In knapp einem Viertel der heimischen Unternehmen arbeitet die Mehrheit der Mitarbeiter bereits ohne Kernzeit. Mit 97 Prozent bieten zudem so gut wie alle Unternehmen in Österreich inzwischen die Möglichkeit an, von zu Hause zu arbeiten. [...]
Vertrauensarbeitszeit, Home Office, Desk-sharing – das sind intensiv diskutierte und immer häufiger angebotene Konzepte, die flexibles Arbeiten ermöglichen und unterstützen sollen. Doch wie verbreitet sind diese Modelle in Österreich tatsächlich? Und wie sieht die gelebte Praxis dazu aus? Kurz: Wie flexibel sind österreichische Unternehmen wirklich?
Antworten auf diese Fragen gibt die »Flexible Working Studie«. Mit der Flexible Working Studie erhebt Deloitte Österreich in Zusammenarbeit mit der Universität Wien und der Universität Graz alle zwei Jahre den Status quo flexibler Arbeitsmodelle in heimischen Unternehmen. Insgesamt haben heuer 214 Unternehmensvertreterinnen und -vertreter an der Studie teilgenommen – darunter vorwiegend Personalistinnen und Personalisten sowie Führungskräfte über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg. Diese hohe Beteiligung verdeutlicht die anhaltende Relevanz und Aktualität des Themas. Das Ergebnis: flexibles Arbeiten ist in Österreich auf dem Vormarsch. Das zeigt sich bei mehreren Faktoren.
Laut der Studie verlieren Kernarbeitszeiten in heimischen Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Vor zwei Jahren haben noch fast zwei Drittel der Unternehmen auf Gleitzeit mit Kernzeit gesetzt, jetzt tut dies nur mehr die Hälfte. Gleitzeit ohne Kernzeit wird hingegen immer beliebter.
Kernarbeitszeit wird zunehmend unwichtiger
»Bereits bei einem Viertel der Unternehmen arbeitet die Mehrheit der Mitarbeiter ohne Kernzeiten. Dadurch wird die Flexibilität vor allem für Mitarbeiter weiter erhöht«, erklärt Barbara Kellner, Managerin bei Deloitte Österreich.
Die kürzlich geschaffene Möglichkeit des 12-Stunden-Tages in der Gleitzeit nutzen laut Studie bereits 30 Prozent der befragten Unternehmen. Weniger verbreitet ist hingegen das Modell der 30-Stunden-Woche: In Österreich hat das bisher nur knapp ein Prozent der Unternehmen tatsächlich implementiert. Die Idee dahinter: 30 Stunden arbeiten, für 40 Stunden bezahlt werden.
Zwei heimische Unternehmen, die das Modell erfolgreich eingeführt haben, sind der Getränkehändler MAKAvA und die Online Marketing Agentur eMagnetix. Beide Unternehmen haben es durch gezielte Maßnahmen geschafft, ihren Mitarbeitern die 30-Stunden-Woche zu ermöglichen und gleichzeitig nach wie vor profitabel zu wirtschaften.
Der Getränkehändler MAKAvA hat ursprünglich als Studentenprojekt gestartet. Dementsprechend waren Arbeitszeit und Freizeit zu Beginn noch stark vermischt. »Irgendwann kam der Punkt, wo wir Arbeit und Freizeit genauer definieren mussten«, erinnert sich Agnes Fogt, Leiterin des Bereichs Marketing und Kommunikation bei MAKAvA. 2015 kam dann die offizielle Einführung der 30-Stunden-Woche, die seither als Gleitzeitmodell gelebt wird. Über Mittag gibt es einige Stunden Kernzeit – »Community Time«, wie es bei MAKAvA genannt wird. Einmal wöchentlich gibt es ein Teammeeting, wo alle zusammenkommen und berichten, welche Projekte anstehen. Seit einiger Zeit verwendet MAKAvA auch Apps und andere Online-Tools, die die tägliche Kommunikation technisch unterstützen. Agnes Fogt sieht nur Vorteile in der 30-Stunden-Woche: »Bei uns herrscht eine Vertrauenskultur. Durch Freiheiten und Selbstbestimmung ist die Motivation in der Arbeit sehr hoch.« Laut Fogt erledigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht weniger, als in einer 38,5-Stunden-Woche. »Bei uns gibt es kein Däumchendrehen. Wenn du nichts zu tun hast, gehst du heim.«
Auch Klaus Hochreiter, Geschäftsführer von eMagnetix ist von der 30-Stunden-Woche begeistert: »Wir bekommen jetzt die Besten der Besten vom Bewerbermarkt. Unsere Bewerbungszahl hat sich verzehnfacht.« Die Einführung der 30-Stunden-Woche bedeutete für eMagnetix eine Win-Win-Win-Situation – für die Belegschaft, die Kunden und das Unternehmen. Beispielsweise hilft die 30-Stunden-Woche laut Hochreiter dabei, Mängel in Arbeitsprozessen aufzudecken. Die effizientere Gestaltung von Prozessen durch den Einsatz von technischen Tools war eine der ersten Maßnahmen bei der Einführung der 30-StundenWoche. Gleichzeitig wurden die größten Zeitfresser im Arbeitsalltag aufgedeckt und eliminiert. Interne Meetings sind nun in der Regel auf 30 Minuten beschränkt. Eine Sanduhr erinnert an die vergehende Zeit.
Bei 97 Prozent der befragten Unternehmen haben Mitarbeiter mittlerweile schon die Möglichkeit zur Arbeit von zu Hause aus, wobei bei einem Drittel nur wenigen Einzelpersonen Home Office gewährt wird. Aber die tatsächliche Nutzung von Heimarbeit nimmt stark zu. Sie hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt. Laut 86 Prozent der Befragten wird das Angebot von einem beträchtlichen Anteil der Mitarbeiter tatsächlich in Anspruch genommen. 2017 gaben das nur 42 Prozent an.
Home Office ist etabliert
»Home Office hat sich in Österreich etabliert. Vor allem die jüngeren Generationen erwarten sich diese Möglichkeit vom Arbeitgeber«, bestätigt Barbara Kellner. Die Expertin fügt aber hinzu: »Obwohl die Option häufiger angeboten und in Anspruch genommen wird, hat bei 85 Prozent der Unternehmen die physische Anwesenheit im Büro noch immer einen dominanten Stellenwert. Das wird zum Problem, wenn Anwesenheit mit Leistung gleichgestellt wird. Mitarbeiter trauen sich dann nicht, Home-Office-Angebote wahrzunehmen.«
Neben der physischen Anwesenheit spielt auch die ständige Erreichbarkeit nach wie vor eine große Rolle. Gerade von Führungskräften erwarten 65 Prozent der Befragten, dass sie auch in ihrer Freizeit erreichbar sind. Von Mitarbeitern wird das von einem Viertel der Unternehmen eingefordert.
Führungskräfte sind dauernd auf Abruf
»Flexibles Arbeiten kann mehr Freiheit und Autonomie für die Mitarbeiter bringen. Durch hohe Erwartungen an die Erreichbarkeit gepaart mit fehlenden Grenzen zwischen Job und Privatleben geht diese Freiheit aber oft wieder verloren«, sagt Bettina Kubicek, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Graz. »Es braucht deshalb klare Spielregeln, damit die Mitarbeiter auch in der Freizeit abschalten können.«
Generell senden die befragten Unternehmen in puncto flexibles Arbeiten widersprüchliche Signale. Zum einen geben 75 Prozent an, ihren Mitarbeitern zu vertrauen. Zum anderen setzen 39 Prozent der Unternehmen in diesem Zusammenhang auf zusätzliche Kontrollmechanismen.
»Vertrauen bedeutet, Kontrolle aufzugeben. Im Hinblick auf flexibles Arbeiten versuchen aber manche Unternehmen, durch verschiedenste Maßnahmen wieder mehr Kontrolle zu erlangen«, analysiert Christian Korunka, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Wien. »Die Unternehmen müssen das Loslassen lernen und innerhalb eines klar kommunizierten Regelwerks eine gesunde Vertrauenskultur entwickeln. Nur so können sie als zeitgemäße Arbeitgeber attraktiv bleiben.«
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