Im zweiten Teil seiner achtteiligen Serie zum Internet of Things (IoT) zeigt Oliver Loisel von der ATLAS Group anhand von Praxisbeispielen, wie man mit IoT-Lösungen wirtschaftlich sinnvolle Geschäftsmodelle erstellt. [...]
Haben Sie schon eine Nespresso-Kaffeemaschine mit Smartphone-Bedienung zu Hause? Noch nicht gekauft? Nun, das liegt vielleicht am geringen Nutzen für den User. Macht es wirklich Sinn, in einer App auf einen Knopf zu drücken, wo alles andere manuell abläuft? Wasser einfüllen, Kapsel einlegen, Tasse darunter stellen – all das müssen Sie direkt an der Maschine erledigen. Das nimmt Ihnen die Maschine nicht ab. Den Kaffee abholen müssen Sie natürlich auch selbst und zeitnahe, er soll ja heiß und frisch sein.
Das heißt, der einzige digitalisierte Prozessschritt ist der Brühvorgang. Würden zusätzliche Baristafunktionen angeboten, wie ein Steuern von Druck, Brühtemperatur oder das Hinzugeben von Milchschaum oder eines Sirups, eventuell sogar der Download ausgewählter Kaffeerezepte, die die Maschine automatisch umsetzt, dann wäre der Use Case interessanter.
Einseitig Aus Sicht von Nespresso sieht das natürlich anders aus: Kapselvorräte werden abgeglichen (Kapseln kaufen nicht vergessen) und an Serviceintervalle wird erinnert (Filter und Ähnliches regelmäßig kaufen). Der Umsatz im Kerngeschäft wie auch darüber hinaus wird gestärkt. Und das Nutzerverhalten wird sowieso beobachtet. Kein schlechter Deal für Nespresso, für den auch noch der Kunde – Anschaffung einer teureren Maschine – bezahlt.
Damit es langfristig funktioniert, sollte der Nutzen eines IoT-Einsatzes aber zumindest zweiseitig sein: Zum Einen der Nutzen für den Kunden, beispielsweise Kostenersparnis, Produkt- oder Service-Individualisierung, Qualitätssteigerung etc. Und auf der anderen Seite der Nutzen für den Anbieter, insbesondere ein attraktives Geschäftsmodell und das Erreichen strategischer Ziele. Mitunter kommt als Drittes noch Nutzen für die Partner im Ecosystem hinzu.
Perspektivenwechsel Der Nutzen für den Anbieter eines Use Cases ergibt sich aus dem zugrundeliegenden Geschäftsmodell. Anders gesagt: „Wie verdient man Geld mit IoT?“ Um diese Frage beantworten zu können, empfehlen sich drei bedeutende Perspektivenwechsel:
Vom Produkt zum Kunden: Meist ist es deutlich einfacher, Use Cases zu finden, die dem Anbieter nützen. Ohne ersichtlichen Nutzen für den Kunden wird dieser jedoch kaum bereit sein, Daten preiszugeben und/oder einen höheren Preis zu bezahlen. So wird die oben erwähnte, auf dem Markt befindliche Nespresso-Maschine wohl einige Anhänger finden. Der aktuell dem User angebotene Nutzen dürfte aber nicht massentauglich sein.
Von Daten zu Prozessen: Selbstredend sind Fragen wie „Wer generiert welche Daten?“ und „Wer erhält welche Daten?“ relevant. Viel wichtiger aber noch ist es, sicherzustellen, dass auf Basis der Daten das richtige geschieht. Zum Beispiel das Auslösen eines Service- und Angebotsprozesses, wenn eine Maschine eine bestimmte Zahl an Betriebsstunden erreicht hat und dieser Kunde innerhalb der letzten 6 Monate kein Service durchführen hat lassen.
Vom Unternehmen zum Ecosystem: IoT erlaubt nicht bloß die Vernetzung von Things, sondern auch von Stakeholdern wie beispielsweise Vertriebs- und Servicepartner, Lieferanten oder Dienstleistern wie Versicherungen. Das sind mehr und komplexere Wertschöpfungs- und Servicebeziehungen als in einer klassischen Kunde-Lieferanten-Beziehung. Völlig neue Produkte und Dienstleistungen werden erst durch IoT und ein entsprechendes Ecosystem möglich. Zum Beispiel ein smartes Hundehalsband: Die Gesundheit des Vierbeiners wird überwacht und gefördert mit einem Ecosystem an Tiernahrungsmittelherstellern, Tierärzten und Tierversicherungen.
6 Punkte für das Geschäftsmodell in der Praxis Wie kann ein attraktives Geschäftsmodell inklusive Ecosystem nun in der Praxis aussehen? Gert Keuschnigg, Co-Gründer von ATLAS, gibt einen Einblick in „Tierzulieb“, dem bereits angesprochenen smarten Hundehalsband: Die Zielgruppe (1) lässt sich klar umreißen, es sind Hundebesitzer und alles, was das Hundeleben spaßiger, sicherer und einfacher macht. Der Kundennutzen (2) ist es, unmittelbar mit der App den ausgebüxten Hund exakt zu orten, ihn an die virtuelle und beliebig lange Leine zu nehmen, spazierte Routen anzusehen sowie Veränderungen der Hunde-Fitness zu monitoren.
Mittelbaren Nutzen hat der Kunde mittels einer IoT-Plattform und deren individualisierter und breiter Palette unterschiedlicher Anbieter und deren gemeinsamer Wertschöpfung (3). Kunden sind bereit, Bewegungsdaten und Aufenthaltsort ihres Vierbeiners zu übermitteln, um zum Beispiel automatische medizinische Absicherung im Ausland, eine optimale Ausrüstung für das gesamte Rudel (Mensch und Tier) und kalorienabhängig zusammengestelltes Futter zu erhalten.
Das Produkt, ein schickes, wasserdichtes Lederhalsband, in dem sämtliche Komponenten wie GPS und Akku unsichtbar eingearbeitet sind, belegt, wie weit die technische Machbarkeit (4) gegeben ist. Es liefert die Daten für das Tracking und das Triggern von Geschäftsprozessen. Die Kosten der Implementierung wie Produktentwicklung und Markterschließung (5) sind durch die breite Zielgruppe sowie die hohe Anzahl teilnehmender Unternehmen auf der IoT-Plattform gerechtfertigt.
Zuletzt zurück zur Frage „Wie wird Geld mit IoT verdient?“, also der Ertragsmechanik (6) dieses Geschäftsmodells. Kunden zahlen einen geringen laufenden Beitrag, um die App, das Tracking und die Online-Services zu nützen. Für den Anbieter sind das geringe, aber langfristige, regelmäßige Umsätze. Hinzu kommt die Möglichkeit von Zusatzverkauf und Cross Selling – Potenziale, die ohne die Beteiligung von Händlern und Servicepartnern ungenutzt bleiben würden. So gibt es beispielsweise Pakete eines Versicherers, der bei Abschluss einer Tierversicherung das smarte Hundehalsband ohne Extrakosten anbietet.
Einen wirtschaftlich sinnvollen IoT Use Case inklusive attraktivem Geschäftsmodell zu schaffen ist und bleibt eine Herausforderung. Das Hineinversetzen in den Kunden ist aber der beste Anfang: Wofür bezahlt uns der Kunde und wofür (noch) nicht? Wie lassen sich Kundenressourcen (Zeit, Kosten etc.) sparen oder Sorgen abnehmen? Welche Partner würden ein Ecosystem ergänzen, um den Kunden noch stärker zu binden? Ein „me too“-Angebot reicht ebenso wenig wie das Sammeln von Daten ohne Nutzen für den Kunden.
* Oliver Loisel Oliver ist Co-Gründer der ATLAS Group und begleitet Unternehmen bei Gestaltung und Umsetzung von IoT-Strategien und Use Cases. Dieser Beitrag ist der zweite Teil einer achteiligen Serie zum Thema „IoT – Strategie und Roadmap“, die Oliver Loisel exklusiv für die COMPUTERWELT verfasst. Den ersten Teil finden Sie hier (für Premium-User).
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