»Es mangelt uns nicht an Ideen«

Im Rahmen des Fujitsu Forums sprach die COMPUTERWELT mit Wilhelm Petersmann, Geschäftsführer Fujitsu Schweiz und Österreich und Head of Financial Services Vertical, CEE, über Fachkräfte, Märkte und Geschäftschancen durch KI und Digital Annealer. [...]

Wilhelm Petersmann
Wilhelm Petersmann, Geschäftsführer Fujitsu Österreich und Schweiz, über die Gefahren des Telearbeitens und die Möglichkeiten, sich jetzt und in Zukunft vor Cyberangriffen zu schützen. (c) Fujitsu

Auf dem Fujitsu Forums sagte Rupert Lehner, Head of Central and Eastern Europe, Products Europe und Managing Director Germany bei Fujitsu, dass man versuche Mitarbeiter aus der Region, in der man tätig sei, anzustellen. Hier erstaunte mich Rupert Lehner mit der Aussage, dass Fujitsu quasi vor lauter Bewerbungen überschwemmt werde. Wie geht das mit dem vielzitierten Problem des Fachkräftemangels? Wie viele Leute suchen Sie in der DACH-Region?
Wir haben für dieses Geschäftsjahr (Anm., es läuft wie bei japanischen Unternehmen üblich bis Ende März 2020) in der DACH-Region 280 neugeschaffene Stellen, wobei bis Anfang November rund 140 Leute eingestellt wurden. Insbesondere bauen wir stark den Bereich Connected Services aus. Dazu zählt z. B. Smart Security, also beispielsweise eine Videoüberwachung von einer U-Bahn-Station. Fällt eine Person auf das Gleis, wird durch Bilderkennungssoftware automatisch über Funk oder GPS ein Alarm ausgelöst und der Zug gestoppt. Das ist Smart Security. Oder das Erkennen von »verwaisten« Gepäcksstücken an neuralgischen Punkten wie Flughäfen, wo dementsprechend ebenfalls ein Alarm ausgelöst werden kann.

Wir haben zehn primäre Connected Services definiert. Bei diesen Lösungen übernehmen wir Technologien von unserem Mutterkonzern und bringen diese dann in den Markt – natürlich immer nach kultureller Kompatibilität. Denn es können nicht alle Lösungen, die in Japan erfolgreich sind, auch im mitteleuropäischen Raum verwendet werden. Das hat manchmal technologische Gründe wie etwa bei Smart-Metering-Lösungen, die auf japanischen Telekommunikationsstandards basieren. Damit ich diese in der DACH-Region nutzen kann, müsste die Middleware auf unsere Standards umgeschrieben werden.

Tatsächlich haben wir sehr viele Bewerbungen und haben sogar eine eigene Bewerbungsabteilung mit zehn Recruitern für Bewerbungen in der DACH-Region aufgebaut. Dabei nutzen wir verschiedene Kanäle wie Social Media, Hochschulen, wir arbeiten mit ausgewählten Personalvermittlern oder Headhuntern zusammen. Das Thema Fachkräftemangel merken wir ebenfalls. Es stimmt, wir haben über 10.000 Bewerber gescreent, aber um die Guten auszuwählen, die auch von der Einstellung her gut zu uns passen, muss man sich sehr viele Leute ansehen. Wir legen einen hohen Maßstab an zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ist in Sachen Bildung nicht auch die Politik gefordert? Und vielleicht die Unternehmen?
Ja. Fujitsu bietet auch Praktikantenstellen an, für Leute, die neben einem Studium der Wirtschaft, Informatik oder Ähnlichem nebenberuflich arbeiten wollen. Solche Modelle fördern wir, um auch an junge Talente zu kommen. Das gilt gleichermaßen für die Schweiz, Österreich und Deutschland.

Werden speziell auf Europa oder die DACH-Region abgestimmte Lösungen hierzulande oder ausschließlich in Japan entwickelt?
Nehmen wir beispielsweise den Bereich Digital Annealer. Hier hat Japan einen Chip entwickelt, der die Geschwindigkeit und Leistungskraft eines Quantencomputers mit der Technologie integrierter Schaltkreise kombiniert. Denn Fujitsu investiert sehr viel in Forschung und Entwicklung und hat weltweit neben IBM die meisten Patente angemeldet. In Use Cases, die wir zum Beispiel mit Banken entwickeln, geben diese Feedback an die Entwicklungsabteilung für den Digital Annealer. Das wird dann durchaus berücksichtigt. Es gibt jedoch keine technische Entwicklung in Österreich, auch nicht in der Region.

Wie sieht es mit der Umsetzung von Digital-Annealer-Projekten in Österreich aus?
Wir sind im Stadium von Proof-of-Concepts, die Technologie ist noch jung. Wir haben Gespräche mit Institutionen geführt, die interessante Einsatzmöglichkeiten sehen. Es gilt nun eine geeignete Problemstellung zu finden, wo die spezielle Leistungsfähigkeit des Digital Annealers ausgenutzt werden kann; Anwendungen, wo ein massives Kombinatorikproblem besteht – denn beim sequentiellen Abarbeiten bringt diese Technik nichts. Es mangelt uns nicht an Ideen und wir gehen hier auf Unternehmen zu.

Wir unternehmen auch Einiges, um die Awareness für den Digital Annealer zu heben, wie die Veranstaltung der Tagung »Zwanzig Jahre Nullzinsen – Was wir aus Japan (nicht) lernen sollten«, bei der wir einen Überblick über Makroökonomie und über Auswüchse dieser Tiefzinspolitik geben. Unter den Rednern sind Hajime Takata, Vice-Chairman des Mizuho Research Institute und Executive Economist, und Joseph Reger, Vice President, Chief Technology Officer (CTO) Fujitsu EMEIA. Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern auch darum, wie man mithilfe von Technologie diesem Nullzins-Phänomen entgegenwirken kann. Wir sind also nicht nur technisch orientiert unterwegs. Unsere Grundphilosophie ist, dass wir Wirtschaftswachstum und gesellschaftliche Errungenschaften zu einem großen Teil dem Fortschritt in der Computertechnologie verdanken. Wir erachten es als unsere Aufgabe, die Gesellschaft zu unterstützen und rücken gerne den Menschen in den Mittelpunkt – unser Auftrag ist eine human-centric Society.

Wie gehen Sie bei der Umsetzung von Digital-Annealer-Projekten vor?
Wir machen uns als Außenstehende Gedanken, wo es Verbesserungspotenzial bei Kunden in Bezug auf massiv-parallele Technikvorgänge gibt. Danach treten wir proaktiv an die Kunden heran und machen einen Vorschlag, der oft auf Erfahrungen beruht, die wir bei anderen Kunden gemacht haben. Hier möchte ich auch auf unsere neuen Digital Co-Creation-Workshops verweisen. Damit haben wir methodisch ein Vehikel aufgestellt, das nahtlos in diesen Ansatz passt und bei dem unsere Spezialisten gemeinsam mit Mitarbeitern aus der IT und aus dem Business der Kunden entsprechende Geschäftsfelder diskutieren.

Haben Sie schon in der DACH-Region Co-Creation Workshops gehalten?
Ja. In Österreich ist das noch eher überschaubar. Wir machen Co-Creation Workshops jetzt seit fast zwölf Monaten und haben schon drei größere österreichische Kunden nach München bringen können, wo die Co-Creation Workshops abgehalten werden. Die Kunden waren hellauf begeistert und das spricht sich unter den CIOs herum, da die Workshops Eindruck gemacht und Nutzen erzeugt haben.

Am Fujitsu Forum in München wurden den Teilnehmern die Co-Creation Workshops anschaulich gezeigt.
(c) Fujitsu

Gibt es Co-Creation Workshops nur für Großunternehmen oder auch für Mittelständler?
Selbstverständlich. Gerade bei den Mittelständlern sehen wir viel Bedarf für die Digitalisierung. Die tun sich viel schwerer, da sie keine großen Stabsverteilungen haben. Mein Herz schlägt sehr für den Mittelstand. Hier haben wir kürzere Entscheidungswege und wir können unser Knowhow hervorragend einbringen und sie unterstützen.

Wie sieht es mit KI-Projekten aus?
KI ist ein ganz wichtiges Thema für uns. Wir arbeiten sehr eng mit den Fujitsu Labs zusammen und haben auch Lösungen im Financial-Services-Bereich, z.B. Geldwäscheerkennung mithilfe von KI. Oder auch Schadenbehandlung von motorisierten Fahrzeugen, sodass nicht jedes Mal ein Schadensexperte zum Unfallsort geschickt werden muss, der den Unfallhergang unter Einbeziehung von Geoinformationsdaten und Mustererkennung verifiziert. Hier gibt es eine Unterstützung durch KI. In unserem diesjährigen Fujitsu Forum in Tokio haben wir ca. 50 Industrielösungen gehabt und bei drei Viertel dieser Lösungen war künstliche Intelligenz eingebettet. Chatbots sind auch ein Thema. Es kommt darauf an, wo und wie man sie einsetzt. Private-Banking ist der falsche Ort für Chatbots, da muss ich meinem Gegenüber persönlich gegenübertreten und Vertrauen aufbauen können. Aber im Bereich Service-Desk und Produktinformation ist die Technik ideal.

Banken und Versicherung sind ein wichtiger vertikaler Markt für Fujitsu. Hat der Brexit auch Auswirkungen auf die Region?
Definitiv. Im Bereich Datacenter-Outsourcing oder Managed Workplace wird ein Teil der Servicemanagement-Tools gegenwärtig intern bei uns im United Kingdom produziert. Wir arbeiten daran, alles wieder in die EU verlagert zu haben, wenn dann das UK nicht mehr zur Union gehört. Wir bauen entsprechende Services in Polen auf, um die Tool-Bestückung innerhalb der EU gewährleisten zu können.

Dieser Aufbau findet schon statt?
Ja, der ist sogar schon so gut wie abgeschlossen, denn es war ja nicht klar, ob die Briten schon mit Oktober die EU verlassen oder nicht. Ansonsten hat der Brexit für uns keine Auswirkungen, weil wir ohnedies global agieren. EU-Finanzmarktaufsichtsvorschriften über Zugriffe auf Daten sind natürlich zu beachten.

Welche Zuwachsraten streben Sie in der DACH-Region an?
Wir haben ein zweistelliges Wachstum, je nach Geschäftsbereich zwischen 10 und 18 Prozent. Über alle Bereiche betrachtet sind es um die 13 Prozent Wachstum, in Österreich und in der Schweiz ist es etwas höher als in Deutschland.


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