELT-Interview verrät Giesswein, wie sich der Führungsstil der Corporate World gerade verändert, wie man erfolgreich verteilte Mitarbeiter führt und wie man als EPU erfolgreich ist.
Sie haben eine Blitz-Karriere bei Nokia hingelegt. Warum haben Sie nicht in der Corporate World weitergemacht, sondern sich für den Schritt in die Selbständigkeit entschieden?
Martin Giesswein: Schon während meiner Tätigkeit in der Corporate World habe ich versucht, nebenbei unternehmerisch tätig zu sein. Nokia hat mir das sogar ganz offiziell in geringem Ausmaß erlaubt. Ich habe eine kleine Vereinigung gegründet, das Society Institute, wo es darum gegangen ist, mit Experten zu besprechen, was die Zukunft bringt und wie wir uns auf die Digitalisierung einstellen müssen. Oder wie sich das Führungsverhalten in großen Unternehmen ändern muss, damit man mit dislozierten Mitarbeitern, mit der Generation Y und unterschiedlichen Gliedern der Gesellschaft zusammenarbeiten kann. Konzerne stehen vor der Herausforderung, in der internationalen Wirtschaft immer agiler reagieren zu müssen, aber die Strukturen dafür noch nicht zu haben.
Was tut sich denn Ihrer Erfahrung nach derzeit in den großen Firmen? Gibt es bereits Best Practices, sich an die neue Arbeitswelt anzupassen und dislozierte Mitarbeiter einzubinden?
Meine Erfahrung ist, dass sich Unternehmen im Bereich des neuen Arbeitens mehr und mehr anpassen. In den zwei Jahren, in denen ich für Nokia in Deutschland gearbeitet habe, kam der Begriff der „Vertrauens-Arbeitszeit“ auf. Man stellt also Personen ein, von denen man annimmt, dass sie eine gute intrinsische Motivation haben, diesen Job in einem Konzern zu machen. Und dann ist es nicht mehr die Aufgabe, diese Personen zeit- oder ortsmäßig zu kontrollieren, sondern nur mehr aufgrund der Leistungen, die sie erbringen. Da ist es so, dass man mit althergebrachten Mitteln wie dem variablen Gehalt und der Erfolgsbeteiligung bis hin zum Abgeben von Aktien an führende Mitarbeiter eine Situation schafft, wo ein unternehmerischer Geist geweckt wird – und das funktioniert sehr gut. Traditionelle Führungspersönlichkeiten, die noch in der „Command- and-Control“-Welt der Achtziger- und Neunziger-Jahre aufgewachsen sind, haben es tendenziell eher schwer, sich umzustellen und neuen Mitarbeitern diese Freiheit zu geben, die sie sich wünschen. Das Führungsverhalten in der neuen Welt verändert sich zu einem Ermöglichen bis hin zu einem Coachen der Mitarbeiter. Die Strategie des Unternehmens wird übersetzt in die Ziele der einzelnen Abteilung, so dass man das Gefühl vermittelt, dass alle zu einem Größeren beitragen. Das ist, glaube ich, sehr wichtig. Und die neuen Technologien als Grundlage dafür sind jetzt vorhanden, von Telefonkonferenzen bis hin zu mobilem Zugriff auf alle Daten des Unternehmens.
Die zweite Entwicklung ist, dass sich auch das Marketing und der Umgang mit Kunden sehr verändert haben. Viele Marketiers mussten umlernen, um vom Push, wie gut das Unternehmen ist, zu einem echten Dialog mit Kunden und Partnern zu kommen und eher darzustellen, was der Nutzen für den Einzelnen ist. Diese Entwicklung ist sicher noch nicht abgeschlossen, wird aber durch mündige Kunden via Social Media sehr gepusht. Das ist eine sehr wohltuende Entwicklung, weil sie die Hoffnung in sich trägt, dass Unternehmen auf Augenhöhe mit Kunden und Partnern kommunizieren und das zu einem langfristigen und nachhaltigen Erfolg führt.
Ich würde gerne noch einmal auf die dislozierte Arbeitsweise zurückkommen. In wie vielen Unternehmen ist das tatsächlich schon ein ernsthaftes Thema, und wie weit geht das?
Ich glaube, dass viele börsennotierte Unternehmen, vor allem jene mit Headquarter in Amerika, diesbezüglich am weitesten sind. Ich selber habe es so erlebt, als ich als Marketing Direktor CEE für ca. 25 Mitarbeiter in 17 Ländern zuständig war. Es war gar nicht mehr möglich, physisch zu führen, sondern wir mussten einen sinnvollen Mix etablieren aus E-Mail-Kommunikation, Instant Messaging/Chatten und Management by SMS. Man musste es Mitarbeitern ermöglichen, Entscheidungen zu treffen, die über ihren Bereich hinausgingen. Das hat viel mit Vertrauen zu tun, aber auch mit schnellem Reagieren und immer Erreichbarsein. Das ist die Voraussetzung, damit disloziertes Arbeiten funktioniert. Das bedeutet aber nicht, dass man völlig enthoben ist von Reisen. Ganz wichtig bleiben teambildende Elemente, wie das monatliche Zusammentreffen und das persönliche Reden.
Das Tollste, was einem Manager in so einer Organisation passieren kann, ist dass der Mitarbeiter auch ein wenig nach oben hin führt. Etwa, dass er sagt: „Du kennst dich in meinem Markt nicht so gut aus, ich verstehe aber die Unternehmensstrategie, die du mir erklärt hast, und jetzt versuche ich, sie eigenverantwortlich umzusetzen.“ Und wenn es etwas gibt, wo ich anstehe oder wo ich etwas brauche, habe ich die Möglichkeit, das über Landesgrenzen hinweg auszudiskutieren und zu klären.
Sie sprechen in erster Linie vom Management-Bereich. Glauben Sie, dass sich diese Arbeitsweise auch in weniger verantwortungsvollen Positionen durchsetzen wird?
Ich spreche natürlich immer von einem Ausschnitt, wo man von „White-Collar“-Arbeit spricht, also von Personen, die einen längeren Bildungsweg gehabt haben und intrinsisch motiviert sind, Karriere oder einen guten Job zu machen. Die Grundaufgabe der Führungskraft ist es, solche Mitarbeiter zu finden, die dann so zum Unternehmenserfolg beitragen. Das sind dann oft Personen, die selber keine Führungsverantwortung haben, aber ihre Aufgabe gut machen wollen.
Diese Personen führen ja auch z. B. als Experte oder über Projekte, deshalb ist es ganz wichtig, in diesen virtuellen Organisationen den Leuten Aufstiegsmöglichkeiten oder neue Betätigungsfelder zu geben, ohne dass es um Management geht – eher im Sinne von Mastery: Ich bin der beste Produkt-Manager in meinem Gebiet und werde deshalb von Kollegen gefragt und bekomme so Reputation und Sinnerfüllung. Oder einfach – und das muss sehr propagiert werden in solchen dislozierten Organisationen – abgeschlossene einzelne Projekte im Gegensatz zu einer Prozess-Organisation. Und plötzlich steigt die Agilität des ganzen Unternehmens, auch wenn die Menschen nicht zusammensitzen.
Natürlich gibt es hier auch Schattenseiten, wo die Leute gar nicht Verantwortung übernehmen wollen, nicht genug ausgebildet sind oder nicht genug Unterstützung bekommen. Und dann gibt es auch Situationen, wo Menschen stundenlang in Konferenzen hängen, sich nicht eingebunden fühlen und auch nichts beitragen können und dann via Social Media schreiben: „Herrlich, wieder so eine Telefon-Konferenz mit zwei Stunden intensivem Schlaf für mich“. Da ist es dann wichtig, mit den Personen zu reden. Wir sind dann draufgekommen, dass es viel besser wäre, diese Person, die eine Experten-Rolle innehatte, nur zu bestimmten Punkten kurz einzubinden. Da muss man sich permanent selbst adaptieren. Der Trend geht hin zu einem Beachten und Erlauben von Individualität.
Wofür begeistern Sie sich momentan?
Ich bin draufgekommen, dass ich nicht so gut bin im Optimieren von Bestehendem. Ich bin dann gut, wenn etwas Neues entsteht. Da lebe ich nach meiner eigenen Regel, den drei Cs: Combine, Create, Connect. Ich versuche Komponenten, die da sind, zu kombinieren und etwas Neues daraus zu entwickeln. Gerade in der digitalen Welt gibt es viele bestehende Infrastrukturen, die man erfolgreich miteinander verbinden kann. Das ist oft ein kreativer Akt. Aber das Allerwichtigste und das, was mir am meisten Spaß macht, ist es, die richtigen Leute zusammenzuführen bzw. an die richtige Stelle zu setzen. Im Endeffekt ist jede Technik und jedes Businessmodell gleichgültig, wenn nicht die richtigen Leute an der richtigen Stelle sitzen.
Dafür brenne ich und das ist auch eine konkrete Dienstleistung. Ich nenne sie Business Design, das ist ein Zusammenführen von Bestehendem in neuen kreativen Modellen. Dann mache ich auch Digital-Kampagnen oder Projekte, wo es um die Weiterführung von Städten hin zur Smart City geht. Ohne Vermessen sein zu wollen, kommt es mir dann doch oft so vor, als wäre die Geschäftswelt eine Kunst.
In welcher Form?
Nach meiner eigenen Erfahrung gibt es eine Allergie gegen den Begriff „Berater“. Jemand kommt und berät über etwas, das er selbst vielleicht noch gar nicht gemacht hat, und erhält dafür Geld, ohne Risiko tragen zu müssen. Deshalb versuche ich es für mich anders. Ich habe in Startups investiert und beteilige mich am Risiko mit Erfolgsprämie. Und dann gibt es auch Projekte, die man selbst kreiert und dann Verbündete sucht.
Das ist das Tolle an EPU: Dass man mit einem guten Netzwerk schnell Menschen mit unternehmerischem Denken zusammenführen kann. Dann macht man ein Projekt für eine Zielgruppe und muss dieses Risiko natürlich auch nehmen wollen.
Das Gespräch führte Roland Kissling.
Martin Giesswein
Martin Giesswein hat eine Blitz-Karriere bei Nokia bis hin zum General Manager hingelegt. Danach hat Giesswein erfolgreich Immobilien.net an die Scout24 Group verkauft. Heute ist er in mehreren Projekten als Ein-Personen-Unternehmen (EPU) tätig und sehr aktiv in der heimischen
Startup-Szene.
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