Smart Factory ist die Voraussetzung für die individuelle Massenproduktion und weitere neue Geschäftsmodelle. Der Weg dahin ist jedoch steinig. Chancen und Herausforderungen für Produzenten und Anlagenbauer. [...]
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, investieren immer mehr produzierende Unternehmen in moderne Anlagen. Modern heißt im Idealfall „Smart Factory“. Dahinter verbirgt sich die Fähigkeit, sich auf individuelle Kundenwünsche wie ein Handwerksbetrieb einzustellen, und das automatisiert und nahezu so günstig wie ein Großserienproduzent. Es geht also um die individuelle Massenproduktion auf Basis von Industrie 4.0.
Auf den ersten Blick bieten die vollständige Digitalisierung und Vernetzung im Produktionsumfeld deutliche Kostenersparnisse. Laut der Studie „Geschäftsmodell-Innovation durch Industrie 4.0 – Chancen und Risiken für den Maschinen- und Anlagenbau“ des Unternehmensberaters Dr. Wieselhuber & Partner und Fraunhofer IPA können Bestandskosten über Lieferketten hinweg um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden. Im Bereich Komplexitätskosten beträgt das Einsparungspotenzial dank schnellerer und fundierter Entscheidungen sogar 60 bis 70 Prozent. Der eigentliche Clou von Industrie 4.0 ist jedoch, vollkommen neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können.
CYBER-PHYSISCHE SYSTEME (CPS)
Um eine Grundlage für die intelligente Vernetzung zu schaffen, werden bisher passive Objekte mit Mikrocontrollern, Kommunikationssystemen, Identifikatoren sowie Sensoren und Aktoren ausgerüstet. Auf diese Weise entstehen sogenannte Cyber-Physical Systems (CPS), die eine Vernetzung von Menschen, Maschinen und Produkten ermöglichen. Beispiel Automobilbranche: Der weitaus größte Teil der Innovationen, die Sicherheit, Komfort oder Effizienz steigern, entsteht heute mit Hilfe derartiger Systeme. Durch die unternehmensweite oder gar unternehmensübergreifende Vernetzung von smarten Objekten bilden sie die technologische Grundlage für die Smart Factory.
Die Interaktion verschiedener Objekte in einem Produktionssystem nach dem Prinzip Industrie 4.0 erfolgt dabei einerseits zwischen Maschine und Maschine – das Produkt bringt seine Fertigungsinformationen in maschinell lesbarer Form selbst mit –, andererseits zwischen Mensch und Maschine.
Mit diesen technischen Voraussetzungen lassen sich etwa Produkte herstellen, die maßgeschneidert auf Kundenwünsche angepasst sind, ohne dabei die Produktionskosten in die Höhe schnellen zu lassen.
EVOLUTIONÄR ODER REVOLUTIONÄR?
Wie die eingangs erwähnte Studie bestätigt, wird das disruptive Potenzial von Geschäftsmodell-Innovationen vielfach unterschätzt. Anlagenbauer konzentrieren sich mehrheitlich auf Themen wie Effizienzsteigerung und digitale Veredelung von Produkten und Leistungen.
Folgt man hingegen dem revolutionären Ansatz, ergeben sich völlig neue Sichtweisen, die über Effizienzsteigerung und Veredelung weit hinausgehen. Zum einen sind Geschäftsmodelle der Industrie-4.0-Ära durch eine konsequente Serviceorientierung gekennzeichnet. Diese beginnt auf der Ebene der Bereitstellung eines echten Mehrwerts bzw. eines entsprechenden Wertversprechens („Value as a Service“). Ein hohes Maß an Kooperationsfähigkeit in Richtung Kunden, Lieferanten und Partnern, das weit über eine reine Käufer-Verkäufer-Beziehung hinausgeht, bildet dafür eine wichtige Basis. Im Idealfall ist der Kunde bzw. Konsument in den Produkterstellungsprozess eingebunden und empfindet dies als echten Mehrwert.
Ein weiterer Aspekt der Wertschaffung entsteht durch die Nutzung von Daten. Durch das Erkennen von Mustern und Abhängigkeiten in großen Datenmengen von den in der Smart Factory vernetzten Objekten lassen sich zum Beispiel optimale Maschine-/Material-/Werkzeugkombinationen finden, um den Wertschöpfungsprozess weiter zu unterstützen.
IST SMART FACTORY NOCH ZUKUNFTSMUSIK?
Im Rahmen des Zukunftsprojekts Industrie 4.0 hat das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung die wichtigsten Herausforderungen identifiziert, um Smart Factories „auf den Hallenboden“ zu bringen. Dazu gehören Standards, die noch nicht definiert sind, oder die zunehmende Komplexität der IT, was sich vor allem in der Software-Entwicklung zeigt. Eine weitere Herausforderung betrifft die IT-Sicherheit. Besonders der Mittelstand befürchtet, dass durch Industrie 4.0 Geschäftsgeheimnisse verloren gehen und sorgfältig gehütetes Wissen der Unternehmen der Konkurrenz offenbart würde. Die mit Industrie 4.0 einher gehende Integration von IT in den Produktionsprozess bedeutet massive Änderungen, was die Qualifikationsprofile der Facharbeiter in den Betrieben betrifft. In allen genannten Bereichen sind noch grundlegende Arbeiten zu erledigen.
Auch wenn das Potenzial von Industrie 4.0 im produzierenden Gewerbe erkannt wird: Es fehlt gerade im Mittelstand oft das nötige Kapital, um in Richtung Smart Factory gehen zu können.
Die EU hat das Problem erkannt und hilft Unternehmen, die Wettbewerbsfähigkeit durch eine stärkere Digitalisierung der Produktion zu steigern. Anfang 2014 hat die zweite Phase des Förderprogramms Factories of the Future (FoF) begonnen, wofür bis 2020 rund 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Derzeit laufen rund 80 Projekte – viele davon beschäftigen sich mit dem Einsatz von IKT, ohne die eine individuelle Massenfertigung nicht möglich ist. (wf)
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