EU kippt Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung

Nach weitreichender Kritik hat der EuGH der umstrittenen Datenspeicherung entsagt. Ein Anstoß für die Prüfung der Richtlinie kam auch aus Österreich. Datenschützer begrüßen das Urteil und mahnen nun zur raschen Umsetzung in Österreich. [...]

Der Europäische Gerichtshof hat der massenhaften Sammlung von Telefon- und Internetdaten unbescholtener Bürger einen Riegel vorgeschoben. Die Vorratsdatenspeicherung sei „ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte“ heißt es. Die im Jahr 2006 erlassene Richtlinie war demnach von Anfang an rechtswidrig. Sie verletzt nämlich die in der EU-Grundrechtecharta garantierten Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten. Mitverantwortlich für das Urteil ist auch der österreichische AK Vorrat, der gemeinsam mit drei anderen Parteien als Kläger im Verfahren aufgetreten ist. Andreas Krisch, Obmann des AK Vorrat begrüßt die Entscheidung, da sie „eindeutig klarstellt, dass technische Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung, die grundsätzlich alle Nutzer von Internet- und Telefoniediensten betreffen, nur unter sehr engen und exakt definierten Rahmenbedingungen grundrechtskonform sind“, und weiter: „Wir erwarten, dass die EU in Zukunft geeignetere Mittel für die Bekämpfung von Verbrechen wählt als die verdachtslose Massenspeicherung von Verkehrsdaten aller Nutzer.“

Erstmals wurde in Europa eine Richtlinie komplett aufgehoben und nicht nur einzelne Bestimmungen. „Nun ist der österreichische Verfassungsgerichtshof am Zug, die Vorgaben aus dem Urteil umzusetzen und die Vorratsdatenspeicherung aufzuheben“, so Krisch. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) wird nun prüfen müssen, wie sich die österreichische Umsetzung der Richtlinie mit den Grundrechten verträgt. Die Vorratsdatenspeicherung verpflichtete Unternehmen, Telekommunikationsdaten für mindestens sechs Monate zu speichern und bei Anfrage an die ermittelnden Behörden weiterzugeben. In Österreich sind die Bestimmungen im April 2012 in Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat sich damals für eine Minimalvariante entschlossen.

Der Datenschutzrat rät zur sofortigen Überprüfung der österreichischen Gesetzeslage. Den zuständigen Ressorts sei zu empfehlen, „raschest dieses Urteil zu analysieren, sowie Schritte zur Evaluierung und Korrektur der Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung“ zu setzen, sagt Vorsitzender Johann Maier. Betroffen von der durch den EuGH aufgehobenen Richtlinie seien demnach das Telekommunikationsgesetz (TKG), das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) sowie die Strafprozessordnung (StPO).

MINISTERIEN MÜSSEN REAGIEREN
Maier appelliert daher an das Infrastruktur-, Innen- und Justizministerium, sofort zu reagieren. Technologieministerin Doris Bures (SPÖ) sieht jedenfalls keine Notwendigkeit mehr für die Vorratsdatenspeicherung. „Österreich setzte die EU-Richtlinie nur um, weil wir das mussten“, sagte sie dem „Falter“, „daher bin ich der Meinung: Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung nicht.“ Die Ministerin will vorerst abwarten, wie der Verfassungsgerichtshof entscheidet. Für den Fall, dass die Verfassungsrichter keine Bedenken an der Vorratsdatenspeicherung haben, kann sie sich eine gemeinsame Lösung mit dem Justiz- und Innenministerium vorstellen.

Der Fachverband Telekom/Rundfunk in der WKO zeigt sich ebenfalls erfreut über das Urteil. „Es ist wenig überraschend, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gegen die EU-Grundrechtecharta verstößt“, sagt Fachverbandsgeschäftsführer Philipp Graf im Gespräch mit der COMPUTERWELT. Er hofft auf ein rasches Urteil des österreichischen Höchstgerichts, damit die Telekomwirtschaft klare Rahmenbedingungen hat.

KEIN VERSUCHSKANINCHEN
„Der Ersatz der Kosten, die die Betreiber zwangsweise für die Einrichtung der Vorratsdatenspeicherung aufbringen mussten, muss jedoch aufrechterhalten werden“, so Graf, und: „Die Betreiber hatten keinerlei Nutzen oder Zugriff auf diese Daten, sondern nur erheblichen Aufwand für die Speicherung und Beauskunftung.“ Die Entscheidung sei auch „ein klares Beispiel, dass übereilte Gesetzesvorhaben in der EU zu Lasten der Qualität und der ausreichenden fachlichen Auseinandersetzung geht. Die Telekommunikationswirtschaft in Österreich darf nicht Versuchskaninchen der europäischen und österreichischen Gesetzgebung sein“, so Graf. Jan Trionow von Drei Österreich begrüßt die Entscheidung des EuGH: „Ein Wegfall der Vorratsdatenspeicherung bedeutet für uns auch den Wegfall eines erheblichen Mehraufwands, der nicht zur Gänze abgegolten wurde.“ (cb)


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