Führungskräfte müssen mit der von uns selbst erschaffenen digitalen Umwelt unternehmerisch umgehen können. Laut Eva Maria Meißl, Senior Expert Framechangers bei der EFS Unternehmensberatung müssen dafür bestehende Muster radikal in Frage gestellt werden. [...]
Womit beschäftigen Sie sich als Senior Expert Framechangers bei der EFS Unternehmensberatung?
Bei unserer Arbeit stellen wir die Menschen in den Organisationen in den Mittelpunkt, mit Blick auf ihre Beziehungen und gemeinsamen Aufgaben. Der Fokus dabei liegt auf den kulturellen bzw. menschlichen Aspekten nachhaltiger Veränderungen. Das betrifft natürlich alle Ebenen einer Organisation. Dennoch ist die Arbeit mit den Menschen an der Spitze des Unternehmens ein ganz zentrales Element bei solchen Vorhaben. Sie sind es, die letztlich durch ihre Haltung, ihr Sich-zur-Verfügung-Stellen und ihre Handlungen den Boden bereiten, damit alle Maßnahmen, Schritte und Bemühungen ihr volles Potenzial entfalten können. Bei meiner Arbeit mit Führungskräften geht es in der Regel darum, deren eigenen Anteil zu erkennen und sie auf dem Weg der Veränderung zu begleiten und zu bestärken.
Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Topmanagern vor allem im Automotive Umfeld. Welche Art von Führungskraft wird Ihrer Meinung nach der digitale Wandel in Zukunft benötigen?
Wenn ein Unternehmen das Thema Digitalisierung wirklich ernsthaft angehen will, braucht es natürlich die Fähigkeit, völlig neue Geschäftsmodelle zu denken. Das muss aus meiner Sicht nicht zwangsläufig durch den eigenen Mitarbeiter-Kreis abgedeckt werden. Gerade in Unternehmen mit Geschichte kann man nicht erwarten, dass Manager all das neu denken können, was sie bisher durch ihre Karriere und ihr Vorbild mitgetragen, gestaltet und gefestigt haben. Die Impulse für das völlig Neue können von überall herkommen, inner- und auch außerhalb der Organisation. Was Führungskräfte aber keinesfalls delegieren oder auslagern können, ist die Bereitschaft, das bestehende Geschäftsmodell und damit auch ihre eigene Rolle und ihr Selbstverständnis in Frage zu stellen und durch etwas (möglicherweise grundlegend) Neues zu ersetzen.
Die Digitalisierung weicht viele Grenzen auf, die uns in der Vergangenheit Sicherheit gegeben und unsere Identität geprägt haben. Die Grenzen der eigenen Stellenbeschreibung bzw. Rolle, die Grenzen der Produkte und Dienstleistungen, die Grenzen zu Partnerunternehmen entlang der Wertschöpfungskette, die Grenzen zu Kunden und vermutlich noch viele mehr. Wer sind wir? Wer bin ich und wer wollen wir ohne diese Grenzen sein? Das sind zentrale Fragen in diesem Prozess. Zudem: Wer müssen wir als Führungskräfte sein, damit sich das Neue entwickeln und in seine Kraft kommen kann? Ich sage bewusst Führungskräfte und nicht Manager, weil aus meiner Sicht in Zukunft das Führen – durch Vorbild und in einer dienenden Haltung – und nicht das Managen gefragter sein wird denn je. Das ist ein zutiefst menschlicher Entwicklungsprozess, der mit Technologie im ersten Schritt eigentlich gar nichts zu tun hat.
Für den digitalen Wandel und alles was danach kommt, braucht es meiner Meinung nach primär Führungskräfte, die bereit sind, sich selbst für diesen Prozess immer wieder neu zur Verfügung zu stellen. Je weniger jemand am eigenen Ego hängt, sondern sich verbunden mit einem größeren Ganzen erlebt, desto leichter ist dieser Weg.
Persönlich beschäftigen Sie sich ja auch mit Spiritualität und östlichen Weisheitstraditionen. So spielen Yoga und Meditation eine wichtige Rolle in Ihrem Leben. Werden die Führungskräfte von morgen – im Sinne eines besseren Arbeitsklimas – spirituelle Themen und vielleicht sogar Yoga im Businessumfeld integrieren?
Wenn ich in die Zukunft schaue, dann stellt sich für mich die zentrale Frage, was eigentlich unser aller Kernkompetenz sein wird. Was bleibt uns denn, wenn Digitalisierung, AI und alles, was da noch wartet, uns so vieles von dem abnehmen werden, das bisher eine menschliche Leistung war? Für mich lautet die Antwort ganz klar: Menschlichkeit. Spiritualität war die längste Zeit untrennbar mit unserem Menschsein verbunden. Uns wieder mehr als spirituelle Wesen zu verstehen, würde uns sicherlich sehr dienen – aber ich sehe es nicht als Aspekt, der in Zukunft im Businessumfeld eine explizite Rolle spielen wird. Ich finde es großartig, wenn Unternehmen den Wert von kontemplativen Praktiken und – allgemeiner formuliert – Selbstfürsorge erkennen, und ihren Mitarbeitern sogar Zeit und Raum dafür einräumen. Aber das muss aus meiner Sicht völlig frei von Erwartungen oder Druck passieren.
Welche drei Erkenntnisse würden Sie als Expertin Führungskräften unbedingt auf ihren Weg mitgeben wollen, für eine sich laufend wandelnde digitale Welt?
Ich glaube, es braucht zunächst ein tiefes Verständnis dafür, dass sich die Welt um uns ständig verändert und wir uns auch laufend adaptieren sollten. Als Kinder war das für uns das Natürlichste überhaupt. Die meisten von uns verlieren diese Neugierde im Zuge des Erwachsenwerdens. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass in Zukunft diejenigen besonders erfolgreich sein werden, die bereit sind, immer wieder neu auf sich und die Welt zu schauen. Selbst wenn das bedeutet, dass sie Vorstellungen wieder loslassen müssen, die ihnen in der Vergangenheit Sicherheit, Erfolg, Freude gebracht haben. Top-Manager müssen auf der Reise in die Zukunft bereit sein, radikal alles – inklusive ihrer eigenen Identität – zu hinterfragen und gegebenenfalls umzudenken. Ansonsten werden sie von der Digitalisierungswelle verschluckt und irgendwann erschöpft an den Strand gespült, anstatt spielerisch auf ihr zu reiten.
Das Zweite, was ich für unendlich wertvoll halte auf dieser Reise, ist das Wissen, woraus man selbst Kraft ziehen kann – auch in schweren Zeiten. Denn die eigene Identität, Werte und Glaubenssätze zur Disposition zu stellen, erschüttert uns in unseren Grundfesten. Also: Was gibt uns Halt, Sicherheit, Mut, Kraft und Freude auf diesem Abenteuer? Für manche ist es der Weg in die Natur, der sie das Vertrauen wieder spüren lässt, von etwas größerem Ganzen getragen zu werden. Für andere könnte es künstlerischer Ausdruck sein oder Musik. Für mich ist es das Studium und die Praxis östlicher Weisheitstraditionen. Mein neues Lebensprojekt: Ein Waldgarten, den ich auf einem Feld, das an unseren Garten angrenzt, gerade anlege. Finden Sie Ihre Quelle und dann übernehmen Sie die Verantwortung dafür, dass Sie sich auch wirklich oft genug mit ihr verbinden.
Zuletzt möchte ich noch daran erinnern: Die Zeit der einsamen Helden und Heldinnen ist vorbei! Wir sind gut beraten, uns immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind. Alles und jeder ist miteinander verbunden. Wie ich vorhin schon sagte, bricht die Digitalisierung viele Grenzen auf, die wir früher als identitätsbildend erlebt haben. Das ist eine riesige Chance und Ressource. Menschen an der Spitze von Organisationen müssen sich selbst für die Veränderung zur Verfügung stellen und Vorbild sein. Inspiration, Verbündete und Mitgestalter sind überall – nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der eigenen Organisation.
* Der Autor Nahed Hatahet arbeitet als Transformationsexperte, Speaker,
Berater und Mentor.
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