Im fünften Teil seiner achtteiligen Serie zum Thema Internet der Dinge gibt Oliver Loisel von der ATLAS Group fünf wertvolle Tipps, die ein rasches und entschlossenes Handeln bei IoT-Projekten ermöglichen sollen. [...]
Immer noch gilt: „Hope is not a strategy“, und dennoch wird bei IoT-Projekten herumgetrödelt als würde der Wettbewerb schlafen. Ein erfolgreiches international tätiges Industrieunternehmen, welches an dieser Stelle anonym bleibt, ist so ein Fall. Dieses Unternehmen fertigt unter anderem Baumaschinen höchster Qualität – seit vielen Jahrzehnten. An der Unternehmensspitze ist man sich einig: Die Maschinen müssen smart werden. Leider aber haben Zielvorgaben, Innovationsteams, Ideenwettbewerbe, Messebesuche, Gespräche mit internen Stakeholdern oder Lieferanten auch nach einem Jahr nichts Greifbares gebracht. Die Organisation bemüht sich und hofft. Doch immer noch ist ein erstes vernetztes Produkt völlig außer Reichweite. Statt im Stadium von „Könnten wir“ und „Sollten wir eines Tages“ Zeit zu verlieren, müssen Unternehmen möglichst rasch handeln. Hierfür gibt es fünf Grundsätze:
1. Geschwindigkeit durch Fokus
Der Traum vom Alleskönner, vom IoT-Produkt, das von Anfang an alle nur vorstellbaren Features abdeckt, sollte ein Traum bleiben. Besonders dann, wenn ein Unternehmen bislang über keine Erfahrung mit smarten Produkten verfügt. Die Leitfrage könnte stattdessen lauten: „Wie wenig darf es sein?“. Es geht also um die ganz wenigen, aber unentbehrlichen Funktionen eines Produktes, die gerade noch ausreichen, um aus Tests mit ausgewählten Kunden für die weitere Produktentwicklung zu lernen. Dieser Fokus zwingt zur Vereinfachung. Erste greifbare Ergebnisse in Form eines Minimalproduktes können damit schneller entstehen.
2. Raus aus dem Elfenbeinturm
Kein Innovationsteam, keine F&E und kein Vertrieb kann vorhersehen, ob ein Produkt top oder flop wird. Daher gilt es das Prototyping so zuzuspitzen, dass Fehleinschätzungen über Markt und Kunden so früh wie möglich auffallen. Zu radikal erscheint hier das Startup-Mantra „Fail early, fail cheap!“. Ein in der Branche bekannter Qualitätsführer wird nicht plötzlich halbfertige Produkte zur Serie machen. Das muss er auch nicht. Dennoch sollte die entscheidende Frage nicht aus den Augen verloren werden: „Wie kommen wir am schnellsten zu einem Proof-of-Concept?“ Dazu sollte das Prototyping als rollierender Prozess in drei Phasen verstanden werden:
1. Entwickeln: Das Minimalprodukt wird erstellt und funktioniert so weit, dass man es Early Adoptern oder freundlich gesinnten Kunden vorzeigen kann.
2. Testen: Ausgewählte Kunden werden gebeten zu testen. Diesen Kunden ist klar, dass es sich um Prototypen handelt und nicht um Serienprodukte. Wichtig hierbei ist nicht einfach auf Kundenfeedback zu warten, sondern im Vorfeld aufgestellte Hypothesen konkret zu überprüfen und dafür Messwerte zu definieren.
3. Lernen: Die Testergebnisse werden analysiert und bewertet. Konsequenzen für das Produktdesign, Features etc. werden abgeleitet. Danach geht es zurück zu Phase 1, dem (Weiter-)Entwickeln.
3. Das große Ganze im Hinterkopf
Die rasche Entwicklung eines schlanken Minimalprodukts darf das Big Picture nicht außer Acht lassen. Mit anderen Worten: „Wie müssen wir heute entwickeln, ohne uns morgen zu blockieren?“ Der Spaß mit IoT fängt dort wirklich an, wo aus Daten Mehrwert generiert wird. Dazu muss aber von Anfang an eine skalierbare Basis geschaffen werden. Die Daten aus einem Dutzend Prototypen erfasst man ja vielleicht noch recht einfach und handgestrickt. Eine geordnete Datensammlung und -auswertung aus Hunderten oder Tausenden Things aber sollte von Anfang an eingeplant werden und geordnet erfolgen. Welche Daten werden erhoben? Wie lange wird gespeichert? Ist das erlaubt? Wie wird die Privacy der Kunden geschützt? Was wird für die Datensicherheit getan? Auf diese Fragen sollten bereits beim Prototypen Antworten vorliegen. Sonst entsteht auch beim gutmütigen Testkunden schnell der Eindruck der rücksichtslosen Datenkrake.
4. Wille zum Wandel
Hinter jeder IoT-Initiative stecken letztlich Menschen. Wenn beispielsweise der Vertrieb von Anfang an gegen das »neumodische Zeug« ist, wird es schwierig. Auch Silodenken ist Gift. Nur unternehmensübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht es, attraktive Use Cases und Prototypen zu entwickeln. Noch heikler wird es bei der Nutzung gewonnener Daten für neue Use Cases und Geschäftsmodelle, für Marketing-Aktionen, den Produktservice oder die Entwicklung neuer Produktgenerationen. Nur wenn die dafür verantwortlichen Unternehmensbereiche aktiv mit den zur Verfügung stehenden Informationen arbeiten, generiert IoT Nutzen für das Unternehmen.
Kunden, deren Nutzungsverhalten und Erwartungen müssen damit alle noch mehr interessieren als bislang. Damit ist IoT auch massiver Change. „Wie nützen wir den Prototypen, um unterschiedlichste Stakeholder im Unternehmen zu begeistern?“, sollte spätestens während des Prototypings gefragt werden. Die richtige Einbindung von Mitarbeitern schafft Neugierde auf die ersten Daten und gewonnenen Erkenntnisse. Geschwindigkeit im Prototyping und „Quick Wins“ helfen dabei, Mitarbeiter von IoT zu überzeugen und den Wandel zum digitalisierten Unternehmen voranzutreiben.
5. Mut zur Lücke
IoT einzuführen ist kein Tagesgeschäft. Selbst für technologieorientierte Unternehmen, die Jahrzehnte lang hochwertigste Maschinen oder Geräte herstellen, ist das Thema Digitalisierung neu. Für die Entwicklung smarter Produkte fehlt zumeist – völlig verständlich – das Wissen. Unverständlich aber ist es, wenn Unternehmen sich diese Knowhow-Lücke nicht alsbald eingestehen. Das führt zu substanzlosen Vorschlägen und Monaten, in denen Zeit vergeudet wird, aber in der Sache kaum etwas vorangeht. Organisationen sind gut beraten, sich frühzeitig die Frage zu stellen: „Wissen wir selbst genug?“ – und fürhzeitig entsprechende Maßnahmen einzuleiten, beispielsweise Experten auf Zeit einzustellen.
Die Digitalisierung bringt massiven Wandel mit sich. Und sie bestraft jene, die neue Technologien und Services mit verstaubten Prozessen entwickeln möchten. Hätte das oben erwähnte Industrieunternehmen mit klarem Fokus Prototypen entwickelt und rasch aus Kundenfeedback gelernt, würde es dem Wettbewerb wohl nicht hinterher hinken.
*Der Autor Oliver Loisel ist Co-Gründer der ATLAS Group (www.atlastech.de) und begleitet Unternehmen bei Gestaltung und Umsetzung von IoT-Strategien und Use Cases. Dieser Beitrag ist der fünfte Teil einer achtteiligen Serie zum Thema »IOT – Strategie und Roadmap«, die Oliver Loisel exklusiv für die COMPUTERWELT verfasst.
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