Innovatives Denken ist gefragt

Heute wird rund die Hälfte der Wertschöpfung in Österreich von der Industrie und den industrieorientierten Dienstleistungen generiert. [...]

„Österreich ist nach wie vor ein Industrieland. Diese Branchen sind somit ganz wesentliche Treiber für den Wohlstand in Österreich“, erklärt Florian Haslauer, Autor der eben veröffentlichten Studie „Wertschöpfung 4.0 – Österreichs Industrie in der Zukunft“ und Partner bei A.T. Kearney Österreich. Für die Studie befragte A.T. Kearney im Herbst 2016 in Zusammenarbeit mit dem Industriemagazin hundert österreichische Industrieunternehmen zur Digitalisierung. »Digitalisierung ist der größte Entwicklungsschub für die Industrie seit der industriellen Revolution. Dafür müssen aber Unternehmen, Politik und Wissenschaft aktiv den notwendigen Umbau der österreichischen Wirtschaft einleiten und vorantreiben«, sagt Haslauer.

Digitale Disruption
Mehr als 30.000 heimische Industrieunternehmen stehen vor Disruptionen in den traditionellen Arbeitswelten. „Menschenleere Fabriken rücken näher, denn sowohl niedrig qualifizierte als auch hochqualifizierte Arbeitskräfte werden durch Automatisierung ersetzt“, erklärt Achim Kaucic, Manager bei A.T. Kearney und Co-Autor der Studie. Von den 1,8 Millionen Arbeitsplätzen in der Industrie und den industrieorientierten Dienstleistungen sind laut der Studie 42 Prozent der Arbeitsplätze – also über 750.000 – aufgrund von Digitalisierung und Automatisierung in den nächsten 25 Jahren gefährdet. „Besonders schwerwiegend ist diese Entwicklung, wenn man bedenkt, dass fast die Hälfte aller Lehrlinge von Industrie- und Gewerbeunternehmen ausgebildet werden und dass Beschäftigte in Industrie und Gewerbe durchschnittlich um zehn Prozent mehr verdienen als in anderen Branchen“, so Kaucic. Abgesehen von der Industrie sind auch Jobs in industrieunabhängigen Dienstleistungssektoren durch Automatisierung gefährdet. Insgesamt sind somit laut der Studie mit 44 Prozent fast die Hälfte aller österreichischen Arbeitsplätze bedroht.

Österreichs Industrieunternehmen stehen der Digitalisierung grundsätzlich positiv gegenüber: Für drei Viertel der befragten Unternehmen überwiegen die Chancen der Digitalisierung für ihr Unternehmen, für praktisch keinen der Befragten überwiegen die Risiken. Besonders in der Entwicklung neuer Produkte, in der Implementierung neuer Technologien und in der Erhöhung der Produktivität wird viel Potential gesehen.

Ein anderer Effekt der Digitalisierung wird von den heimischen Industriebetrieben jedoch eher unterschätzt: Zahlreiche Beispiele zeigen bereits, dass Digitalisierung herkömmliche Branchengrenzen immer mehr verschwimmen lässt und damit traditionelle Geschäftsmodelle infrage stellt. »Nur 8 Prozent der Befragten sehen einen Eintritt in fremde Branchen als große Chance für ihr Unternehmen. Und auch das Szenario, dass sich durch den Eintritt branchenfremder Unternehmen der Wettbewerb für ihr Unternehmen deutlich verschärfen wird, sieht die Mehrheit der Befragten als unwahrscheinlich an«, erklärt Oskar Schmidt, ebenfalls Co-Autor der Studie.

Nachholbedarf bei Innovation
Nachholbedarf besteht für die heimischen Industriebetriebe vor allem beim Thema Innovation. Insbesondere zwei wesentliche Treiber von Innovation – nämlich effizienter Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie die Anziehung der richtigen Talente – sind in Österreich zu gering ausgeprägt. Diese Situation spiegelt sich beispielsweise in einer niedrigen Anzahl an Patentanmeldungen österreichischer Unternehmen, dem bescheidenen Abschneiden der heimischen Universitäten im internationalen Vergleich, dem Fehlen von Absolventen technischer Studienrichtungen und den immer noch schwierigen Rahmenbedingungen für Startups wider.

A.T. Kearney geht davon aus, dass der Wegfall von Arbeitsplätzen aufgrund der Automatisierung durch drei Aspekte aufgefangen werden kann. Einerseits werden neue Arbeitsplätze im Sozialbereich, in Bildung und Softwareentwicklung entstehen. Anderseits wird ein Teil durch die Verkürzung der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit, durch den Ausbau von Teilzeit, Bildungsurlauben und Auszeiten erfolgen. Hier ist ein Trend, der in den letzten zwei Jahrzehnten zu beobachten war, auch in den nächsten zwanzig Jahren in gleicher Weise zu erwarten. Die weitere Verbesserung der Produktivität erhält oder steigert sogar die Wertschöpfung pro Arbeitsstunde. Der dritte und wichtigste Aspekt ist die Entwicklung von neuen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Bis zu 30 Prozent der Wirtschaftsleistung in 2040 werden durch neue Geschäftszweige abgedeckt, prophezeit die Studie.

Gemeinsame Anstrengung
Um diesen Umbau der österreichischen Wirtschaft zu gewährleisten und damit die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, erfordert es Anstrengungen von Unternehmen, Wissenschaft und Politik gleichermaßen. Die Arbeitswelten und Ausbildungsmodelle müssen A.T. Kearney zufolge dringend an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Die Unternehmen können durch die zunehmende Öffnung und den Aufbau von Netzwerken ihre Innovationskraft stärken. Auch Mut ist erforderlich, um in neue Technologien und am Standort Österreich zu investieren. Universitäten und Schulen in Österreich müssen mehr auf Ausbildung in Wirtschaft und Technologie setzen und sich in Richtung Wirtschaft öffnen. Die Qualität der Universitäten im internationalen Vergleich muss verbessert werden, außerdem ist eine Verlängerung der Schulpflicht notwendig.

„Die Politik muss die bürokratischen Hürden abbauen und Österreich als Investitions-standort für die Industrie attraktiver machen“, erklärt Haslauer. „Die Förderung von Unternehmertum und die Gründung von neuen Unternehmen sollten im Fokus stehen. Auch eine Verbesserung der Ausbildung auf allen Ebenen muss ein wichtiges Ziel sein. Österreich kann als Gewinner aus der Digitalisierung hervorgehen, wenn die Kräfte gebündelt werden.“


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