„Gutes tun und es gut tun“

Gesundheitseinrichtungen gehören zu den weltweit komplexesten Organisationen. Barmherzige-Brüder-CIO Christian Neubauer – von Confare als Top CIO 2022 ausgezeichnet – schafft es, Innovationen trotz des aufreibenden Tagesbetriebes voranzutreiben. [...]

Christian Neubauer, CIO der Barmherzigen Brüder Österreich (c) Confare
Christian Neubauer, CIO der Barmherzigen Brüder Österreich (c) Confare

Die Barmherzigen Brüder sind in 52 Staaten mit 404 Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens auf allen Kontinenten vertreten. In der Österreichischen Ordensprovinz mit Standorten in Österreich, Tschechien, Ungarn und der Slowakei betreiben die Barmherzigen Brüder gemeinsam mit fast 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an rund 30 Standorten zwölf Krankenhäuser sowie zahlreiche weitere Sozial- und Gesundheitseinrichtungen wie Alten- und Pflegeheime, Lebenswelten für Menschen mit Behinderungen, eine Therapiestation für Drogenkranke, Hospize sowie Kur- und Wellnesseinrichtungen. 2021 erfolgten in den österreichischen Einrichtungen trotz Corona-Pandemie 114.095 stationäre Aufnahmen, 745.244 ambulante Patientenkontakte und 49.656 Operationen. „Die letzten zwei Jahre waren sehr spannend, weil wir es plötzlich mit Use Cases zu tun bekamen, die man im Gesundheitsbereich normalerweise nicht auf der Agenda hat“, sagt Christian Neubauer, CIO Barmherzige Brüder Österreich und Top CIO des Jahres 2022. „Es ging zum Beispiel darum, für eine große Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem HR- und Finanzbereich Home Offices zu organisieren. Auch Kolleginnen und Kollegen in den Sekretariaten, die immer möglichst nahe mit den Ärzten zusammenarbeiten, waren betroffen. Laptops in dieser großen Zahl gab es nicht und die Standgeräte konnten nicht einfach mitgenommen werden. So kamen private Geräte zum Einsatz und die IT-Abteilung musste Sorge tragen, dass alles funktionierte – auch Security-mäßig. Eine der neuen Herausforderung war zum Beispiel, dass die am Server liegenden Diktate zu den verteilten Sekretariaten kamen, damit die gesprochenen Diktate dort digitalisiert werden konnten.“

Es zeigten sich aber auch positive Seiten: „Durch die Pandemie kam es auch im Gesundheitswesen zu einem Digitalisierungsschub. Vor allem im Bereich rund um ELGA gab es plötzlich eine Bewegung zu Themen, die davor wenig Beachtung gefunden hatten. Innerhalb kürzester Zeit wurde der elektronische Impfpass eingeführt. Zudem mussten Automatismen für die Einmeldung von Impfungen realisiert werden. Auch das elektronische Rezept steht vor der Tür und wartet darauf, in die Systeme integriert zu werden.“

Eine weitere Aufgabe war, ein Notfallkrankenhaus in Eisenstadt aufzubauen und dafür zu sorgen, den Tagesbetrieb aufrechtzuhalten. „Um das Risiko zu minimieren, haben wir speziell im ersten Lockdown versucht, möglichst wenige Updates zu machen und Computer auszutauschen. Im Anschluss daran mussten wir das in kürzester Zeit nachholen.“

Komplexes System

Auch abseits der Pandemie gehören Krankenhäuser zu den kompliziertesten Organisationen, die existieren. „Die Anforderungen an Performance und Sicherheit sind enorm. Immerhin stehen Menschenleben auf dem Spiel. Auf allen Ebenen hält IT dabei Einzug. So sieht man sich mit einem enormen Datenwachstum konfrontiert. Aktuell haben wir allein im Archiv-Bereich einen monatlichen Zuwachs von drei Terabyte“, sagt Christian Neubauer.

Das alles wird mit Mannschaften vor Ort und einer zentralen IT gestemmt. „Mit gefällt der Ausdruck ›zentrale IT‹ nicht. Es gibt österreichweit eine einzige IT, in der sehr eng mit den rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der lokalen Teams zusammengearbeitet wird, die den Second Level Support ausüben. Die Aufgaben in meinem direkten Bereich – den ›IT-Services‹ mit etwa 40 Kolleginnen und Kollegen – reichen vom First Level Support bis zu IT-Operations: Wir haben eigene Rechenzentren in Eisenstadt, wo sich ein Team um Server, Storage, Netzwerk, Security etc. kümmert. In IT-Services angesiedelt sind außerdem das SAP-Team und das Business Management, wo sich alle zentralen Applikationen finden.“

Verantwortungsmatrix

Dieses System funktioniert jedoch nur, wenn die Aufgaben klar verteilt sind und die Kommunikation in alle Richtungen reibungslos abläuft. „In der Zusammenarbeit mit unseren Nutzern und den Führungsebenen unserer verschiedensten Einrichtungen und auch der zentralen Provinzverwaltung haben wir gemeinsam eine Verantwortungsmatrix über alle Bereiche und Ebenen definiert, damit für jeden Rechte und Pflichten klar geregelt sind und damit auch festgehalten ist, wer die zuständigen Ansprechpartner sind. Dies hat viele Unklarheiten ausgeräumt. Das Regelwerk allein würde allerdings nichts ändern – entscheidend ist, wie die Zusammenarbeit tatsächlich gelebt wird. Dazu haben wir auch die Besprechungslandschaft strukturiert und auch definiert, was in welcher Besprechung behandelt werden soll und in welchen Gremien welche Entscheidungen getroffen werden. Wichtig ist aber, dass man sich hier immer auf Augenhöhe begegnet und miteinander Themen bearbeitet und Lösungen sucht. Fachbereiche und IT müssen einander verstehen und gemeinsam den Weg zum Ziel gehen“, so Christian Neubauer.

Fachkräftemangel

Der allgemein vorherrschende Fachkräftemangel betrifft die Barmherzigen Brüder in mehrfacher Hinsicht. Einerseits ist das Manko im IT-Bereich spürbar, vor allem in den Bereichen SAP und Security. „Wir versuchen, dass die bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Richtung Weiterbildung gehen. Außerdem forcieren wir die Zusammenarbeit mit den etablierten Partnern, um den Mangel auszugleichen. Das ist auch psychologisch wichtig, da es Sicherheit vermittelt. Die Botschaft an die Mitarbeiter lautet: ›Ihr seid nicht alleine. Es gibt Partner, auf die ihr euch verlassen könnt. Ihr braucht auch keine Angst haben, dass ihr am zweiten Urlaubstag von uns angerufen werdet.‹ Mit anderen Worten: Die Partner können Spitzen abdecken sowie Urlaub und Krankenstände abfedern.“

Der zweite Bereich, in dem sich der Fachkräftemangel von Jahr zu Jahr stärker offenbart, ist jener der Ärzte- und Pflegeschaft. Etwas, was die IT-Abteilung hier tun kann, ist, die Digitalisierung voranzutreiben.

Pioniergeist

„Bei der sogenannten digitalen Fieberkurve, wie sie im Gesundheitsbereich immer wieder genannt wird, waren wir die Vorreiter. Es war sehr spannend, dieses Thema Österrreich-weit durchzuziehen. Wir haben den Vorteil, dass wir mit der Firma Care Solutions als 100-Prozent-Tochter der Barmherzigen Brüder einen Partner haben, der uns auf diesem Weg sehr stark unterstützt. Wir haben damit auch einen Sparring-Partner, mit dem man Entwicklungen diskutieren kann, um die Digitalisierung voranzutreiben.“

Ganz oben auf der Transformations-Agenda stehen Systeme, die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegeschaft bei der Zusammenarbeit mit den Patienten unterstützen. „Die Kolleginnen und Kollegen in den Fachabteilungen sollen möglichst wenig Zeit vor den PCs, sondern viel mehr bei den Patienten verbringen. Zum Beispiel das Thema Dokumention und Materialverwaltung inklusive Nachweis der Sterilisation ist in den OP-Sälen sehr wichtig. Wir zielen darauf ab, dass möglichst viel eingescannt und nicht händisch eingeben werden muss. Das ist einer jener Use Cases, die tatsächlich etwas bewirken, indem sie Zeit für Ärzte- und Pflegeschaft freispielen können.“

Was den Einsatz von KI & Co. betrifft, so sieht Christian Neubauer die Entwicklung zwar noch in den Kinderschuhen, aber für künftige Aufgaben unerlässlich. „Wir haben eine Riesenschatz an Informationen aus der Vergangenheit – sei es von bildgebenenden Verfahren bzw. aus der Labordiagnostik oder von Befunden und den Folgegeschichten.“ Der IT-Chef sieht vor allem zwei Themen, bei denen KI wertvolle Dienste leisten könnte: „Auf der einen Seite in der Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte, auf der anderen Seiten bei der Befundung, um mehr Sicherheit und vielleicht neue Ideen zu erhalten. Der Einsatz ist immer unterstützend und bestätigend, aber niemals den Menschen ersetzend.“ Ein weiterer KI-Use-Case wäre für Christian Neubauer die Möglichkeit, Patienten laufend mit neuen Erkenntnissen zu versorgen, falls Probleme weiterhin bestehen.

Etwas, das der CIO der Barmherzigen Brüder gerne intensiv vorantreiben würde, ist der Datenaustausch mit anderen Krankenhausträgern. „Die Patientinnen und Patienten sind ja nicht nur bei einem Arzt und in einer Krankenanstalt, sondern sind mit ihren Daten verteilt, auch Bundesländer-übergreifend. Man hat derzeit als einzige Basis ELGA. Es wäre notwendig, alle Daten in einem zentralen System zu vereinen – natürlich abgekapselt und in anonymisierter Art und Weise –, um zum Beispiel KI-Systeme damit befüttern zu können.“

State-of-the-art-Versorgung

Nach der Verleihung des Confare-Awards „Top CIO des Jahres 2022“ hat Adolf Inzinger, der CEO der Barmherzigen Brüder Österreich, die herausragende Leistung des IT-Leiters folgendermaßen auf den Punkt gebracht, wobei das Motto der Barmherzigen Brüder zum Tragen kommt: „Gutes tun und es gut tun“: „Christian Neubauer fördert in seinem Bereich kontinuierlich Verbesserungen und ermöglicht Weiterentwicklungen im Einklang mit unserer Unternehmensstrategie. Große, künftige Trends wie die immer stärkeren und auch trägerübergreifenden Kooperationen oder das Home-Tele-Monitoring nicht-stationärer Patientinnen und Patienten sind für ihn ebenso zu meisternde Herausforderungen wie der kontinuierliche Ausbau von Bestehendem. Dieses reicht von Selbstverständlichem wie E-Mail-Systemen oder zahlreichen SAP-Modulen bis hin zu höchstspezialisierten Systemen wie digitalem Medikamentenordering von den Stationen und Auslieferung via Roboter und Rohrpostsystemen bis hin zur OP- oder Anästhesiedokumentation in Echtzeit.“

Für Christian Neubauer selbst ist die Auszeichnung auch eine Ehrung für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Der hochkomplexe Betrieb der IT eines Gesundheitsdiensteanbieters benötigt unbedingt ein motiviertes und höchstkompetentes Team aus Expertinnen und Experten. Die Krankenhaus-IT hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten vom internen Dienstleister zum unverzichtbaren, betriebsrelevanten Eckpfeiler entwickelt, ohne den die State-of-the-art-Versorgung von Patientinnen und Patienten nahezu unmöglich wäre.“


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