Damit nach einer erfolgreich absolvierten ERP-Auswahl die Einführung nicht minder erfolgreich ist, sind viele Projektarbeiten notwendig. Sei es aus organisatorischer, technischer oder aus prozessorientierter Sicht. [...]
Für die Umsetzung spielen neben den Beratern des ERP-Herstellers/Implementierungspartners vor allem die Endanwender eine entscheidende Rolle. Dabei stellt sich folgende Frage: Sind Anwender ERP-fähig?
Aus langjähriger persönlicher Erfahrung und Berichten von ERP-Herstellern und Implementierungspartnern ist diese Frage eher mit „Nein“ zu beantworten. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. An erster Stelle steht meist diese Aussage: „Ein neues ERP-System ist gut und wichtig, aber es muss alles genau so laufen wie bisher“. Aus diesem Grund wird die Standardsoftware so „hingebogen“ (adaptiert), wie das abzulösende System funktionierte und wie es der Anwender gewohnt ist, zu arbeiten. Dass dabei auch Zusatzkosten bei der Einführung entstehen und Updates/Upgrades jeweils aufwändiger werden, ist dem Anwender nicht bewusst bzw. teilweise erstaunlicherweise egal.
Werden die Wünsche des Endanwenders nicht entsprechend umgesetzt, wird der User gegebenenfalls sehr kreativ. Häufig werden viele Tätigkeiten am ERP-System vorbei in mehreren Excel-Listen, Access-Datenbanken und Word-Dokumenten abgebildet und Papierausdrucke weiterhin in Hängeordnern ablegt, obwohl diese Informationen und Tätigkeiten auch im ERP System speicherbar und realisierbar wären; eben vielleicht nur nicht genau so, wie es früher war. Leider hat der Endanwender häufig kaum Verständnis, in seinem Tätigkeitsbereich Mehraufwände zu akzeptieren, nur damit die Prozesskosten für das Unternehmen insgesamt gesenkt werden können.
Durch die neuen und modernen Anwendungssysteme sind einige User oftmals – aus Usability-Sicht teils nachvollziehbar – überfordert. Dies betrifft alle Generationen der Endanwender. Auch Mitglieder der Y/Z-Generation, die kein grundsätzliches Prozessverständnis mitbringen, sind mit ganzheitlichen Geschäftsabläufen in Industrie und Handel überfordert.
Oft sind aber auch Führungskräfte und die Geschäftsleitung nicht ERP-fähig. Auf der einen Seite wollen sie mit ERP-Systemen nicht arbeiten; nicht einmal Auswertungen werden persönlich abgerufen, sondern von der Assistenz – meist noch auf Papier – zur Verfügung gestellt. Auf der anderen Seite möchten sie bei der Festlegung der Prozesse und Abläufe mitreden, obwohl sie seit Jahren nicht mehr operativ tätig sind und im Prinzip keine Ahnung haben, wie das Tagesgeschäft in ihren Unternehmen wirklich läuft. Dann werden wieder Sonderlösungen programmiert, obwohl die Standardsoftware optimale Lösungen bieten würde.
Bei aller Kritik stellt sich schlussendlich auch die Frage, ob Mitarbeiter, Führungskräfte und die Geschäftsleitung ERP-mündig sind. Denken Sie konstruktiv darüber nach!
* Christoph Weiss ist Enterprise Systems-Experte und Geschäftsführer von Weiss Consulting.
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