Die Mayr-Melnhof Karton AG (MM Gruppe) ist Europas führender Produzent von Karton und Faltschachteln – und befindet sich gerade in einem breit angelegten Transformationsprozess. Welche Rolle die IT dabei spielt, verrät Jacqueline Wild, Head of Group Information Management der MM Group. [...]
Die Karton- und Faltschachtelprodukte der MM Gruppe werden großteils für die Erzeugung von Verpackungen für Konsumgüter des täglichen Bedarfs eingesetzt. Durch Größe und Spezialisierung deckt MM ein vielfältiges Anwendungsspektrum ab. Neben dem breiten Markt der Fast Moving Consumer Goods zählen auch hoch spezialisierte Märkte wie Verpackungen für Pharma, Zigaretten, Beauty und Personal Care zum Geschäft.
Mit einer Jahreskapazität von mehr als 2,6 Millionen Tonnen ist MM Board & Paper führender Kartonproduzent in Europa. MM Packaging wiederum ist ein führender europäischer Faltschachtelproduzent und verarbeitet jährlich rund 850.000 Tonnen Karton und Papier. Das Unternehmen erwirtschaftet Umsatzerlöse von rund 3,5 Milliarden Euro und beschäftigt etwa 12.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
„Da die MM Gruppe im Kern ein Familienunternehmen ist, wird langfristig gedacht und investiert“, sagt Jacqueline Wild, Head of Group Information Management bei der Mayr-Melnhof Group. „Mit der Ernennung von Peter Oswald als CEO und seiner langen Erfahrung in erfolgreichen Akquisitionen, Investitionen und Turnarounds wurden die Weichen für eine neue strategische Aufstellung mit Sicht auf 2030 gestellt. So wurde bereits 2021 durch transformative Akquisitionen unser Produktangebot an Karton- und Papierprodukten deutlich gestärkt und diversifiziert.“
MM verarbeitet vorwiegend nachwachsende Rohstoffe und setzt modernste Technologien ein, um ressourcenschonend hochwertige Karton-, Papier- und Faltschachtelprodukte zu fertigen. „Dieser Fokus auf Nachhaltigkeit und Innovation zieht sich durch alle Geschäftsfelder von MM und ist Teil der neuen Strategie, die auf Wachstum und einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Gruppe durch Akquisitionen und gezielte Investitionen, sowie dem Heben von Effizienz basiert.“ Und bei der Erreichung dieser Ziele spielt die IT eine wesentliche Rolle.
Steile Karriereleiter
Ihre Karriere begann Jacqueline Wild in der Telekommunikationsbranche, wo sie erstmals Berührungspunkte mit der IT hatte. „Ich habe dort viel gelernt – auch was es heißt, hart zu arbeiten und auch Feedback von Menschen wie etwa Kunden auszuhalten, mit denen man eigentlich nichts zu tun hat.“
Danach ist ist sie zur Mondi Group gegangen, wo sie über einen Zeitraum von 15 Jahren verschiedenste Positionen und Rollen eingenommen hat und in der IT durchgestartet ist. Um weiter auf der Karriereleiter aufzusteigen, entschloss sie sich, den Weg der Beraterin zu gehen und bei Capgemini anzuheuern. Als Head of Delivery und Innovation war sie dort mit ihrem Team für Lösungen im Bereich der App-Entwicklung zuständig.
Nach einem Jahr kehrte sie schließlich in die produzierende Branche zurück. Seit Oktober 2020 ist sie Head of Information Management bei Mayr-Melnhof. Der Start fiel also mit einem der Höhepunkte der Corona-Pandemie zusammen. „Ich habe es teilweise sehr genossen, zu Fuß ins Büro zu gehen und hier in Ruhe zu arbeiten. Auf der anderen Seite war es natürlich schwierig, da die Challenge der Kolleginnen und Kollegen fehlte. Es ist auch nicht leicht, die Message, die wir haben, virtuell zu vermitteln. Die Folge war, dass ich erst nach zwei Jahren alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persönlich kennenlernen konnte.“
IT in Transformation
In der Message, von der Wild spricht, geht es unter anderem darum, dass die IT die grundlegende Transformation des Gesamtunternehmens widerspiegelt. „Peter Oswald ist angetreten, um nachhaltig zu wachsen und innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Er will einen mittelständisch geprägten Betrieb in ein Enterprise-Unternehmen verwandeln. Dafür brauchen wir auch eine innovative IT“, so Jacqueline Wild. „In der Vergangenheit wurde in der IT vor allem auf Kosteneffizienz geachtet. Service- und Kosteneffizienz ist auch weiterhin eines unserer Ziele, wir haben diese aber durch eine enge Abstimmung mit den Fachbereichen sowie einen Fokus auf Innovation ergänzt. Deshalb haben wir eine Reihe von Transformationsinitiativen gestartet.“
Das Unternehmen hat im ersten Schritt ein IT-Assessment durchgeführt und die IT-Leistungsfähigkeit von einem externen Berater benchmarken lassen. „Daraus haben sich Handlungsempfehlungen ergeben, für die wir jeweils Grobkonzepte entwickelt haben, welche wir dann in verschiedenen IT- Transformationsinitiativen weiter ausgearbeitet und zur Umsetzung gebracht haben. Dabei gehen wir agil vor, indem wir versuchen, in gewissen Zeitabständen in jeder Transformationsinitiative Fortschritte zu machen und damit die Leistungsfähigkeit der IT konstant zu steigern.“
Datengetriebene Entwicklung
„Die IT dringt mittlerweile bis in den Produktionsprozess vor. Die Entwicklung ist sehr datengetrieben, und Entscheidungen werden basierend auf Daten gefällt. Wir haben uns beispielsweise entschieden, ganz gezielt auf SAP zu gehen, um mehr Datentransparenz zu schaffen und generell schneller zu werden.“ Diese Transparenz soll dabei helfen, den Waste à la Abwässer und Chemikalien zu reduzieren. Ein weiteres Ziel sei es, damit die internen Abläufe zu vereinfachen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Zeit für ihre Kunden und Innovationen zu verschaffen. Last but not least vermeidet man damit, in Abhängigkeit von einem einzigen Hersteller zu geraten, der eine maßgeschneiderte, individuelle Lösung zur Verfügung stellt. „Anstatt eines Partners habe ich nun mit SAP sehr viele potenzielle Partner am Markt“, begründet Wild die Entscheidung, auf einen Branchenstandard zu setzen.
OT und IT unter einem Hut
Mit der Transformation kommt unweigerlich ein Thema auf den Tisch, das jedes produzierende Unternehmen früher oder später betrifft: die Verbindung von Operational Technology (OT) und IT. „Wir diskutieren gerade, wo genau die Grenze zwischen OT und IT ist – ein sehr spannendes Thema. Ist es IT, wenn man Software in der Druckmaschine installiert? Man kann darüber sehr theoretisch diskutieren. Wir haben es in der Praxis so gelöst, dass in unseren Werken der Admin einmal den OT-Hut auf hat, ein anderes Mal den IT-Hut.“ Jacqueline Wild ist fest überzeugt, „dass die OT in der IT nichts verloren hat, da es ganz unterschiedliche Herausforderungen gibt und in der Welt Maschinensteuerung, PLC, SCADA-Systeme etc. anderes Wissen von nöten ist. Da braucht es mehr den Anlagenbauer als den IT-Spezialisten.“
Wie die Zusammenarbeit zwischen OT und IT aussehen kann, illustriert sie anhand des Beispiels IIoT. „Für die Entscheidung, ob ein Sensor richtig an einer Maschine platziert ist, muss jemand den Produktionsprozess sehr genau verstehen. Hier ist also der OT-Experte gefragt. Der Sensor sammelt Daten, die IT greift diese Daten ab und führt sie zu einem Bild zusammen – je nachdem, welches gebraucht wird. Das Ziel, das ich anstrebe, ist, dass die IT die Datenhoheit hat.“
Ihr sei natürlich bewusst, dass die Grenzen zwischen OT und IT zunehmend verschwimmen. Das werde besonders dann deutlich, wenn man moderne Technologien anspricht. „Wir haben schon heute Verpackungsroboter, die zwar nicht mit KI arbeiten, aber auf Basis von historischen Daten. Ist dieser Roboter IT oder OT? Die Daten, die er liefert, verknüpfe ich mit ERP-Daten, um Analysen durchzuführen. Ist damit auch die Hardware Teil der IT? Manche sagen ja und wollen, dass wir uns komplett um den Roboter kümmern. In den kommenden Jahren werden wir noch hitzige Diskussionen führen. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass wir einen sehr engen Schulterschluss zwischen IT und OT brauchen, um erfolgreich zu sein.“
Stete Prozessverbesserungen
Ein zentrales Aufgabengebiet von Jacqueline Wild ist die permanente Verbesserung der Prozesse. „Ich bin vor zehn, fünfzehn Jahren durch Fabriken gegangen, um das Werks-Layout zu verstehen und Optimierungsmöglichkeiten zu finden. Heute lässt sich das mit Hilfe von Daten relativ leicht machen. Wir versuchen ständig, die Qualität unserer Prozesse zu verbessern und Zeit bei Routineaufgaben einzusparen. Das beginnt beim Produktionsprozess und geht bis zum Innovation Manager, der über die gesamte Informationskette verfügt und das ›Next Best Product‹ entwickeln kann. Dadurch haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch mehr Zeit für die Kunden.“
Erreicht wird das auch durch einen hohen Automationsgrad, etwa bei Einführung eines ERP-Systems: „Mein Leitspruch seit zwanzig Jahren: Die 90 Prozent Standardfälle müssen automatisiert abbildbar sein. Dann habe ich Zeit, mich um die zehn Prozent Ausnahmen zu kümmern und nachzudenken, warum diese keine Standardfälle sind.“
Im Gespräch mit Jacqueline Wild wird immer wieder deutlich, dass sie die IT leidenschaftlich betreibt – und sie erklärt auch warum: „Ich finde es sehr zufriedenstellend, für die IT in einem produzierenden Unternehmen zu arbeiten. Es ist schön, im Supermarkt eine Verpackung in die Hand zu nehmen und zu wissen, woher sie kommt. Meine Eltern hatten einen Einzelhandel. Ich habe dort gelernt, was es bedeutet, hart für sein Geld zu arbeiten. Daher ist es mir eine Freude, das Leben der Kolleginnen und Kollegen zu erleichtern. Das ist mein Antrieb.“
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