„Headless ERP ist die Zukunft“

Die COMPUTERWELT hat mit Godesys-Gründer und -Geschäftsführer Godelef Kühl über die veränderte Rolle von ERP in der Digitalisierung und die Probleme der deutschen und österreichischen Unternehmen mit der Umsetzung der DSGVO gesprochen. [...]

Godesys-Gründer und -Geschäftsführer Godelef Kühl: "Weniger als fünf Prozent der ERP-Anwender greifen auf mobile Lösungen zurück. Hier hat die Branche ganz klar Nachholbedarf." (c) Godesys
Godesys-Gründer und -Geschäftsführer Godelef Kühl: "Weniger als fünf Prozent der ERP-Anwender greifen auf mobile Lösungen zurück. Hier hat die Branche ganz klar Nachholbedarf." (c) Godesys

In Österreich haben immer noch längst nicht alle Unternehmen die DSGVO umgesetzt. Sehen Sie hier einen Unterschied zwischen großen und kleinen Unternehmen?
Ja, definitiv. Unsere kleineren Kunden mit 50 bis 100 Arbeitsplätzen haben dieses Thema zu 90 Prozent nicht auf dem Radar. Ich bin auch im Unternehmerverband und habe auf einer Tagung vor kurzen das Thema aufgebracht und gemerkt, dass kaum jemand weiß, worum es eigentlich geht. Das ist schon sehr bedenklich.

Rechnen Sie schon bald mit den ersten Abmahnungen und Strafen?
Eigentlich nicht. Zumindest nicht von staatlicher Seite. Wenn man sich ansieht wie viele Datenschutzbeauftragte es gibt, dann weiß man, dass die niemals nachkommen würden alle Unternehmen zu kontrollieren. Die ganze Sache ist ein typischer Fall von gut gemeint und schlecht gemacht. Was ich nicht einschätzen kann, ist wie viele Abmahnanwälte hier aktiv werden könnten. Ich brauche mir ja nur die Online-Auftritte der Unternehmen anzusehen, hier sind 90 Prozent der Seiten nicht DSGVO-konform. Die Politik hat einfach keine Ahnung, wieviel Aufwand das für die Unternehmen bedeutet und hat das einfach umgesetzt und die Leute dann damit allein gelassen. Für die Großkonzerne ist das weniger ein Problem, weil sie das Geld und die Manpower haben, aber für die KMU ist das ein riesiges Problem.

Verhält es sich beim Thema Digitalisierung ähnlich? Fehlt den Unternehmen auch hier der Weitblick und das Verständnis für das Thema?
Absolut. Ich sehe hier eine Schwarz-weiß-Sicht, die sich Unternehmen aber eigentlich nicht leisten können. Einerseits gibt es Manager, die eine digitale Transformation ihres Unternehmens eher wohl auf der Agenda haben und sich aus verschiedenen Aspekten mit Digitalisierung beschäftigen, und auf der anderen Seite Manager, die damit völlig überfordert sind und es als reines IT-Thema abtun. In Wahrheit ist aber Digitalisierung viel mehr und auch sehr stark ein gesellschaftlicher und kultureller Aspekt. Ich habe auch das Gefühl, dass deutsche und österreichische Unternehmen in guter Tradition alles perfekt machen wollen und wenn es das nicht ist, ein Projekt mal lieber fallen lassen oder auf Eis legen. Man braucht hier aber auch Visionen und muss Dinge einfach ausprobieren. Da tun sich viele Unternehmen noch sehr schwer mit dieser Philosophie. Digitalisierung muss nicht von heute auf morgen fertig sein. Das ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich ständig verändert und weiterentwickelt wird.

ERP ist eine der Kernlösungen jedes Unternehmens. Wie verändert sich die Rolle eines ERP-Systems im Rahmen einer Digitalen Transformation?
Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von headless ERP, das habe ich vom headless Server abgeschaut, das ist meiner Meinung nach die wichtigste und auch nachhaltigste Entwicklung, die aber vermutlich da draußen noch gar nicht bemerkt wird. Aber was heißt das jetzt genau? Wenn Systeme, die im Backend einfach arbeiten, und Prozesse nach einem implementierten Regelwerk automatisiert abarbeiten, man aber auf der Oberfläche gar nicht wahrnimmt, dass da im Hintergrund eine Automatisierung stattfindet, also wenn der Auftrag über einen elektronischen Weg hereinkommt und automatisch durchgeschleust und an die zuständigen Systeme weitergeleitet wird – so bekommt man Automatisierungsgrade die schon sehr beeindruckend sind.

Dann gibt es noch das sogenannte API-Business, also dass das ERP-System über APIs von außen adressierbar sein muss. Jedes Unternehmen bewegt sich in einer individuellen Applikationswelt, die abhängig von den Kunden und Partnern und ihrer Interaktion in eine entsprechenden Software-Architektur integriert werden müssen und diese Integration soll oder kann über dieses APIs deutlich anders stattfinden als es noch vor 10 oder 15 Jahren der Fall war. Diese Entwicklung kann ganze Geschäftsmodelle von Unternehmen verändern und ist meiner Ansicht nach besonders für den mittelständischen ERP-Markt eine sehr gute Entwicklung, weil es die heute verkauften Systeme eigentlich dazu zwingt, dass sie eine Offenheit mitbringen, die sie sonst gar nicht hätten. Ich denke, dass diese Entwicklung den Markt auch nachhaltig verändern wird.

Wie sieht es mit der Entwicklung von mobilen Lösungen aus? Hat die Branche hier Nachholbedarf?
Das ist neben den zuvor genannten Entwicklungen der dritte Aspekt, der aber auch interessanter Weise kaum wahrgenommen wird. Gerade im Bereich Digital Workplace ist festzustellen, dass es trotz dieses unglaublichen Smartphone-Booms kaum ERP-Applikation gibt, die auf diesen Devices angekommen sind. Da stehen wir erst ganz am Anfang. Ich würde sagen, dass nicht einmal fünf Prozent der ERP-Anwender heute etwas mit mobilen Apps machen. Das ist wirklich erstaunlich. Ich will jetzt nicht nur die mobile Lösung hypen, weil es hier natürlich auch um den Formfaktor geht. Natürlich lässt sich nicht alles so gut darstellen wie auf einem Desktop, aber ERP geht ja weit darüber hinaus. Wenn man diesen headless Gedanken konsequent fortsetzt dann müsste man das ERP-System eigentlich auch dem Kunden öffnen und es ihm zur Verfügung stellen. Hier muss man über die Unternehmensgrenzen hinaus denken. Es ist auch erstaunlich, wie wenig browserbasierende Systeme es auf dem Markt gibt. Es gibt natürlich einige Anbieter, die ihre Lösungen in einen Browser gehoben haben, weil die Bedienung dadurch natürlich vereinfacht ist und man von jedem Arbeitsplatz auf der Welt nahtlos auf das System zugreifen kann. Das könnte man mit Zusatz-Technologien wie Citrix auch anders lösen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Technische Änderungen reflektieren überhaupt nicht auf die veränderte Rolle der Bedienung für den Anwender, die damit einhergehen muss.


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