Herr der Staats-IT

Peter Reichstädter, Leiter der EDV-Abteilung und CIO des Österreichischen Parlaments, ist sich durchaus bewusst, dass der Begriff EDV etwas nostalgisch und möglicherweise "verstaubt" klingt. Seine Rolle als CIO im Parlament sieht er im kreativen Bereich. Ziel ist es, Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich die Business- mit der Technologiesichtweise verschmelzen lassen könnte. [...]

Peter Reichstädter, Leiter der EDV-Abteilung und CIO des Österreichischen Parlaments, ist sich durchaus bewusst, dass der Begriff EDV etwas nostalgisch und möglicherweise „verstaubt“ klingt. Als er 1994 begonnen hat, im öffentlichen Dienst zu arbeiten, hieß der Bereich, der die IT zu verantworten hatte, sogar noch ADV-Abteilung, also „Automationsunterstützte Datenverarbeitung“. Aber auch im altehrwürdigen Parlamentsgebäude wird die Bezeichnung EDV vielleicht schon bald verschwunden sein, denn im Zuge der Generalsanierung des Parlamentsgebäudes, die von 2017 bis 2020 stattfindet, werden auch die gesamte IT-Infrastruktur sowie viele IT-Services modernisiert. Zwischenzeitlich werden Nationalrat und Bundesrat in der Hofburg tagen. Dem Parlament werden der Redoutensaaltrakt sowie Büroflächen in anderen Gebäudeteilen – insgesamt rund 8.600 Quadratmeter – zur Verfügung stehen. Ergänzend dazu werden drei Pavillions für Büroräumlichkeiten und Ausschusslokale in Fertigteilbauweise am Heldenplatz und Bibliothekshof (rund 10.000 Quadratmeter) errichtet und IT-technisch serviciert.

Die Umsiedelung und die Modernisierung ist eines der Hauptprojekte des neuen EDV-Leiters Peter Reichstädter in den kommenden Jahren: „Dieses Change Management in den Prozessen bietet große Möglichkeiten, ist aber gleichzeitig eine enorme Herausforderung, der wir uns gerne stellen.“ Das Projekt beinhaltet kurz-, mittel- aber auch langfristige Planungen und nachhaltige Überlegungen. Man müsse von den existierenden Systemen und Funktionalitäten und gleichzeitig der Aufrechterhaltung des Parlamentsbetriebs ausgehen, sich ansehen, wo noch Potenzial vorhanden ist und wie man dieses in die nächste Modernisierungs-Stufe heben könne. „Die Strategien und Planungen umfassen einen Zeitraum zwischen drei bis fünf bzw. bis zu acht Jahren. Das sind Zeiträume, die man noch – auch technologisch gesehen – überschauen kann. Aber wer kann schon sagen, was in zehn Jahren der Stand der Dinge ist und wie zum Beispiel ein möglicher Arbeitsplatz der Zukunft aussehen wird?“

IT UND WIRTSCHAFT

Forschen und Experimentieren hat den Diplomingenieur der Informatik schon immer interessiert und in seiner Zeit im Gymnasium in Güssing/Südburgenland hat er sogar an Physik­olympiaden teilgenommen. Ein weiteres Interessensgebiet war die Wirtschaft. Reichstädter war laut eigenen Angaben nie der „technik-lastige Informatik-Typ, der nur auf Bit- & Byte-Ebene unterwegs war“, sondern er war stets interessiert, die Prozesse, die Veränderung und auch das Zusammenspiel von Menschen, Maschinen, Prozessen, Daten, Informationen und Wissen besser zu verstehen.

Ein Job im öffentlichen Dienst wurde zwar nicht unmittelbar nach dem Studium angestrebt, aber umso mehr blickt er dankbar auf die Tätigkeiten zur persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung zurück. Seinen ersten Job hat er letztendlich auf eine Annonce im Standard gefunden und war positiv überrascht, dass er sich damals im Wissenschaftsministerium bald schon an innovativen Projekten betätigen konnte. „Ich habe dort eine solide Ausbildung im Bereich Datenbanken durchlaufen und eine Applikation für die Verwaltung des Universitäts- und Ministeriumspersonals (quasi ‚SAP-HR‘) umgesetzt“, sagt Reichstädter heute dazu, und: „Das war noch zur Zeit der relationalen Datenbanken. Aber auch Applikationsentwicklung war wichtig und ich habe mich relativ rasch in Richtung Business Intelligence und Data Warehouse entwickelt.“ Im Zuge eines Data-Warehouse-Projektes (Stichwort: Universitäts-Informations-Verordnung) im Ministerium wurde auch die Korrelation Recht und Technik aufgezeigt: „Ich habe gesehen, dass meistens nicht die Technik ausschlaggebend ist, sondern dass das Zusammenspiel aus Organisation und Prozessen basierend auf rechtlichen Grundlagen mit der technischen Umsetzung einhergehen muss, um das optimale Szenario darstellen zu können. Technisch ‚verstehen‘ sich Applikationen sehr oft rasch, organisatorisch und rechtlich hakt und eckt es aber ab und zu“, stellt Reichstädter auch in aktuellen Projekten immer wieder fest.

2001 engagierte sich Reichstädter in der neu etablierten IKT-Stabstelle der Bundesregierung zum Thema E-Government in den Bereichen Strategiebildung, Standardisierung, durchgängig elektronische Prozesse, Bürger- und Unternehmensserviceportal sowie elektronische/duale Zustellung. „Das Thema duale Zustellung, sprich einen Prozess durchgängig – aus Sicht der Bürger, Unternehmer wie auch der Behörde – zu digitalisieren, ähnlich dem Empfang von E-Mails, aber mit höheren Anforderungen an (Rechts-)Sicherheit und Verlässlichkeit war und ist sehr wichtig. Ein anderes Thema war die Entwicklung der Handy-Signatur. In Österreich sind statistisch gesehen pro Österreicher mehr Handys im Umlauf als zum Beispiel E-Cards oder Zahnbürsten. Die Handy-Signatur hat den Vorteil, die elektronische Identität und Authentifizierungsfunktion auch mittels Tablet und ohne Kartenleser durchführen zu können. Ich habe hier den kompletten Prozess von der Projektaufsetzung über die Realisierung bis hin zu Schulungen in Gemeinden und Landesregierungen sowie international begleitet“, erzählt Reichstädter.

  • „Oft fungieren wir als Übersetzer, um die Prozesse in ein IT-Service zu verwandeln.“

2007 wechselte er ins Bundeskanzleramt, wo er als Senior IT-Experte und Leiter von Arbeitsgruppen an der Entwicklung und Implementierung von E-Government-Strategie-Elementen federführend mitgearbeitet hat und blickt auf diese Zeit als „ausgezeichnete Schule für den nächsten Job bzw. das weitere Leben“ zurück. Im Februar 2015 folgte schließlich der Ruf ins Parlament, wo ein EDV-Leiter gesucht wurde. „Ausschlaggebend für meine Bewerbung waren strategische Herausforderungen, Fragen der Informationssicherheit, aber eben auch die diversen Anknüpfungspunkte, die in der Prozesskommunikation zwischen Fachaufgaben und der Umsetzung in die IT resultieren. Das Parlament ist der zentrale Ort jeder Demokratie. Und wie aufregend und interessant ist es dann, das Ganze aus der Nähe anzusehen, zu ertasten, kennenzulernen und vorwärts zu bringen“.


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